Mainz' Matchwinner Yunus Malli:Kuss aufs Grün

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Drei Tore, fleißige Abwehrarbeit, offene Ohren für Kritik: Beim 3:1 gegen Hoffenheim zeigt Malli, dass er zum Anführer reift.

Von Frank Hellmann, Mainz

Die wenigsten Menschen kennen Peter Perchtold und Sören Hartung. Aber sie sind diejenigen, die nach einem Flutlichtspiel des FSV Mainz 05 noch am längsten zu tun haben. Und im Grunde durcharbeiten, "weil sie die ganze Nacht schneiden", wie Cheftrainer Martin Schmidt am späten Freitagabend erzählt hat. Als im Sommer der hoch geschätzte Video-Analyst Benjamin Weber zu Borussia Dortmund ging, um künftig dem ehemaligen Mainzer Thomas Tuchel zu dienen, da waren die Rheinhessen gezwungen, ihren Helferstab unter dem Tuchel-Schüler Schmidt neu zu ordnen.

Perchtold bekam die Aufgabe des Assistenten übertragen, Hartung übernahm die Analyse. Zirka 150 Szenen sammeln die beiden nach einer Bundesliga-Begegnung, zerlegen sie fein säuberlich und teilen sie den Profis zu. Schmidt: "Für jeden haben wir einen Ordner und können das in die Einzelanalyse zerlegen." So wie kürzlich im Falle Yunus Malli, es ging darum, den Spielmacher in seinem fünften Jahr bei den Rheinhessen auf die nächste Entwicklungsstufe zu hieven.

Schmidts Taktik-Exkurs war nach dem 3:1 (1:1)-Heimsieg gegen die TSG Hoffenheim wichtig, weil jeder wissen wollte, warum es nun gerade Malli gelang, den Gegner vorne auf die Hörner zu nehmen und hinten so eindrucksvoll zu helfen. Dreimal traf er mit verblüffender Selbstverständlichkeit (18., 61. und 68.), und logischerweise blieb dem 23-Jährigen der Kletterakt auf den Zaun vor der Fankurve mitsamt Sprechgesang nicht erspart.

Präsident Strutz ist beeindruckt: Malli zeigt mehr Körpereinsatz

Sein Spiel: Yunus Malli trifft gegen Hoffenheim dreimal für Mainz. (Foto: Alex Grimm/Getty Images)

"Ich fühle mich hier wohl, mein Umfeld lässt mich in Ruhe, ich habe Selbstvertrauen und Freiheiten auf dem Platz", sagte der Deutsch-Türke. Erst am Dienstag hatte er auf dem Standesamt in seiner Heimatstadt Kassel seiner Lebensgefährtin Hatice das Ja-Wort gegeben, auf die Hochzeit folgte der Sieg als Zugabe. Das Mainzer Publikum applaudierte dem Matchwinner, der sich als gläubiger Moslem mit einem Kuss aufs satte Grün bedankte. "Weil ich das erleben durfte", erklärte Malli und sagte, er sei niemand, der große Töne spuckt und herumschreit, "das überlasse ich anderen." Seine aufsehenerregendste Tat nach Spielschluss: Er nahm den Spielball mit nach Hause.

Der nun fünfmal in Serie erfolgreiche Torschütze, vom Stadionsprecher Klaus Hafner für seinen "dreifachen Yunus" gelobt und vom Publikum bei seiner Auswechslung kurz vor Spielende mit beinahe fanatischen Beifallsbekundungen bedacht, hat in der Arena am Europakreisel schon ganz andere Zeiten erlebt. Daran erinnerte Präsident Harald Strutz. Ihn beeindruckte an dem 2011 von Borussia Mönchengladbach geholten Feingeist, "wie sehr er jetzt seinen Körper einsetzt".

Früher fanden die Fans Mallis Spielweise zu zögerlich, sein Auftreten zu zaudernd - und tatsächlich war lange unklar, ob der offensive Mittelfeldspieler mit türkischen Wurzeln noch den Durchbruch schafft. Nun mehren sich die Indizien: Malli kann auf konstant hohem Niveau kicken. "Das waren, glaube ich, nicht seine letzten Tore. Deshalb haben wir uns sehr angestrengt, seinen Vertrag zu verlängern", erläuterte Manager Christian Heidel. Das nach langem Tauziehen unterzeichnete Arbeitspapier ist bis 2018 gültig, "und wir haben bestimmt nicht vor, ihm gleich wieder zu verkaufen". Malli könne noch "viele Dinge verbessern, ich habe immer vor Augen, wie er mit 18 zu uns kam". Als einer, der sich mitunter scheu wie ein Reh über den Rasen bewegte.

Auch in der langen Einzelschulung erweist sich Malli als geduldig

Bereits in diesem Sommer waren etliche Klubs, vor allem auch türkische Erstligisten auf Malli aufmerksam geworden. "Es gab interessante Angebote", bestätigte er, "aber sich hier zu entwickeln, ist der beste Weg." So wie André Schürrle einst nach Leverkusen oder jüngst Johannes Geis nach Gelsenkirchen wechselte, das kann er in zwei, drei Jahren immer noch. In Mainz hätten sich alle um ihn sehr bemüht, Manager und Trainer erwähnte er explizit.

Letzterer schätzt das Potenzial seines derzeit besten Profis. "Yunus macht mit dem Ball sehr vieles richtig. Er ist ein top Ballschlepper, da haben wir beide wenig Arbeit miteinander." Was der ähnlich wie Tuchel sehr pedantisch veranlagte Schweizer Fußballlehrer beim Filigrantechniker aber unbedingt verbessern wollte, war das Defensivverhalten. Schmidt: "Wie unterstützt er die Doppel-Sechs? Wann kippt er ab? Wie bringe ich die Willensleistung gegen den Ball auf?" Diese Fragen erörterte der 48-Jährige in einer langen, langen Einzelsitzung vor dem Hannover-Spiel mit Malli. Der habe sich aufgeschlossen und gelehrig gezeigt, "aber zu oft kann man das auch nicht machen. Sonst überfrachtet man die Spieler".

Ganz wichtig sei es, den richtigen Zeitpunkt für solch eine Individualschulung zu erwischen. Da steckt der Trainerstab schon mal zehn Stunden Vorbereitungszeit hinein, und Schmidt nimmt "einen Stoß Papier" mit. "Wenn einer schlecht spielt und man hält ihm all die Szenen unter die Nase, die nicht richtig sind, passt es nicht so gut. Die Profis sind am empfänglichsten, wenn sie einen Lauf haben." Malli wird er trotzdem vorerst in Ruhe lassen. Und nur zart darauf hinweisen, jetzt bitte nicht nachzulassen. Denn das verbietet sich bei den kommenden Mainzer Gegnern: Am Mittwoch geht es nach Leverkusen, nächsten Samstag kommen die Bayern.

© SZ vom 20.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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