Manchester-Derby in der Premier League:Viel Beten, wenig Krawall

Mourinho nennt seine Spieler "armselig", Guardiola schwärmt - beim 2:1 von Manchester City gegen United stehen die gegensätzlichen Trainer im Blickpunkt. Das alte Kriegsbeil bleibt allerdings begraben.

Von Javier Cáceres, Manchester

Der Fußballlehrer Josep Guardiola hat mitunter eine eigene Sicht auf die Dinge, in England lernen sie das gerade kennen. Am Samstag gewann sein neues Team Manchester City beim Stadtrivalen United 2:1, es steht damit nach vier Siegen aus vier Saisonspielen an der Spitze der Premier League. Und doch musste Guardiola viel Kopfschütteln ertragen - für seine vehemente Verteidigung des neuen City-Torwarts Claudio Bravo. Dass der Chilene, wie Guardiola behauptete, in Uniteds Stadion Old Trafford "eine der besten Performances, die ich je gesehen habe" geboten habe, hielten viele für eine kolossale Fehleinschätzung. Sie wissen in England halt noch nicht, wen Guardiola in seinen Münchner Jahren alles für top-top-top erklärte.

Es war insofern eine unkonventionelle Einlassung, als Bravo entscheidend daran beteiligt war, dass City im 172. Stadtderby der Sieg fast noch entglitt. Der überragende Kevin De Bruyne, der einst von José Mourinho vom FC Chelsea nach Wolfsburg vergrault worden war, hatte City nach fünfzehn Minuten in Führung gebracht, Kelechi Iheanacho erzielte nach 36 Minuten das 2:0. City dominierte das Spiel auf eine für United fast schon beschämende Weise - bis die Platzherren doch noch zum Anschlusstreffer kamen, weil Bravo einen Ball nicht festhielt. Was in den Herzen der City-Fans gleich wieder die nostalgische Verklärung von Joe Hart wachsen ließ - Englands Nationaltorwart hatte nach Italien zum AC Turin auswandern müssen, weil seine Ballbehandlung mit dem Fuß den Ansprüchen Guardiolas nicht genügt.

Kurz vor der Pause hatte United einen Flankenball in den Strafraum Citys geschlagen, und es rächte sich, dass Bravo, neulich noch beim FC Barcelona unter Vertrag, erst zwei Trainingseinheiten mit seinen neuen Spielkameraden hinter sich hatte. Durch ein Abstimmungsproblem mit dem ebenfalls neuen Innenverteidiger John Stones entglitt Bravo der Ball, Uniteds Stürmer Zlatan Ibrahimovic schoss ihn mit einem technisch perfekt ausgeführten Volleyschuss ins Tor (43.). "Okay, Claudio", höhnte der frühere Liverpool-Profi Greame Souness, "du kannst den Ball passen, aber kannst du ihn auch festhalten?" Danach folgte eine weitere Szene, bei der sich Bravo mit einem Mitspieler nicht verstand, diesmal aber vergab Ibrahimovic. In der zweiten Halbzeit erntete Bravo immer wieder hämische Ooooooh- und Aaaaaah-Rufe von den United-Fans, weil er mit dem Ball am Fuß wackliger wirkte als sein Ruf versprochen hatte. Einmal versprang ihm der Ball so weit, dass Wayne Rooney fast eine Torchance gehabt hätte, von der später noch zu reden sein wird; Guardiola war dennoch beeindruckt.

"Claudio hat Persönlichkeit gezeigt" und "immer und immer wieder den Ball gespielt", übte sich der Katalane in Didaktik. "Ich weiß, dass es riskant ist, denn wenn er den Ball verliert, bekommen wir einen Gegentreffer. Aber wenn es funktioniert, gibt uns das sehr viel", argumentierte Guardiola, denn das erlaube, den Spielfluss aufrecht und den Ballbesitz hoch zu halten: "Ich versuche meine Spieler davon zu überzeugen, dass das der beste Weg ist, um das Spiel zu kontrollieren."

