Männer-Halbfinale in Wimbledon:Angriff auf die großen vier

Männer-Halbfinale in Wimbledon: Grigor Dimitrov: "Baby-Fed" will auf den Thron

Grigor Dimitrov: "Baby-Fed" will auf den Thron

(Foto: AFP)

34 der vergangenen 36 Grand-Slam-Turniere hat einer der Etablierten gewonnen: Federer, Nadal, Djokovic oder Murray. Beim Halbfinale in Wimbledon greift nun die Jugend nach dem Triumph - es ist der Aufschwung einer neuen Generation im Männertennis.

Von Michael Neudecker, London

Boris Becker hat neulich in Wimbledon über Roger Federer gesprochen, es ging dann auch um die Zahl von 17 Grand-Slam-Turnieren, die Federer bisher gewann, die beeindruckendste von so vielen beeindruckenden Zahlen in Federers Karriere. "17 Grand Slams", sagte Becker, "ich weiß gar nicht, wie das überhaupt geht." Er blickte, als wüsste er es wirklich nicht.

Boris Becker war ein großartiger Tennisspieler, aber Federer ist der erfolgreichste Tennisspieler der Geschichte, an guten Tagen spielt er immer noch, als sei Tennis ein Kind von ihm. In Wimbledon dieses Jahr hatte er viele gute Tage, auf dem Weg ins Halbfinale hat er einen einzigen Satz abgegeben, im Viertelfinale gegen Stan Wawrinka hat er zum ersten Mal im ganzen Turnier ein Aufschlagsspiel verloren. Im Halbfinale an diesem Freitag spielt er gegen Milos Raonic aus Kanada, 23 Jahre alt.

Milos Raonic hat auch über Roger Federer gesprochen, auch er sprach voller Anerkennung. Als jemand wissen wollte, mit welcher Einstellung er in dieses Match auf dem Centre Court gehen würde, sein erstes Grand-Slam-Halbfinale überhaupt, sagte Raonic, er sehe das so: "Ich spiele nicht gegen den siebenmaligen Wimbledon-Sieger, ich spiele nicht gegen einen 32 Jahre alten Mann, der alles gewonnen hat, ich spiele nicht gegen einen Vater von zwei Zwillingspärchen", was er übrigens auch ziemlich beachtlich finde. "Ich spiele gegen den Typen, der mir im Weg steht."

Milos Raonic ist kein Rotzlöffel, er ist nicht respektlos. Wenn Milos Raonic Tennis spielt, erzeugt er ein krachendes Geräusch, wenn er auf den Ball drischt, allein sein Aufschlag ist eine Wucht, er hat in Wimbledon 147 Asse geschlagen, mehr als alle anderen; wenn Raonic spricht, redet er ohne laute Geräusche. Seine unerhörte Einstellung für das Spiel gegen Federer ist selbstverständlich: Tennis erlebt gerade ein Jahr der Veränderung. Federer sagt: "Es ist eine aufregende Zeit."

Dominanz kann langweilen

Raonic sagt, es sei toll, Teil dieser Bewegung zu sein, er findet: "Schön zu sehen, dass die Großen menschlich sind." Er weiß genau, wann er diese Erkenntnis gewann, das war im Januar, als er mit dem kanadischen Team in Tokio war, für den Davis Cup. Er war bei den Australian Open ausgeschieden, aber der Schweizer Wawrinka besiegte dort erst Djokovic und im Finale Nadal, "da dachte ich", sagt Raonic, "wenn der das kann, warum nicht auch ich?"

Seit 2005 sind 36 Grand-Slam-Turniere ausgetragen worden, 34 davon haben die sogenannten Großen Vier gewonnen, Federer, Rafael Nadal, Novak Djokovic, Andy Murray. Tennis besteht seit knapp zehn Jahren im Wesentlichen aus Federer/Nadal/Djokovic/Murray, die Dominanz ist das, was diese Vier dem Sport hinterlassen, aber Dominanz kann das Publikum langweilen.

Kann sein, dass auch in Wimbledon wieder einer dieser Vier gewinnt, zwei sind zwar schon ausgeschieden, Nadal und Murray, aber Federer und Djokovic sind noch dabei. Doch es ist nicht mehr so wie vor einem Jahr, Andy Murray sagt: "Vor einem Jahr konntest du gegen Jungs wie Raonic oder Dimitrov noch durch die größere Erfahrung gewinnen. Aber die Jungs sind erwachsener geworden, wenn du jetzt nicht gut spielst, verlierst du."

Andy Murray hat im Viertelfinale gegen den Bulgaren Grigor Dimitrov verloren, 23 wie Raonic, in drei Sätzen, und jetzt steht da das Halbfinale von Wimbledon wie ein Symbol des Umbruchs: Dimitrov gegen Djokovic, Raonic gegen Federer.

Hier kommt "Baby-Fed"

Eine Überraschung ist das nicht, Raonic ist die Nummer neun der Welt, Dimitrov ist die Nummer 13, er wird nach Wimbledon in den Top Zehn stehen, vor Murray. Raonic und Dimitrov sind die Repräsentanten einer Generation, zu der auch der Japaner Nishikori und der Lette Gulbis gehören, die seit einiger Zeit schon "an die Tür klopft", wie Federer das formuliert. Und die nun so weit ist, dass es keine Sensation mehr ist, wenn einer der Großen Vier im Viertelfinale ausscheidet.

Grigor Dimitrov war zu Beginn des Jahres noch Nummer 23 der Welt, er hatte ein Turnier gewonnen, inzwischen sind drei weitere dazugekommen, er gewann in Acapulco auf Hartplatz, in Bukarest auf Sand und in Queens auf Rasen. Drei Turniersiege auf drei Belägen, allein das zeige, wozu Dimitrov fähig sei, sagt Djokovic.

Die Wenigsten in der Szene zweifeln, dass er einmal in Wimbledon gewinnen wird, auf der größten Bühne, die dieser Sport zu bieten hat, denn Dimitrov ist einer, dem es nichts ausmacht, sich auf großen Bühnen zu bewegen. Er lebt in Los Angeles und spricht fließend Englisch, seine Freundin ist Maria Scharapowa, davor hat er sich mit Serena Williams getroffen. Die Tennis-Presse nennt ihn seit Jahren "Baby-Fed", weil er nicht nur so spielt wie Federer, ästhetisch, vielseitig, mit einer starken, einhändigen Rückhand, sondern weil er auch als Typ ähnlich ist: souverän, freundlich, zurückhaltend, ohne dabei blass zu bleiben.

"Baby-Fed" ist ein Kompliment, für Dimitrov aber war das auch belastend: Er ist ja keine Kopie, er ist sein eigenes Original, es war nicht einfach für ihn, sich zu emanzipieren. Nun ist ihm das gelungen, so gut, dass es nicht einmal ein Problem ist, dass er von der Agentur beraten wird, die Tony Godsick und Roger Federer gehört.

Rafael Nadal hat in Wimbledon in der dritten Runde gegen Nick Kyrgios verloren, einen 19-jährigen Australier, der auch zu den Jungen gehört, die auf die Bühne drängen. Er war enttäuscht danach, aber nicht überrascht, es ist Teil des Sports, dass sich Generationen abwechseln, Nadal weiß das so gut wie Federer und die anderen. Daran ändern auch die aufgeregten Fragen nicht, die ihnen trotzdem manchmal gestellt werden, wenn sie verlieren.

Vor zwei Monaten, in Rom, hatte Nadal in den ersten beiden Runden Probleme, da fragte einer: Wie das sein könne, er sei doch Weltranglisten-Erster?

"Gewöhnen Sie sich dran", sagte Nadal.

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