Männer-Weltcup:Es ist Liebe

Männer-Weltcup: Beim Hahnenkamm-Rennen fluten Zehntausende Touristen die Stadt.

Beim Hahnenkamm-Rennen fluten Zehntausende Touristen die Stadt.

(Foto: Robert Jäger/AFP)

Auf der Streif, die sich traumhaft schön und schön gefährlich präsentiert, gelingt dem Italiener Dominik Paris ein Sieg, den er sich nicht so recht zugetraut hat.

Von Johannes Knuth, Kitzbühel

Dominik Paris musste dann noch ein letztes Mal zittern, es war während seines Siegerinterviews. Während Paris, der Führende bei der Abfahrt in Kitzbühel, im Zielraum über seine bevorstehende Krönung sprach, unter Vorbehalt, begehrten auf der Strecke die später gestarteten Außenseiter auf. Der Franzose Johan Clarey rüttelte an Paris' Zeit, kurz darauf Valentin Giraud Moine, ebenfalls Frankreich. Aber mit einer feindlichen Übernahme wurde es dann doch nichts. Der Stadionsprecher setzte seine Befragung fort, und Paris antwortete in einem Dialekt, der irgendwo zwischen Südtirolerisch, Italienisch und bislang unerforschten Alpensprachen pendelte. Das verstand zwar niemand, war aber auch nicht weiter schlimm. Man spürte, wie der Italiener vor Freude dampfte über einen Sieg, den er sich nicht so recht zugetraut hatte.

Kitzbühel und seine berüchtigte Abfahrtspiste hatten sich am Samstag in ihre schönsten Kleider geworfen. Es war sonnig, kalt, traumhaft schön und schön gefährlich. Die Streif war mal wieder die gefährlichste Abfahrt des Winters, und Dominik Paris, 26, aus Ulten in Südtirol, war am Ende ihr Sieger, vor Giraud Moine und Clarey. "Ist es Liebe?", wurde er später gefragt. "Schaut so aus", antwortete Paris. Wenn er im alpinen Ski-Weltcup reüssiert, dann jedenfalls oft in Kitzbühel, 2013 hatte er die Abfahrt schon einmal gewonnen, 2015 fiel ihm der Super-G zu. "Der erste Sieg passiert. Der zweite ist der schwerere", befand Paris, der diesmal von "ein bisschen mehr Emotionen" überfallen wurde. Und jetzt? In Kitzbühel ist es Tradition, dass die drei Abfahrtsbesten abends in einem Klub als Barkeeper arbeiten, als Paris vor vier Jahren gewann, rissen sie ihm dort das T-Shirt vom Leib; später soll er mit nacktem Oberkörper Bier serviert haben. "Ich glaube, das halte ich heute nicht mehr aus", sagte Paris am Samstag, er lachte. Sein Arbeitstag hatte es ja auch in sich gehabt.

Oben lag blankes Eis, "es war wie auf einem Eishockeyfeld"

Die Organisatoren hatten im unteren Streckenteil ein paar bauliche Maßnahmen vorgenommen. Die Passage hinter der Hausbergkante war ebener präpariert als vor einem Jahr, als Svindal, Reichelt und Streitberger in einer Kompression verunfallt waren. Dafür waren die Prüfungselemente im oberen Streckenabschnitt mit blankem Eis überzogen, Mausefalle, Karussell, Steilhang, es war "wie auf einem Eishockeyfeld", sagte der Amerikaner Travis Ganong. Irgendwo suchen sie in Kitzbühel noch einmal das Extreme im Extremen.

Steven Nyman, Amerika, eröffnete das Rennen. Nyman ist einer der besten Abfahrer des Planeten, doch weil die besten Schnellfahrer seit diesem Winter eine Startnummer zwischen eins und 19 wählen müssen, starten sie jetzt schon mal zu Beginn eines Rennens. Nyman war also nur ein Testpilot, der Fahrrinne und Gelände ausleuchtete. Peter Fill, der Vorjahressieger, zeigte die erste prämienfähige Fahrt. Kjetil Jansrud, bislang bester Abfahrer des Winters hinter dem krankgeschriebenen Svindal, wehte es dagegen weit zurück. Ihm unterlief kein Pilotenfehler, er verhedderte sich im Mittelteil bloß in den unscheinbaren Kurven, in denen man kaum Zeit gewinnt, aber viel verlieren kann. Er wurde 36. Dann war Paris dran, er begann verhalten, aber in der Traverse kurz vor dem Ziel, wo der Hang nach rechts ins Nichts stürzt, erschuf er die prächtigste Linie. Wo andere ins Nichts rutschten, schmiegte Paris sich eng ans obere linke Tor, wo anderen die Skier um die Ohren schlugen, presste Paris seine in den Schnee, als fahre er auf Schienen. Die letzten Meter drückte es ihn mit der Kraft von knapp 100 Kilogramm Richtung Tal. Bestzeit.

Feuz rauscht mit Zwischenbestzeit entkräftet ins Fangnetz

Ein Angriff nach dem nächsten verdampfte. Max Franz, Österreichs Formstärkster in diesen Tagen, hob nach der Mausefalle ab, verlor ein Ski. Der Schweizer Beat Feuz, gezeichnet von diversen Knieverletzungen, wenig Training und gesegnet mit überbordendem Talent, brachte sieben Zehntel Vorsprung bis zur Schrägfahrt im Zielhang mit. Dann verließ ihn die Kraft. Feuz fiel wie ein Stein aus der Ideallinie, er rauschte ins Netz. Zum ersten Mal legte sich diese nervöse Stille übers Ziel, die jeden Sturz auf der Streif begleitet. Ein paar Minuten später stieg Feuz aus eigener Kraft aus dem Netz. Alles gut. Großer Applaus.

Die Verbliebenen wussten spätestens jetzt, dass sie eine Fahrt am Limit aufführen mussten, um Paris zu verdrängen, und dieser Ritt gelang niemandem mehr. Der Italiener Christof Innerhofer rutschte mit einem Ski über die Bande im Steilhang; Clarey und Giraud Moine entglitt das Rennen im Zielhang. Später befand der Sieger: "Ich hatte auch viel Glück."

Zwei Jahre lang verdingte sich der Tagessieger als Kuhhirte

Paris ist dieser Sieg freilich nicht ganz zufällig zugeweht. Dafür führt der Italiener eine viel zu große Befähigung mit sich. Aber der 26-Jährige galt bei aller Begabung auch als einer, der sich immer mal wieder selbst den Weg versperrte. Er flog einst von der Sportoberschule und aus den Förderkadern, weil er lieber feierte und Heavy Metal hörte als zu trainieren. Dann entschied er sich, das Sommertraining nicht mit der Mannschaft zu absolvieren, sondern zwei Sommer als Kuhhirte auf einer Alm in der Schweiz, wo er rund 30 Kilogramm abnahm. Vier Jahre später gewann er beim Heimrennen in Bormio seinen ersten Weltcup, sechs weitere folgten, drei in Kitzbühel, bei der WM 2013 gewann er Silber in der Abfahrt.

Gute und schlechte Resultate wechseln sich bei Paris immer mal ab, er hat sich aber auch längst als der beste Speed-Fahrer eines etwas jüngeren Jahrgangs etabliert, dem auch Andreas Sander angehört. Der war am Samstag als 13. bester Deutscher. Eigentlich, sagte Sander, "müsste ich recht zufrieden sein, so richtig zufrieden bin ich aber nicht". Und das war vermutlich die beste Nachricht an einem Tag, an dem Josef Ferstl nur 34. wurde und Thomas Dreßen sowie Dominik Schwaiger ausschieden: dass die einst so schwer verbeulten Abfahrer einem 13. Platz auf der schaurigen-schönen Streif mittlerweile mit lauwarmen Gefühlen begegnen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: