Männer-Finale:Die serbische Balletteuse

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Verdeckte Kippbewegungen, die Gabe der Antizipation und Spagate in der Not: ein Vergleich der Finalisten Novak Djokovic und Stan Wawrinka.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Im Finale der 114. französischen Meisterschaften im Tennis stehen sich, das hat das Auswahlverfahren der vergangenen zwei Wochen ergeben, Novak Djokovic und Stan Wawrinka an diesem Sonntag (15 Uhr) gegenüber. Es ist ein würdiges Endspiel. Der Serbe ist die Nummer eins der Weltrangliste und der dominierende Profi in dieser Saison. Der Schweizer ist seit Jahren etablierter Top-Ten-Spieler (in Paris ist er diesmal an Nummer acht gesetzt) und seit den Australian Open 2014 auch Grand-Slam-Champion. Es lohnt sich aber nicht nur vom Renommee, den Coupe des Mousquetaires zu gewinnen. Der Sieger erhält 1,8 Millionen Euro, der Verlierer 900.000 Euro.

Djokovic ist 28 Jahre alt, stammt aus Belgrad, ist 1,88 Meter groß und 80 Kilo schwer. Er lebt in Monaco. Wawrinka ist 30 Jahre alt, stammt aus Lausanne, wohnt in St. Barthelemy in der Schweiz, ist 1,83 Meter groß und wiegt 82 Kilo. Das sind die Eckdaten, die untergeordnete Rollen spielen, wenn beide den Court Philippe Chatrier betreten werden. Djokovic und Wawrinka, sie begegnen sich absolut auf Augenhöhe, wenngleich eine Nummer eins der Welt, die schon acht Grand Slams gewonnen hat, immer favorisiert sein muss. Beide haben noch nie den French-Open-Titel geholt, für Djokovic würde sich ein Kreis schließen: Er hätte dann - als achter Spieler überhaupt - jedes der vier Grand Slams mindestens einmal gewonnen.

Kann er es schaffen? Djokovic kommt mit der Empfehlung von Siegen über Rafael Nadal (in drei Sätzen) und Andy Murray (am Samstag gewann er die am Freitag abgebrochene mitreißende Partie im fünften Satz 6:3, 6:3, 5:7, 5:7, 6:1). Wawrinka hat zuletzt Roger Federer und Jo-Wilfried Tsonga in beeindruckender Manier aus dem Weg geräumt. Eine Analyse der beiden Kontrahenten vor ihrem wichtigsten Sandplatzfinale ihrer jeweiligen Karriere:

Spielweise

Beide agieren vornehmlich von der Grundlinie. Netzangriffe kommen gelegentlich vor, aber meist nur dann, wenn der Punkteaufbau es möglich - und leicht - macht. Serve & Volley wird man von beiden nur in Ausnahmefällen sehen. Wawrinka ist der leicht aggressivere Akteur, was auch eine kleine Zahlenspielerei ausdrückt: In seinen sechs Matches gelangen ihm 264 direkte Gewinnschläge, Djokovic 257. Das kleine bisschen mehr Risiko hat Wawrinka dafür 221 unerzwungene Fehler eingebracht, Djokovic glänzt bei diesem Wert mit nur 146 Fehlern. Wawrinka wird wie Djokovic versuchen, den Ball immer wieder auch gegen die Laufrichtung zu setzen, ähnlich wie Murray im Halbfinale gegen den Serben. Aber anders als der Schotte kann Wawrinka besser "executen", wie es in der internationalen Tennissprache heißt: Er setzt öfter zum finalen Punktgewinn an. Interessant wird sein, wie intensiv beide das Winkelspiel betreiben. Das beherrschen beide bestens.

Beweglicher Defensiv-Künstler: Kaum ein Ball, den Novak Djokovic nicht erlaufen könnte (Foto: Dominique Faget/AFP)

Vorhand

Bei beiden eine Stärke, Djokovic spielt sie mit extremem Spin aus dem Handgelenk, Wawrinka bringt noch ein bisschen mehr Kraft über den Unterarm ins Spiel, was seiner Vorhand mehr Geschwindigkeit verleiht. Was es für ihre Gegner schwer macht, ist, dass kaum zu lesen ist, ob sie die Vorhand links oder eher rechts platzieren, was mit der späten, verdeckten Kippbewegung des Handgelenks zu tun hat. Wawrinkas ungemein elegante Rückhand ist ob ihrer Härte berüchtigt. Aber seine Vorhand ist mindestens eine ähnlich starke Waffe. Wenn er die Chance auf den Schuss hat, wird Wawrinka sie nutzen.

Rückhand

Technisch unterscheidet sich dieser Schlag bei beiden sehr. Das hat allein schon damit zu tun, dass Djokovic die Rückhand beidhändig spielt und Wawrinka einhändig. Rein physikalisch ist es ja schon schwieriger, aus der einhändigen Rückhandbewegung heraus Kraft und Stabilität zu erzeugen, es fehlt die unterstützende Hand, die von hinten schiebt. Wawrinka lebt von seiner Athletik und seiner Urkraft, klar, aber sein Timing und Ballgefühl sind auch dafür verantwortlich, dass er aus jeder Lage mit der Rückhand gefährlich agieren kann. Djokovic ist wegen des beidhändigen Griffes etwas eingeschränkter, sein Schwungradius ist etwas kleiner, weil er die Arme enger am Körper führt. Aber letztlich spielt das keine große Rolle, denn Djokovic hat wieselflinke Beine. Wawrinka wird dennoch mit der Rückhand sicher häufiger attackieren. Djokovic baut mit der Rückhand eher Punkte auf, wenngleich er auch den Schuss die Linie entlang beherrscht.

Aufschlag

Bei beiden ein äußerst effektives Werkzeug, wobei es unterschiedlich interpretiert wird. Wawrinka lebt beim ersten Aufschlag viel von seiner Härte, er ist jemand, der konstant über vier Stunden mit Tempo 200 und höher aufschlagen kann, in der Spitze serviert er mit 225 km/h. Auch trifft er den Ball mit dem ersten Aufschlag gerade und verzichtet auf Spin, um mehr Geschwindigkeit zu erzeugen. Den zweiten spielt er mit viel Kick, also Spin, aber auch gerne als Slice, also leicht angeschnitten. Gerade von der Einstand-Seite kann diese Variante eklig für den Gegner sein. Djokovic hat mit Boris Becker, einem seiner zwei Trainer, viel am Aufschlag gefeilt. Er verzichtet auf Speed und fokussiert sich vor allem auf Variationen und Präzision. Wawrinka wird wohl mehr Asse schlagen.

Return

Wawrinka ist mit seinem Aufschlag leicht im Vorteil, aber Djokovic gilt als vorzüglicher Return-Spieler, wahrscheinlich der beste auf der Tour. Er wird nicht jeden Ball erreichen, der ihm mit 210 km/h um die Ohren fliegt, aber um den Schweizer in Bedrängnis zu bringen, reichen ja ein, zwei gute geblockte Returns zum richtigen Zeitpunkt. Einfach den Speed des Aufschlags mitnehmen und konsequent die Schlagfläche hinter den Ball bringen, ist allerdings auch eine Spezialität Wawrinkas. Er ist auch etwas mutiger und wagt sofort den Punch wie ein Boxer.

Sein Kopf ist die stärkste Waffe: Der Schweizer Stan Wawrinka glaubt nun daran, dieses Finale tatsächlich gewinnen zu können . (Foto: Etienne Laurent/dpa)

Volley

Es wird nicht übermäßig viele davon zu sehen geben. Dabei ist Wawrinka ein exzellenter Verwerter am Netz, er kann auch im Doppel überragend spielen, wie er etwa im Davis-Cup-Finale 2014 bewies, als er mit Roger Federer das wichtige 2:1 gegen Frankreich errang. Wawrinka kommt beim Schlag, ohne dass der Ball zuvor den Boden berührte, sein Ballgefühl entgegen, spektakulär sind seine Rückhandvolleystopps in der Cross-Variante. Wenn es eine latente Schwäche von Djokovic gibt, dann ist es sein Volley. Ihm fehlt manchmal der Druck hinter dem Ball, und es ist auffällig, dass Djokovic' erster Volley nicht immer sitzt und der Gegner noch eine Chance hat, heranzukommen. Andererseits kann Djokovic damit leben. Statt mit 100 Prozent spielt er eben zwei Mal hintereinander mit 90 Prozent, genau dieses Strategische zermürbt die meisten Gegner.

Beinarbeit

Natürlich ist Djokovic hier im Vorteil, und man muss das eigentlich viel öfter erwähnen und betonen: Der faszinierendste Part in seinem Spiel ist seine Defensivarbeit, die auf seine Fitness und seine Beweglichkeit zurückzuführen ist. Tommy Haas schwärmte kürzlich in höchsten Tönen von Djokovic' Abwehrkünsten, als er ihm in Indian Wells als Zuschauer in der ersten Reihe sitzend zusah. Manchmal turnt Djokovic wie ein Balletttänzer in die Ecken, den rettenden Spagat hat quasi er erfunden. Wawrinkas Bewegungen wirken dagegen nicht so filigran, doch aus seiner etwas kräftigeren Statur darf man nicht ableiten, dass er deutlich langsamer wäre. Auch Wawrinka besitzt die Gabe der Antizipation, er reagiert schnell und bringt sich frühzeitig in Stellung.

Mentale Stärke

Gut möglich, dass das Finale in genau diesem Punkt entschieden wird. Beide haben sich im mentalen Bereich sehr verbessert, Wawrinka hat genau aus diesem Grund auch 2014 in Melbourne sein erstes Grand-Slam-Turnier gewonnen. Er glaubte endlich an große Siege. Djokovic ist keiner, der fünf Sätze lang konstant stabil ist im Kopf, sogar er hat schon auch mal Krisen, wie er selbst zugibt. Aber seine Gabe besteht darin, dass er aus diesen herausfindet. Er beißt sich wieder zurück. Wie im Halbfinale gegen Murray, als er nach dem Spielabbruch am Freitag dann am Samstagmittag Satz vier mit 5:7 verlor, umgehend aber 3:0 in Führung ging. Den Schlusssatz bei seinem Australian-Open-Triumph im Februar hatte Djokovic gegen Murray mit 6:0 gewonnen.

Die Trainer

Der 47-jährige Boris Becker ist in Deutschland jedem ein Begriff, aber Marjan Vajda ist derjenige, der Djokovic noch besser kennt. Er ist inzwischen 50 Jahre alt, ein gewiefter Taktiker, war auch Profi und schaffte es auf Rang 34 der Weltrangliste. Vajda war es angeblich, der die Idee vorantrieb, Becker ins Team zu holen, er ist auch Familienvater und wollte nicht mehr ganz so viel reisen. Djokovic schwärmt gerne von Beckers Sachverständnis, Vajda ist für ihn dagegen noch mehr ein Freund, was mit der langen Wegstrecke zu tun hat, die die Beiden schon zurückgelegt haben: Die Beiden arbeiten schon seit 2006 zusammen, hier in Paris fanden sie zueinander damals. Vajda ist sehr zurückhaltend in der Öffentlichkeit.

Becker und Vajda steht Magnus Norman gegenüber, wieder ein ganz anderer Typ. Der 39-jährige Schwede war ebenfalls Profi, er stand 2000 gar im Finale der French Open, in dem er gegen den Brasilianer Gustavo Kuerten verlor. Er war damals auch kurz die Nummer zwei der Welt. Und doch ist er einer, der nicht wirklich damit auffiel, was an seiner bescheidenen, unaufgeregten Art liegt. Er selbst hat ein äußerst strategisches Tennis gespielt, und diese Cleverness gibt er an Wawrinka weiter.

© SZ vom 07.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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