Mailänder Klubs in der Krise:Wie in den achtziger Jahren

Während Juventus Turin erfolgreichen Arbeiterfußball spielt, der so altmodisch wie das Haarteil ihres Trainers ist, stehen die Mailänder Vereine im Tabellenkeller. Ihre Konzeptlosigkeit versuchen sie hinter diabolischen Verschwörungen zu verbergen - und quatschen damit ihre großen Nöte einfach weg.

Birgit Schönau, Rom

Juventus Turin Erster, SSC Neapel Dritter. Man muss schon eine Zeitreise unternehmen, um diese Konstellation zu finden, zuletzt gab es sie Ende der achtziger Jahre. Juve Erster, Napoli Dritter, das klingt wie ein Déjà-vu, wenn nicht ganz unten, knapp vor den Abstiegsplätzen, die beiden Erzrivalen stehen würden. AC Mailand Platz 15, Inter Mailand Platz 17. Juve teilt sich die Tabellenführung mit Udine, dazu passt der Kommentar des Turiner Torwarts Gianluigi Buffon: "Wir sind zwar nicht die beste Mannschaft. Aber wir gewinnen." Die beste Mannschaft der Serie A ist der SSC Neapel. Die gewinnt aber auch.

Juventus' coach Conte reacts during their Italian Serie A soccer match against AC Milan in Turin

Trägt wegen seinem Kunsthaar den Spitznamen "Das Haarteil": Juventus-Trainer Antonio Conte.

(Foto: REUTERS)

Juventus besiegte am Sonntagabend den AC Mailand. 2:0, zwei Tore von Claudio Marchisio in der 87. Minute und in der Nachspielzeit, nach einer Partie ohne Schnörkel und Höhepunkte. Denn die alte Dame Juve, neuerdings trainiert vom ehemaligen Spieler Antonio Conte, zeigt tapferen, glanzlosen Arbeiter-Fußball. Da wird gerackert, gerannt, gemauert und gekämpft, und am Ende gibt es tatsächlich meistens drei hart erschwitzte Punkte.

Es ist ein Fußball, der genauso rührend altmodisch ist wie das Toupet des Trainers Conte (Spitzname: Il parrucchino). Irgendwie achtziger Jahre eben, und so klingen auch Contes treuherzige Beschwörungsformeln: "Wir geben nie auf. Das ist unser Geheimnis."

Mit alten piemontesischen Stehertugenden und einem nagelneuen, eigenen Stadion durch die Krise - so macht es der Fiat-Klub aus Turin. Die Konkurrenz in Mailand hingegen ist Dauermieter in San Siro, hat einen Präsidenten mit einzeln eingepflanzten Asphalthaaren und einen Trainer, dessen Konfusion vielleicht gerade noch von der Regierungsmannschaft in Rom übertroffen wird. "Ich bin nicht nervös, ich habe keinen Grund zur Sorge", beteuerte Milan-Coach Massimiliano Allegri am Ende des desaströsen Abends in Turin.

Krise? Welche Krise? Der AC Milan steht hinter den Kleinklubs Siena und Novara, seine Stürmer Antonio Cassano und Zlatan Ibrahimovic wären die Lachnummer der Liga, wenn man nicht Angst hätte, ihnen im Dunkeln zu begegnen. Aber Allegri quatscht die offensichtlichen Nöte einfach weg, was einem ja auch irgendwie bekannt vorkommt.

Nur zu Kevin-Prince Boateng fiel dem Trainer kein Euphemismus ein. "Ein Nichts im rotschwarzen Trikot", beschrieb ihn am Montag der Mailänder Corriere della Sera, was etwas ungnädig war, denn Boateng hat durchaus Talent. Er weiß nur nicht mehr, wie er es anwenden soll. Gegen Juventus spielte er keinen ordentlichen Pass, foulte aber fröhlich vor sich hin, und als er es dann auch noch wagte, Giorgio Chiellini mit der Hand den Ball vom Quadratschädel zu klauben, kassierte Boateng zur allgemeinen Erleichterung einen Platzverweis.

Ranieri probiert es wie José Mourinho

Sicher, Milan bestreitet im Gegensatz zu Juventus die Champions League - zuletzt gelang da dank Ibrahimovic und Cassano ein 2:0 gegen Viktoria Pilsen. Inter und Neapel spielen im selben Turnier, hatten also am Samstagabend schon eine anstrengende Woche hinter sich. Dass Neapel mit einem 3:0 der erste Sieg im Meazza-Stadion nach 17 Jahren gelang, lag aber nicht nur an einer falschen Schiedsrichter-Entscheidung, wie die Gastgeber in allen Tonlagen monierten. Spielleiter Gianluca Rocchi bescherte Napoli zu Unrecht einen Elfmeter, den Marek Hamsik verschoss, bevor Hugo Campagnaro regelwidrig nachsetzte.

Kevin-Prince Boateng

Foulte sich erst fröhlich durch das Spiel und flog anschließend wegen einem Handspiel vom Platz: Kevin-Prince Boateng.

(Foto: imago sportfotodienst)

Inter war nach dem ebenfalls zweifelhaften Platzverweis für Joel Obi in Unterzahl - das rechtfertigte jedoch nicht den verheerenden Einbruch der Abwehr, die sich von Christian Maggio und Marek Hamsik vorführen ließ. Neapel dirigierte auch ohne seinen verletzt ausgefallenen besten Spieler Edinson Cavani mühelos das Spiel, während Inter nicht viel mehr zeigte als schwache Nerven. Der neue Trainer Claudio Ranieri beschwört zwar unverdrossen die Fähigkeiten seiner Mannschaft, "die eigentlich an die Spitze gehört". Doch vorerst attackierte Ranieri frei nach seinem Vorgänger José Mourinho den Schiedsrichter derart forsch, dass er vom Platz gestellt wurde.

Wie so oft wird in Mailand versucht, die Konzeptlosigkeit hinter Verschwörungstheorien zu verbergen, bei denen die Referees als Vollstrecker der diabolischen Pläne finsterer Mächte fungieren. Die Statistik spricht indes eine klare Sprache. Vier Punkte in fünf Spielen, elf Gegentore für die derzeit schwächste Abwehr der Liga: Auf Ranieri wartet eine Menge Arbeit, wenn er das Publikum in San Siro zurückgewinnen will.

Das schien am Samstag weitgehend aus Neapolitanern zu bestehen, die den Sieg der Südländer ausgelassen bejubelten. In zwei Wochen spielt die Musik wieder im Stadio San Paolo. In San Siro aber macht, wenn das so weitergeht, der Letzte das Licht aus.

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