Männer-Finale in Wimbledon:Djokovic isst vor Begeisterung Gras

Wimbledon

Genussvolles Gras: Nach dem vierten Titel isst Novak Djokovic die doppelte Portion.

(Foto: REUTERS)
  • Novak Djokovic gewinnt beim Rasenturnier in London das Endspiel gegen Kevin Anderson in drei Sätzen.
  • Hinterher erinnert der Serbe mit großer Geste an die schwere Zeit, die hinter ihm liegt.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen in Wimbledon.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Roger Federer hat ein bisschen Wimbledon gewonnen. Und John Isner auch. Nicht persönlich haben die zwei natürlich triumphiert, keiner von ihnen stand ja im Finale an diesem Sonntagnachmittag im All England Club. Aber der Schweizer und vor allem der Amerikaner haben ihren Beitrag dazu geleistet, dass Novak Djokovic ein bisschen leichter jubeln konnte.

Titelverteidiger Federer hatte im Viertelfinale nach einer 2:0-Satzführung und vergebenem Matchball in fünf Sätzen verloren gegen Kevin Anderson. Isner, der 2,08 Meter große Aufschlagspezialist, hatte seinerseits im Halbfinale Anderson zu einer episch anmutenden Schlacht animiert. Erst nach 6:36 Stunden ließ er sich besiegen von dem Südafrikaner, der mit 2,03 Metern auch nicht gerade klein ist.

Djokovic hatte auch ein aufreibendes Semifinale zu bestreiten, als er den Rivalen Rafael Nadal aus Spanien in einem Match über 5:14 Stunden niederkämpfte, aufgeteilt auf zwei Tage. Er sei gespannt, "ob wir beide spielen können", hatte er halb im Spaß, halb im Ernst gemeint. Es stellte sich heraus, dass der Ernst sich gegenüber dem Spaß durchsetzte. Djokovic wirkte fit. Anderson, der auf dem Weg ins Finale 21 Stunden auf dem Platz verbracht hatte, wirkte müde und mitgenommen. Er musste sich auch einmal behandeln lassen, da waren nicht einmal zwei Sätze absolviert. Sein Schlagarm wurde massiert. Seine zweite Niederlage in seinem zweiten Grand-Slam-Endspiel seit September (Niederlage gegen Rafael Nadal bei den US Open) konnte er in dieser Verfassung trotz Aufbäumens im dritten Satz nicht verhindern.

Um halb fünf Uhr hatte Djokovic gewonnen, 6:2, 6:2, 7:6 (3), und anhand seiner Siegerpose machte er klar, welche Bedeutung sein vierter Wimbledon- und 13. Grand-Slam-Titel hatte: Zunächst hielt er seine Freude zurück, marschierte ruhig zu Anderson, ließ sich gratulieren - dann stellte er sich breitbeinig hin, streckte die Arme hoch, von weitem sah es aus wie ein riesiges X. Dieser Vorführung ließ er noch sein obligatorisches Herzchenwerfen folgen; er führt dabei beide Hände von der Brust zu den Zuschauern, die dann aufschreien.