Gegen United funktionierte das insbesondere in der ersten Halbzeit brillant, vor allem wegen der fabulös aufspielenden Mittelfeldspieler Fernandinho, David Silva und De Bruyne, der den 105-Millionen- Euro-Einkauf Uniteds, Paul Pogba, völlig in den Schatten stellte. Das fand universale Anerkennung - entsprechend sauer war Uniteds neuer Coach José Mourinho.

Der Portugiese klagte über "wirklich armselige individuelle Leistungen" von drei, vier, fünf Spielern, "bei einigen von euch sieht es so aus, als würdet ihr versuchen, genau das zu machen, was ich euch untersagt hatte". Das galt insbesondere für Jesse Lingard und den früheren Dortmunder Henrikh Mkhitaryan, sie durften nach dem Halbzeitpfiff im Theater der Träume, wie Old Trafford genannt wird, nicht mehr auf die Bühne zurück. "Ich habe nicht schon nach 20 Minuten ausgewechselt, weil ich die Spieler nicht zerstören wollte", sagte Mourinho.

Der Champions-League-Auftakt gegen Gladbach? Für Guardiola ist er allen Ernstes "ein Finale"

Ganz anders der Umgang Guardiolas mit Leroy Sané, der wie Mkhitaryan sein Premier-League-Debüt feierte - und enttäuschte. "Das erste Spiel in der Premier League ist immer schwierig, aber Leroy hat sich nie versteckt, das hat mir gefallen. Er wird besser spielen", sagte Guardiola, nachdem er im siebzehnten Duell mit Mourinho seinen neunten Sieg erzielt hatte. Er habe am Ende gebetet, weil der Druck der physisch stärkeren, größer gewachsenen United-Elf zunahm und immer wieder der Strafraum mit hohen Bällen angegriffen wurde. "In der zweiten Halbzeit hätten wir United nur kontrollieren können, wenn wir David Silva und Fernandinho auf Stühle gestellt hätten", sagte Guardiola.

Der Verschwörungstheoretiker Mourinho hielt sich derweil stiltreu bei "zwei schweren Fehlern" des Schiedsrichters auf. Er meinte damit ein Handspiel von City-Innenverteidiger Nicolás Otamendi im Strafraum, das er sehr exklusiv als elfmeterwürdig ansah, sowie das bereits erwähnte Duell zwischen Bravo und Rooney. Als Bravo den Ball verstolpert hatte, kam es zum Pressschlag mit Rooney, Mourinho forderte dafür - übertriebenerweise - Elfmeter und rot. Doch das war (von einem Münzwurf abgesehen, der Guardiolas Sohn eine Platzwunde am Kopf bereitete) der einzige Ansatz von Krawall, der im Stadion zu vernehmen war.

Mourinho und Guardiola waren sichtlich darum bemüht, das alte Kriegsbeil nicht wieder auszugraben, vor und nach dem Spiel gaben sie sich nicht einfach nur die Hand, sie umarmten sich sogar flüchtig. Mourinho regte gar an, mit Pep nach dem Spiel in der Trainerkabine ein Glas Wein zu trinken, doch dazu kam es dem Vernehmen nach aus Zeitgründen nicht.

Guardiola dürfte das zupass gekommen sein. Denn noch während die United-Fans zu den Pubs stürzten, um zu vergessen, und die City-Fans selbiges taten, um Manchesters Legende mit Leben zu füllen ("eine Stadt, deren Bewohner glauben, Tische seien dazu gemacht worden, um auf ihnen zu tanzen"), war der Katalane mit seinen Gedanken bereits beim ersten Champions-League-Spieltag. Am Dienstag empfängt Manchester City Borussia Mönchengladbach (20.45 Uhr/Sky). "Das ist ein Finale", sagte Guardiola, als wolle er unter Beweis stellen, dass er auch in England der Freund der Hyperbel geblieben ist, die in München so oft verlacht wurde. Allerdings: Vor André Schubert, dem Trainer der Gladbacher, hat er tatsächlich Respekt. Gegen ihn hat er noch nie gewinnen können.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: