Manchester City vor dem Bayern-Spiel:Emanzipation von den Mancini-Jahren

Manchester City's Nasri celebrates with team mates after scoring a goal during their English Premier League soccer match against Swansea at the Etihad stadium in Manchester

Eitle Granden, vom Trainer befriedet: Manchester-City-Spieler beim Torjubel. In der Mitte: Samir Nasri.

(Foto: REUTERS)

Manchester Citys Trainer Manuel Pellegrini hat es geschafft, ein mit eitlen Granden vollgestopftes Team zu befrieden. Im Schatten der Krise von Manchester United plant der Stadtrivale in relativer Ruhe den Angriff auf Englands Tabellenspitze - die Champions-League-Partie beim FC Bayern gerät beinahe zur Nebensache.

Von Raphael Honigstein, London

Um die qualitative Dichte in seinem Kader wird der FC Bayern inzwischen europaweit beneidet. Trotz massiver Unterfütterung mit Petrodollars hat Manchester City nicht gar so viel Qualität, allerdings kann der Klub - mit ein bisschen Phantasie - an diesem Dienstag in München mit einem Novum aufwarten.

Denn erstmals wird ein Platz auf der Reservebank in der Champions League doppelt besetzt sein. Auf dem neunten Stuhl von links werden bei Anpfiff tatsächlich zwei sitzen, ein aktueller Kicker aus der Mannschaft des Scheichklubs - und dazu Carlos Tévez. Letzterer allerdings nur noch imaginär, als böser Geist aus der Vergangenheit.

Es ist gut zwei Jahre her, dass der Stürmer beim Gastspiel an der Isar seine Einwechslung verweigerte. Der spektakuläre Sitzstreik des Argentiniers verstärkte die 0:2-Niederlage der Hellblauen vollends zur Blamage und markierte den Anfang vom Ende der Ära Roberto Mancini. Citys italienischer Trainer gewann zwar im Sommer 2012 die Meisterschaft, die von Konflikten und Animositäten belastete Atmosphäre beruhigte sich jedoch nie mehr.

Vor Beginn der laufenden Spielzeit musste der 49-Jährige gehen. Das mit eitlen Granden vollgestopfte Team war durch Mancinis herrische Attitüde nicht zu befrieden, auch seine Vereinsoberen hatten kein Vertrauen mehr in ihn. "Alle Spieler und Verantwortlichen waren froh, ihn los zu sein; die Stimmung war wie gelöst", erzählt ein englischer Fernsehkommentator, der den Klub wochenlang in der Saison-Vorbereitung begleitet hatte.

In der Rückschau war Citys schwarzer Abend in Fröttmaning wohl ein notwendiger Akt der Selbstzerstörung. Der kleine Traditionsklub war seit der Übernahme durch die Herrscherfamilie aus Abu Dhabi im September 2008 über Nacht zum Spitzenklub hochgerüstet worden, Mancini und sein Vorgänger Mark Hughes häuften ohne Rücksicht auf emotionales und taktisches Gleichgewicht die Superstars an. Die teuerste Belegschaft der Welt - 230 Millionen Euro betrug der Spieleretat 2012/13 - lieferte im Vorjahr nur noch tolldreiste Geschichten auf höchstem Niveau, aber keine akzeptablen Ergebnisse mehr.

"Unser Fokus liegt auf der Premier League"

Khaldoon Al Mubarak, der in den USA ausgebildete Statthalter von Scheich Mansour, verkaufte in Mario Balotelli (AC Mailand) und Tévez (Juventus Turin) die größten Querulanten nach Italien, und holte, da Wunschtrainer Pep Guardiola nicht verfügbar war, Manuel Pellegrini. Der Chilene, 60, steht allein schon optisch für eine reifere, seriösere Amtsführung. Die 1:3-Niederlage gegen die Münchner im Hinspiel zeigte zwar, dass das von den Kraftprotzen in Abwehr (Vincent Kompany/Belgien) und Zentrale (Yaya Touré/Elfenbeinküste) sowie feinen Individualisten in der Offensive geprägte Ensemble noch kein Kollektiv darstellt, das mit Europas Elite mithalten kann.

Programmatisch wirkte jedoch die Gelassenheit, mit der Pellegrini das Defizit ("Wir haben heute eine wichtige Lektion gelernt") verarbeitete. Das Selbstverständnis des Klubs hat sich von den ständig überhitzten, skandalträchtigen Mancini-Jahren emanzipiert. City kommt nach dem 1:1 gegen Southampton am Samstag als Tabellenvierter nach München, aber niemand interpretiert das als mittelschwere Krise.

Pellegrini ist es mit seiner dezenten Art sogar gelungen, den englischen Nationaltorhüter Joe Hart nahezu geräuschlos auszumustern. Der 26-Jährige darf in München vorspielen, aber in der Liga ist der Rumäne Costel Pantilimon gesetzt. "Joe muss um seinen Platz kämpfen", sagte Pellegrini. Mancini hätten die Medien auf der Insel ein solches Politikum in der WM-Saison kaum verziehen, aber dessen wortkarger Nachfolger bietet wenig Angriffsfläche.

Zudem profitieren Coach und Verein natürlich stark von der Not der berühmteren Nachbarn: Meister Manchester United erlebt unter David Moyes, dem Nachfolger von Sir Alex Ferguson, eine Schreckenssaison und steht auf dem neunten Tabellenplatz. Dagegen verblassen Citys Probleme.

Pellegrini kann nahezu ungestört arbeiten. In der Champions League hat er mit der Qualifikation fürs Achtelfinale schon mehr erreicht als Mancini in den zwei Spielzeiten zuvor. Das Duell mit Tabellenführer FC Arsenal bietet am Samstag die Chance, den Rückstand auf drei Punkte zu verringern - das ist für den Pragmatiker wichtiger, als die theoretische Chance auf den Gruppensieg durch einen deutlichen Erfolg gegen die Bayern. "Unser Fokus liegt auf der Premier League", sagt Pellegrini.

Unter anderem wird wohl die Kunst von Sergio Agüero, dem besten Stürmer auf der Insel, dem Publikum vorenthalten werden. Pellegrini will neben dem Argentinier weitere Stammspieler schonen und nimmt eine Niederlage in Kauf. Er kann es sich leisten, auf ein prestigeträchtiges Resultat in München zu verzichten - das ist tatsächlich die beste Nachricht für seinen Klub in diesem Winter. City ist in der Normalität angekommen.

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