Mainz:Wachstumsschmerzen

Mainz: Die alte Zeit, die gute: Mainz-05-Präsident Harald Strutz (hört in Kürze auf) anno 2007 in Karnevalslaune mit den einstigen erfolgreichen Mitstreitern Axel Schuster (jetzt Sportdirektor Schalke 04), Christian Heidel (jetzt Sportvorstand Schalke 04) und Jürgen Klopp (jetzt Trainer FC Liverpool, von links).

Die alte Zeit, die gute: Mainz-05-Präsident Harald Strutz (hört in Kürze auf) anno 2007 in Karnevalslaune mit den einstigen erfolgreichen Mitstreitern Axel Schuster (jetzt Sportdirektor Schalke 04), Christian Heidel (jetzt Sportvorstand Schalke 04) und Jürgen Klopp (jetzt Trainer FC Liverpool, von links).

(Foto: Rene Schulz/imago)

Abstiegskampf, Zuschauerprobleme, ewige Debatten um den Präsidenten: Der FSV Mainz 05 muss erleben, wie es ist, kein Kultklub mehr zu sein - sondern ein ganz normaler Bundesligist mit ganz normalen Sorgen.

Von Christof Kneer, Mainz

Auch in Mainz gibt es inzwischen alte Helden. Wenn man die Geschäftsstelle betritt, empfangen sie einen rechts und links, gerahmt und verschwitzt hängen sie da, Nikolce Noveski, Dimo Wache, Manuel Friedrich sowie der möglicherweise zu Unrecht vergessene Mohamed Zidan. Selbstverständlich trifft man auch Kloppo irgendwo, sowieso findet sich auf der Geschäftsstelle immer irgendeiner, der behauptet, kürzlich mit Kloppo Kontakt gehabt zu haben. Vom Christian und vom Thomas erzählen sie dann natürlich auch. Der Thomas ist jetzt Trainer in Dortmund, der Christian ist Manager bei Schalke 04.

Der Christian, unter dem Fachbegriff "Heidel" auch außerhalb von Mainz bekannt, hat in seinen 24 Mainzer Manager-Jahren immer eine schöne Theorie griffbereit herumliegen gehabt, und manchmal hat er beim Verbreiten der Theorie so getan, als sei sie ihm spontan eingefallen. Er hat dann also schön lässig erklärt, warum man in Mainz so ruhig arbeiten könne: weil es hier eben keine sog. Gurus gebe, keine Ex-Profis, die zur nächstgelegenen Boulevardzeitung rennen und dort alles besser wissen, weil sie hier in der großen alten Zeit mal gekickt haben. In Mainz habe es halt nie eine große alte Zeit gegeben, hat Heidel immer vergnügt gesagt und sich dann sehr gerne loben lassen.

Die Vergangenheit werde halt "gerne mal verklärt", sagt der neue Manager Rouven Schröder

Der Heidel, dieser Fuchs, hieß es dann immer, der hat aus einem winzigen Fleck auf der Karte eine coole Adresse gemacht, und das, obwohl er keine monstermoderne Scouting-Abteilung beschäftigt, sondern Namen von möglichen neuen Spielern auf gelbe Post-it-Zettel schreibt (was er ebenfalls gerne so erzählte, als sei ihm das gerade erst eingefallen).

Gurus gibt es in Mainz übrigens immer noch nicht, es ist kein kritisches Interview von Wache oder Noveski bekannt. Aber dass diese Spieler allmählich ins Alte-Helden-Alter hineinwachsen, macht die Sache gerade auch nicht viel besser.

Die Vergangenheit werde halt "gerne mal verklärt", sagt Rouven Schröder, 41, der neue Sportdirektor. Er ist seit einem knappen Jahr im Klub und hat damit circa 23 Jahre weniger vorzuweisen als sein Vorgänger Heidel. Schröder ist ein vernunftbetonter, sehr strukturierter Typ, und seine bislang mainzfreie Vita kann ihm eher nicht zur Last gelegt werden, aber sein immer noch neues Gesicht passt im Moment halt ganz gut in die ebenfalls neue Stimmungslage rund um den Klub.

Die Stimmungslage: Plötzlich Abstiegskampf. Geraune über Trainer Martin Schmidt, aber nicht mehr, ob er bald nach Leverkusen geht, sondern, ob er nach zwei, drei Niederlagen noch zu halten ist. Ein Stadion, das nicht mehr ständig voll ist. Dauerdebatten um eine neue Vereinsstruktur mit Aufsichtsrat und hauptamtlichen Vorständen sowie eine Dauerdauerdebatte um Präsident Harald Strutz, der nicht mehr kandidiert, nachdem herauskam, dass er sich für sein bisheriges Ehrenamt mit monatlich 23 000 Euro entlohnen ließ. Sponsoren, die ein wenig vom Glauben abgefallen sind. Probleme mit den Ultras, denen der Klub nach diversen Vorkommnissen für den Rest der Saison keine Auswärtskarten mehr garantiert.

Der Karnevalsklub in Mainz: plötzlich ein Aschermittwoch-Standort?

Wer mag, kann in Mainz Anzeichen einer ernsthafteren Verstimmung erkennen, auch im Klub fragen sie sich ja, ob sie sich vielleicht ein wenig von ihrer Karnevalskundschaft entfremdet haben. Aber die Antwort auf solche Fragen ist vielleicht einfacher, als man denkt: Das Kind ist kein Kind mehr, das alle sooo süß finden. Es ist schnell groß geworden, und jetzt hat es Wachstumsschmerzen.

"Wir sollten nicht sagen: Es ist hier alles nicht mehr so wie früher", sagt Rouven Schröder, "wir sollten eher sagen: Wir sind angekommen, haben uns etabliert. Das betrachte ich als Kompliment."

Ein paar unbeschwerte Jahre haben die Mainzer damit kokettiert, dass sie so etwas wie eine offiziell genehmigte Zweitfrau waren. In den Umfragen unter Fußballfans, welchen Klub sie außer ihrem Lieblingsklub sympathisch finden, lag Mainz zusammen mit dem SC Freiburg immer weit vorn, aber diesen Spitzenplatz, das glauben die Mainzer selbst, haben sie jetzt erst mal eingebüßt. Sie haben zuletzt so solide Erfolg gehabt, dass sie fast automatisch ihr kultiges Gallier-Image verloren haben. Sie sind jetzt ganz normale Römer, mit einigen hausgemachten und vielen ganz normalen Sorgen.

"Wir sollten uns bewusst sein, dass die erste Liga hier auch nach einem Jahrzehnt noch ein Ereignis ist", sagt Schröder, "vielleicht ist hier zuletzt eine kleine Sättigung eingetreten, aber man sollte das Umfeld schon immer wieder darauf hinweisen, dass jeder Sieg in der Bundesliga für Mainz immer noch was Besonderes ist."

Heidel, Klopp, Tuchel, vielleicht sogar Wache: Den Leuten fällt es schwer, die Grenzen des Wachstums zu akzeptieren, und noch schwerer fällt es ihnen, weil sie im Moment nicht mal Gesichter zum Identifizieren haben. Auch dem alten Bruchwegstadion trauern sie hinterher, "die Leute erinnern sich daran, dass es da eng und gemütlich war", sagt Schröder, "und dass es einem ein Heimatgefühl gegeben hat wie die Alm oder das Millerntor. Aber ein modernes Stadion zu haben, ist heutzutage einfach alternativlos, und Kult allein bringt leider keine Punkte".

Am Sonntag spielt Mainz in Ingolstadt, am Mittwoch kommt dann Leipzig. Ist das ein Trost? Gemessen an diesen Gegnern ist Mainz 05 längst ein Traditionsverein.

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