Nur Federer war schneller: Wimbledon-Männer-Endspiele seit 2010

2010 Nadal (Spanien/2) - Berdych (Tschechien/12) 6:3, 7:5, 6:4 / 133 Minuten

2011 Djokovic (Serbien/2) - Nadal (Spanien/1) 6:4, 6:1, 1:6, 6:3 / 149 Minuten

2012 Federer (Schweiz/3) - Murray (GB/4) 4:6, 7:5, 6:3, 6:4 / 204 Minuten

2013 Murray (GB/2) - Djokovic (Serbien/1) 6:4, 7:5, 6:4 / 190 Minuten

2014 Djokovic (Serbien/1) - Federer (Schweiz/4) 6:7 (7), 6:4, 7:6 (4), 5:7, 6:4 / 237 Minuten

2015 Djokovic (Serbien/1) - Federer (Schweiz/2) 7:6 (1), 6:7 (10), 6:4, 6:3 / 235 Minuten

2016 Murray (GB/2) - Raonic (Kanada/6) 6:4, 7:6 (3), 7:6 (2) / 167 Minuten

2017 Federer (Schweiz/3) - Cilic (Kroatien/7) 6:3, 6:1, 6:4 / 93 Minuten

2018 Djokovic (Serbien/12) - Anderson (Südafrika/8) 6:2, 6:2, 7:6 (3) / 110 Minuten

Von den Big Four, zu denen noch Federer, Rafael Nadal und Andy Murray gerechnet werden, weil sie seit langem eine Ära prägen, war er nun eine Art Überraschungsgewinner. Die Hoffnungen vieler Tennisfans ruhten auf einem möglichen Finale zwischen Nadal und Federer, die sich vor zehn Jahren ein monumentales Duell im Endspiel geliefert hatten. Vor dem Turnier war auch Murray ein ausdauerndes Thema gewesen, doch der Schotte musste zurückziehen; er hatte sich nach überstandenen Hüftproblemen immer noch nicht wettkampftauglich gefühlt für Matches im Best-of-three-Format.

Private Probleme und eine OP lenken Djokovic ab

Djokovic war die Unbekannte, wie bei einer mathematischen Gleichung, bei der nach dem X gesucht wird. Der 31 Jahre alte Serbe hatte seine Siegerpose nicht auf diese Ausgangslage bezogen. Doch sie passte symbolisch, wenn auch unbeabsichtigt.

Bei der Siegerehrung erinnerte sich Djokovic an seinen holprigen Weg, der eingesetzt hatte, als er im Frühjahr 2016 so unerreichbar für die Konkurrenz erschien: In Paris gewann er das noch fehlende Grand-Slam-Turnier von den existierenden vier (Melbourne, Paris, Wimbledon, New York). Keiner ahnte auch nur im Entferntesten, dass dieser Grand-Slam-Open-Erfolg der letzte gewesen sein sollte bis zum vergangenen Sonntag. Es folgten private Probleme, und eine Verletzung am Ellbogen entwickelte sich so schlecht, dass er die immer wieder vermiedene Operation doch über sich ergehen lassen musste. Mehrmals änderte er Besetzungen in seinem Team, auch Andre Agassi führte Djokovic nicht zu gewohnten Ergebnissen. Erst als sein langjähriger Coach Marian Vajda zurückkam, wurde er immer besser.

"Ich musste dem Prozess vertrauen, ich musste mir selbst vertrauen", sagte er auf dem Centre Court: "Es gibt keinen passenderen Ort für mein Comeback als hier. Das ist ein heiliger Ort." Oben in der Royal Box standen der Duke und die Duchess of Cambridge, im Volksmund besser bekannt als William und Kate. Unweit des königliches Vorzeigepaares wiederum war ein Bub mit einem Blondschopf - als er den Mann auf dem Platz mit dem Pokal entdeckte, streckte er begeistert den Finger aus und zeigte auf ihn. "Das fühlt sich großartig an. Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass jemand Papa, Papa ruft, wenn ich gespielt habe", sagte Djokovic. Sein Sohn Stefan, 4, durfte erst dann zu Mutter Jelena in die Spielerbox, als die Partie vorbei war; Kinder unter fünf Jahren sind bei laufenden Matches im Stadion nicht erlaubt.

Wie es Djokovic bei seinen vergangenen drei Wimbledonsiegen gepflegt hatte, riss er sich Gras heraus und verzehrte es. "Diesmal habe ich die doppelte Portion genommen", flachste er. Vor sechs Wochen war er erstmals seit zwölf Jahren aus den Top-20 der Weltrangliste gefallen. An diesem Montag wird er wieder als Nummer zehn zu den Top Ten zählen. Und auch die Dominanz der Big Four setzte sich in Wimbledon fort. Seit 2003 stellten sie jedes Mal den Champion.

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