Magdalena Neuner bei der Biathlon-WM:Schnäpschen in der Mädels-WG

Magdalena Neuner zeigt sich bei ihrer letzten WM als deutsche Medaillensammlerin mit vielen Gesichtern - und erlebt noch einmal die widersprüchliche Zuneigung ihres Publikums. Beobachtungen aus anderthalb Wochen Wahnsinn mit der Wallgauerin.

Carsten Eberts und Joachim Mölter, Ruhpolding

Die Biathlon-WM neigt sich dem Ende, sie steht im Zeichen von Magdalena Neuner, der alles überstrahlenden Frontfrau, die nach dieser Saison im Alter von gerade 25 Jahren ihre Karriere beenden wird. Neuner selbst tut alles dafür, damit diese Heim-WM ihre persönlichen Festspiele werden, nicht nur mit ihren Medaillen: Mal strahlt Neuner, mal ist sie erbost, in nur wenigen WM-Tagen zeigte sie alle Facetten ihrer Persönlichkeit. Beobachtungen aus anderthalb Wochen Wahnsinn mit der Wallgauerin.

Magdalena Neuner bei der Biathlon-WM: Magdalena Neuner.

Magdalena Neuner.

(Foto: AFP)

Die Selbstbewusste Magdalena Neuner erscheint an einem grauen, wolkenverhangenen Tag in Ruhpolding - und erhellt sofort die Chiemgau-Arena. "Wir versuchen, die Sonne im Herzen zu tragen", sagt sie fröhlich, "wir machen uns das schöne Wetter selber." Zwei Tage vor dem ersten Wettkampf, der Mixed-Staffel, murmeln ihre Teamkollegen etwas von einer Medaille als Ziel. Neuner entgegnet: "Warum nicht nach den Sternen greifen? Wir haben eine Superchance, Gold zu gewinnen."

Man hat selten einen Sportler erlebt, der vor einem großen Wettkampf so selbstsicher seine Ambitionen verkündet hat: sechs Medaillen, in jedem Rennen eine, zum Start eine goldene! "Wenn man sich wirklich Gold wünscht", erklärt sie, "strengt man sich noch mal etwas mehr an." Neuner arbeitet seit einiger Zeit mit einem Mentaltrainer, er hat ihr geholfen, ihre Psyche zu stärken. Mit der Kraft ihrer Gedanken scheint Neuner sogar die Wolken vertreiben zu können: Bei der Mixed-Staffel durchflutet Sonnenschein die Arena. Dass das deutsche Quartett kein Gold gewinnt, liegt nicht an ihr.

Die Normale

Ein Einzelzimmer bei der WM in Ruhpolding lehnt Neuner ab, da gibt es schließlich noch Miriam Gössner, ihre beste Freundin im Team. "Ich bin immer für den Wasserkocher zuständig, die Miri für den Fön", plaudert Magdalena Neuner aus dem WG-Alltag, der vor allem besteht aus: ratschen, singen, kichern, plaudern. Und: Bloß nicht über Biathlon reden. Der Fernseher bleibt meistens aus, mit einer Ausnahme.

Biathlon-WM 2012

Magdalena Neuner.

(Foto: dpa)

Gesprächsthema Nummer eins ist die US-Teenie-Serie "One Tree Hill" und insbesondere Hauptdarsteller Lucas Scott (gespielt von Chad Michael Murray). "Der Lucas ist der absolute Hammer. Da sind Magdalena und ich uns einig", sagt Miriam Gössner und kichert. Sie sagt aber auch: "Ich weiß jetzt schon, dass es traurig sein wird, wenn sie nicht mehr dabei ist." Die Wohngemeinschaft löst sich nach dieser Saison zwangsläufig auf.

Die Verantwortungsvolle

Biathlon-WM 2012

Magdalena Neuner.

(Foto: dpa)

Panne-Mann", hat eine deutsche Boulevardzeitung getitelt: "Peiffer verballert Lenas erstes Gold." Neuner missfällt, was sie lesen muss, vermutlich wird sie darauf angesprochen, wie ihr Teamkollege Arnd Peiffer nach seinen Schießfehlern in der Mixed-Staffel zum Buh-Mann degradiert wurde. Sie wolle etwas loswerden, erklärt Neuner deshalb am Ende einer Pressekonferenz: "Der Arnd hat in der Mixed-Staffel einen tollen Job gemacht und Bronze gerettet."

Als Frontfrau der Delegation, so die Botschaft, trägt sie Verantwortung für ihre Kollegen, die sie mit ihren Erfolgen (und Erwartungen) mit nach oben gezogen hat. Nun stellt sie sich vor Peiffer. Und schickt an die betreffenden Journalisten hinterher: "Die Leute sollten sich wirklich überlegen, was sie schreiben."

Die Glückliche

Biathlon-WM 2012

Magdalena Neuner.

(Foto: dpa)

Samstagabend im Champions Park, Siegerehrung im Sprint, die Nationalhymne erklingt. Magdalena Neuner blickt mit großen Augen von der Bühne, gerader Rücken, feines Lächeln, vollkommen entspannt und im Reinen mit sich und der Welt. Ein Stillleben inmitten des Jubels, Trubels und Hunderten schwarz-rot-goldener Fahnen, geschwenkt von tausenden Menschen. "Ich hab's genossen", sagt Neuner, "ich hab' versucht, die ganze Stimmung aufzusaugen." Sie hätte nicht eigens sagen müssen, was ihr dieser Titel bedeutet: "Ich bin hier in Deutschland Weltmeisterin geworden."

Biathlon-WM 2012

Magdalena Neuner.

(Foto: dpa)

Die Empörte

Plötzlich lächelt Magdalena Neuner nicht mehr, ihr Blick gefriert. Sie hat gar nicht lange überlegt, ob sie nun tatsächlich kritische Worte an ihre Fans loswerden soll oder nicht - es sprudelt einfach aus ihr heraus. "Ich teile die Mentalität der vielen nicht", klagt Neuner nach ihrer Silbermedaille im Verfolgungsrennen. Gemeint sind jene Fans, die ihr auf der Strecke nichts weiter als "Leeeeeenaaaa, Goooooold" entgegenbrüllen.

Für die es schon eine Enttäuschung ist, wenn ihre Lena mal nur als Zweite ins Ziel kommt. "Das ist die Mentalität vieler Fans. Sie sind mit Silber nicht zufrieden. Und mit Bronze schon gar nicht", klagt sie. Doch war es nicht Neuner selbst, die die Erwartungen hochschnellen ließ? Nach dem zweiten Platz in der Verfolgung betont sie ausdrücklich: "Ich bin superzufrieden mit dieser Silbermedaille. Ich bin schon Weltmeisterin und muss mir nichts mehr beweisen."

Biathlon-WM 2012

Magdalena Neuner.

(Foto: dpa)

Die Rockende

Weil am Montag Ruhetag ist, beraumt der Deutsche Skiverband (DSV) für den Sonntagabend einen Familientag an im DSV-Treff, einer Holzhütte, die er auf dem Golfplatz im Ruhpoldinger Ortsteil Zell installiert hat. Für gewöhnlich werden dort Sponsoren bewirtet und andere wichtige Personen, an diesem Abend dürfen sich dort die Sportler mit ihren Angehörigen treffen.

Das hatte Magdalena Neuner bei ihren zwei Olympiasiegen von Vancouver 2010 ja am meisten gestört - dass sie kaum Zeit hatte, ein paar Worte mit ihren Eltern zu wechseln. Nun bekommt sie einen ganzen Abend, sie freut sich darauf. "Jetzt trinken wir erst einmal einen Schnaps auf die Medaille Nummer drei", kündigt sie an, nachdem sie am Nachmittag ihren Medaillensatz vervollständigt hatte.

Journalisten sind auch zugelassen an diesem Abend, unter zwei Bedingungen: keine Interviews, keine Fotos. Als sich Neuner und ihre Teamkolleginnen in fortgeschrittener Stunde zur Band auf die Bühne gesellen und Stimmungsklassiker singen wie "Country Roads" oder "Schifoan", werden natürlich trotzdem Fotohandys gezückt. So ausgelassen kriegt man Neuner sonst nicht zu sehen. Am nächsten Tag kursieren die Bilder bereits im Internet, beim DSV ist man sauer auf die bösen, bösen Boulevardmedien, die sich nicht an die Abmachung gehalten haben. Das größte Foto von der rockenden, ausgelassenen Lena druckt freilich eine seriöse Familienzeitung: der Münchner Merkur.

Biathlon-WM 2012

Magdalena Neuner.

(Foto: dpa)

Die Enttäuschte

"Woran lag's? Das ist ja meine Lieblingsfrage!" Dass Magdalena Neuner schnippisch antwortet, ist selten - in der Regel ist sie um Freundlichkeit bemüht. So ist sie erzogen worden in Wallgau, ihrem kleinen Heimatort nordöstlich von Garmisch-Partenkirchen. Es muss also etwas Außergewöhnliches geschehen sein: Sie hat keine Medaille gewonnen. Und das im Einzelrennen, wo sie so gerne eine geholt hätte, um ihre Karriere abzurunden. Die klassische Biathlon-Disziplin bleibt die einzige, in der sie nichts Handfestes vorzuweisen hat. Verständlich, dass sie ihre Enttäuschung nur schwer verbergen kann.

Entgegen eines weit verbreiteten Glaubens ist Magdalena Neuner halt nur ein Mensch - auch bei ihr regt sich mal ein anderes Gefühl als Fröhlichkeit. Es legt sich aber auch schnell wieder. "Ich glaube, die Enttäuschung ist bei vielen größer als bei mir", sagt die Rekord-Weltmeisterin, nachdem sie darüber geschlafen hat: "Ich muss mir selber nichts mehr beweisen." Die Sache mit den sechs Medaillen, die sie nun nicht mehr gewinnen kann, ist auch schnell abgehakt: "Das war ja das, was auch die Leute hören wollten, oder?"

Die Zurückgezogene

Und nach der Karriere? "Das geht niemanden etwas an", sagt Magdalena Neuner und grinst. Sie wisse schließlich selbst noch nicht so genau, worauf sie in ein paar Wochen Lust hat. Auf jeden Fall: Mehr Zeit mit der Familie verbringen. Weniger Trubel. Nur noch ausgewählte Termine. "Viele denken, ich werde unmittelbar als Trainerin einsteigen, aber das wird nicht so sein", sagt sie. Irgendwann vielleicht, dann aber auch nicht bei den Profis, eher im Schülerbereich.

Nur eines hat Neuner bereits geplant: ihr Abschiedsrennen am 29. Dezember in der Fußball-Arena auf Schalke: "Ich bin in den letzten Jahren nie in der Schalke-Arena gestartet. Das will ich nachholen, um gemeinsam mit 50.000 Fans zu feiern." Ein klein wenig verplant Neuner ihr kommendes Dreivierteljahr damit doch: Sie muss annähernd in Form bleiben. Und ein wenig Schießen üben. Neuner sagt: "Sonst wird es peinlich."

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