Manchester City:Willkommen im Klub des Irrsinns

08 07 2016 City Football Academy Manchester ENG Premier League Manchester City Pressekonferenz

Ufo-Ambiente: Trainer Pep Guardiola auf der Brücke, die das Stadion mit der futuristischen Akademie von Manchester City verbindet.

(Foto: imago)
  • Manchester City gibt für den Traum vom Erfolg nicht nur eine Menge Geld aus, sondern entfernt sich auch immer weiter von seinen Fans.
  • Der Klub treibt die Entfremdung derart voran, dass die Leute in Zukunft tatsächlich vorwiegend zu Hause bleiben könnten.
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Von Sven Haist, Manchester

Es würde einen ja schon interessieren, wie Pep Guardiola das findet, dass sein taktischer Plan bei Manchester City ab dieser Saison vor jedem Heimspiel ausgeplaudert wird. Guardiola gilt bislang als ein Geheimniskrämer, der möglichst jeden öffentlichen Dialog vermeidet. Hat er also den Überbringer der Nachricht, das Geheime nun nicht mehr geheim zu halten, der Unfähigkeit bezichtigt, wie er das manchmal mit Schiedsrichtern macht? Oder hat er top, top, top gesagt, weil er ja oft top, top, top sagt, auch wenn er es gar nicht so meint? Oder hatten die Klubchefs dem Trainer die Entscheidung verschwiegen? In der Hoffnung, Guardiola würde das sowieso nicht merken, weil er genug mit jenem taktischen Plan beschäftigt ist, der künftig auch Kunden zum Kauf von Logenkarten animieren soll?

Zu Saisonbeginn hat Manchester City einen neu erbauten Spielertunnel aus halbdurchlässigem Glas präsentiert. Die Idee kommt aus dem US-Sport und findet sich jetzt erstmals im europäischen Fußball. Dort gilt der Kabinentrakt, ebenso wie die Umkleide, bislang als Heiligtum. Doch bei City können Karteninhaber des neu gegründeten Tunnel Club jetzt die Spieler beim Gang aus der Kabine auf den Platz beobachten. Umgekehrt ist das nicht der Fall, die Scheibe liefert den Spielern lediglich ihr Spiegelbild.

Der bloße Zugang zum Tunnel Club kostete für Citys Ligaspiel am Samstag gegen Liverpool rund 850 Euro. Wer bei einer Partie elf Freunde mitnehmen will, muss für den sogenannten Zwölfsitzer im Very Very Important People Tunnel Club fast 30 000 Euro ausgeben. Enthalten ist dann neben der taktischen Einweisung in Guardiolas Tagespläne auch ein Fünf-Gänge-Menü mit Weinprobe und Sommelier; ein Concierge, der sich um die Anreise und Unterbringung kümmert; ein Besuch der City-Akademie; der Zugang zum Spielfeld - und eine Frage-Antwort-Runde mit Brian Kidd, einem der Pep-Assistenten. Nur selbst mitspielen dürfen Abnehmer des Pakets noch nicht. Für sie sind Ledersitze reserviert im Stadion, mit bestem Blick aufs Feld.

Nach ersten Erlebnisschilderungen bieten die den VIPs gezeigten Analyseszenen einen Mehrwert, der sogar dem Gegner helfen würde. So dröselten die Analysten aus Citys Trainerteam etwa vor dem Duell mit dem FC Everton durch Videoclips die Gefahr auf, die von Wayne Rooney ausgeht; der Angreifer erzielte beim 1:1 prompt das Führungstor für Everton. Das führt zu der Frage, was wäre, wenn sich ein wohlhabender Mensch in den Tunnel Club einkauft und Guardiolas Plan, wie er gegnerische Angriffsraser stoppen will, bereits vor Anpfiff publik macht?

Mit dem renovierten Kader ist City zum Siegen verdammt

City hat mal wieder Großes vor in dieser Saison. Neben der Meisterschaft soll erstmals der Titel in der Champions League her, ab Mittwoch misst sich der Achtelfinalist der Vorsaison dort mit Neapel, Donezk und Feyenoord Rotterdam. Für einen langen Verbleib im Wettbewerb benötigt man die Unterstützung der Zuschauer. Einige davon haben aber zuletzt ihren Unmut zum Ausdruck gebracht; teilweise lauter, als die Atmosphäre bei so manchem City-Heimspiel ist. Das hat vorwiegend mit der Eröffnung des Tunnel Club zu tun, der den Klub wieder ein Stück mehr von seiner Basis entfernt. Weil die ehemaligen Besitzer der begehrten Tickets im zentralen unteren Bereich der Haupttribüne verdrängt wurden - zugunsten der wohlhabenderen Kunden. Das verändert nicht bloß die Sozialstruktur im Publikum, sondern auch die Stimmung im Stadion.

Die Logenpakete unterliegen partiell dem Dresscode "smart casual". In sportlich eleganter Kleidung macht sich im Ehrenbereich eher niemand um den Lautstärkepegel verdient - sofern die Plätze überhaupt Abnehmer finden. Der Absatz der teuren Pakete verläuft schleppend, häufig gibt es auf der Ticketseite freie Auswahl. Das gilt genauso für die anderen Sitzplatzangebote im Stadion, selbst fürs Top-Spiel gegen Liverpool (5:0) gingen Karten in den öffentlichen Verkauf. Außerhalb der Stadtgrenzen ist City keine Attraktion.

Das Gros der Fan-Touristen möchte gerne mal ins Nationalstadion Wembley, an die Anfield Road (Liverpool) oder ins Old Trafford (Manchester United). Das nach Ausbau 55 000 Zuschauer fassende Etihad Stadium von City, das den Namen einer arabischen Fluggesellschaft trägt, kommt viel, viel weiter hinten auf der Liste.

Für Scheich Mansour ist City ein Instrument für die eigenen Ziele

Über Jahrzehnte galt City als Gegenmodell zum Stadtrivalen United, mäßig erfolgreich, aber die Fans schien das kaum zu stören. Den Arbeiterverein charakterisierten Bescheidenheit und Trübsinn, ausgedrückt auch durch die melancholische Klubhymne "Blue Moon" - bis der Gigantismus einzog. 2008 schluckte die Scheich Mansour gehörende Abu Dhabi United Group den Verein. Für den Investor ist City ein Instrument für die eigenen Ziele, etwa den Gewinn der Champions League. Die Eröffnung des Tunnel Club liefert nun den Beweis, dass sich der offen gelebte Gigantismus zum Wahn entwickelt hat.

Wer durch die Drehtür am Nordeingang der Trainingsakademie geht, trifft noch vor der Rezeption auf ein maßstabsgetreues Modell des Klubgeländes. Mit dieser Miniaturausgabe will City seinen 32 Hektar großen, 250 Millionen Euro teuren Komplex mit 16,5 Fußballfeldern, eröffnet Ende 2014, zur Schau stellen. Für die Anwohner im Osten Manchesters gleicht dieser Campus einem Ufo, das im sozial unterprivilegierten Bezirk Bradford auf die Erde gefallen ist. Mit dem neuen Nachbarn lässt es sich nicht kommunizieren, der Zutritt ist nur Klubangestellten gestattet. Vor ein paar Tagen kletterten ein paar junge Männer über die Außenfassade aufs Stadiondach - und landeten prompt bei der Polizei.

Angrenzend ans Leistungszentrum hat City eine Metrostation (Etihad Campus) bekommen und eine Fußgängerbrücke, die das Anwesen mit dem Stadion verbindet. Diese Brücke soll Nachwuchsspielern die Richtung zur ersten Mannschaft weisen. In den drei Jahren gelang es jedoch keinem Talent, sich bei den Profis zu etablieren. Die Fußgängerbrücke ist zu einem Symbol ohne Wert geworden, das bloß den Schein wahrt. Wie so vieles bei City.

1,45 Milliarden Euro für Europas Thron

Die Champions League, die es dem Klub so angetan hat, meinte es bisher nie gut mit City. Die Fans pfeifen daher einerseits bei jeder Gelegenheit die Hymne des Wettbewerbs aus, weil sie sich vom europäischen Verband wegen Sanktionen unfair behandelt fühlen. Andererseits wünscht sich jeder im Klub, insbesondere Eigentümer Scheich Mansour, nichts sehnlicher als den Henkelpokal. Für dieses Ziel hat City unter der Regie des arabischen Investors bereits etwa 1,45 Milliarden Euro an Ablöse für 75 Spieler ausgegeben. In jedem Transferfenster kommen und gehen so viele Akteure, dass der Überblick über den Kader verloren geht.

Seit einem Jahr steht Guardiola dem Team vor, ihm hat sich der Klub sozusagen sportlich ausgeliefert. Im Gegenzug erwarten die Verantwortlichen von Guardiola, dass er sie dorthin führt, wo er als Coach schon zweimal war: auf Europas Thron.

Auf Drängen des katalanischen Trainergurus wurde der Kader seit 2015 für rund 670 Millionen Euro komplett restauriert, zunächst eher die Offensive für 380 Millionen Euro (u. a. Kevin De Bruyne, Raheem Sterling, Leroy Sané, Gabriel Jesus, Ilkay Gündogan), danach die Abwehr für weitere 290 Millionen Euro (u.a. Nicolás Otamendi, Fabian Delph, John Stones, Claudio Bravo, Benjamin Mendy, Kyle Walker, Bernardo Silva, Ederson, Danilo). Diesem Transferirrsinn liegt die Jagd nach einer Trophäe aus Sterlingsilber zugrunde, die 73,5 Zentimeter hoch und 8,5 Kilogramm schwer ist. Der Verein könnte sich den Pokal locker leisten, aber man kann ihn eben nicht kaufen, man muss ihn sich sportlich verdienen. Das ist die Schwierigkeit.

Mit dem aktuellen Kader ist City zum Siegen verdammt, ohne Ausrede. Der Erfolg wird entscheiden, inwieweit die Menschen in Manchester bereit sind, das Vorhaben ihres Klubs zu goutieren. City hat die Entfremdung derart vorangetrieben, dass die Leute in Zukunft tatsächlich vorwiegend zu Hause bleiben könnten.

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