Madrid trauert nach Halbfinal-Aus:Mourinhos gescheiterter Matchplan

937,3 Millionen Euro hat Real Madrid seit dem bislang letzten Champions-League-Triumph 2002 in neue Spieler investiert. Der Ertrag blieb international aus - auch unter José Mourinho. Aus dem Team regt sich nach dem Aus gegen den FC Bayern nun erste Kritik an der Taktik des Trainers, dessen Zukunft ungewiss ist.

Javier Cáceres, Madrid

Irgendwo in Barcelona dreht sich eine imaginäre Uhr stetig weiter. Unerbittlich, gnadenlos. Am 15. Mai 2002 wurde sie gestartet, dem Tag, da Real Madrid in Glasgow zum neunten und bislang letzten Mal die Champions League gewann. 3633 Tage sind seit jenem Tag vergangen bis Mittwochabend, als Real Madrid gegen den FC Bayern im Halbfinale ausscheiden musste, und wer addiert, was Real Madrid versucht hat, um die "Décima" zu gewinnen, die zehnte Champions-League-Trophäe, kommt auf ziemlich erstaunliche Zahlen.

62 Spieler hat Real Madrid in der vergangenen Dekade verpflichtet - und Transferausgaben angehäuft, die in der Summe nur deshalb nicht mehr aberwitzig erscheinen, weil man sich in Zeiten der Eurokrise an Milliarden und Billionen gewöhnt hat: 937,3 Millionen Euro, gut die Hälfte davon in den vergangenen drei Jahren. Der Henkeltopf freilich wird in London oder München landen. Das hätte man billiger haben können.

Es hatte ja seine ironischen Züge, dass ausgerechnet der Torschütze Cristiano Ronaldo (5./15.), Kaká und Sergio Ramos im Elfmeterschießen gegen den FC Bayern versagten und das Aus im Champions-League-Halbfinale bewirkten. In anderen Worten: der teuerste Spieler der Welt sowie die beiden Lieblinge von Klubchef Florentino Pérez, dem Begründer des berühmten, aber nur bedingt erfolgreichen Galácticos-Modells.

Auch der teuerste Trainer, den der Markt derzeit hergibt, hat ihn nicht glücklicher machen können: José Mourinho, selbst ernannter Special One, scheiterte nun schon zum zweiten Mal hintereinander an der Pforte zum Finale. Von Pérez war nach der Partie kein Wort zu vernehmen. Man weiß also nicht, ob der Bauunternehmer möglicherweise darüber erschüttert war, dass Mourinho nach der Partie auch nicht viel mehr herausbekam, als recht handelsübliche Banalitäten von sich zu geben.

Auf ihren Kern reduziert lauteten Mous Botschaften nämlich, dass seine Spieler auch nur Menschen seien und das Elfmeterschießen eine Lotterie; dass der Fußball mal eine Quelle der Freude, dann wieder der Trauer sei, und dass "Elfmeter nur verschießt, wer die Eier hat, anzutreten". Und, ganz besonders wichtig: "Der Fußball ist halt so." Beziehungsweise ein Ort, in dem seinen Gegnern größere Vorteile gewährt werden als ihm, dem Special One.

"Wir haben gegen eine großartige Mannschaft gespielt, die aber am Wochenende (bei Werder Bremen; d. Red.) im Urlaub war, während wir das wichtigste Spiel der Saison austragen mussten", sagte Mourinho in Anspielung auf die Partie beim FC Barcelona. In Italien habe man noch Spielpläne zugunsten seiner Mannschaften geändert. "Aber hier bringt man mir nicht genug Respekt entgegen."

Debatten über Fußball, Taktik oder Strategie fanden hingegen nicht statt. Das liegt auch daran, dass in den Pressekonferenzen der Moderator nur noch Journalisten aufruft, die Mourinho genehm sind, teilweise abgesprochene Fragen stellen. Kritische Geister sind bei Real zunehmend unerwünscht. So gesehen ist kaum verwunderlich, dass Madrid immer mehr Witze provoziert: Die Menschheit hat ja noch auf jede Form von Autoritarismus auch mit Humor reagiert.

An den Theken der Madrider Kneipen wurde Mourinhos Versicherung, dass man "mit erhobenem Haupt nach Hause" gehe, jedenfalls mit der Bemerkung quittiert, dass das daran liege, dass man noch immer dem Ball hinterher blicke, den Sergio Ramos beim Elfmeter in die Wolken jagte.

Witze über die Verlierer

Wobei die einen glaubten, dass Ramos sich an den jüngsten Plänen der Stadtverwaltung beteiligen wollte, mit Kanonen auf Wolken zu schießen (es regnete am Donnerstag tatsächlich). Die anderen meinten, dass der Verteidiger nur deshalb übers Tor gezielt habe, weil die Mannschaftsärzte aufs Feld sollten: Ramos soll aus dem Augenwinkel gesehen haben, dass Mourinho am Boden lag.

Genau genommen kniete Mourinho während des Elfmeterschießens, so wie es devote Pilger tun. Gut möglich, dass Mourinho betete, er bezeichnet sich ja als zutiefst religiös. Doch nicht wenige madridistas fragen sich, ob es wirklich Not tat, sich in die Hände seines Gottes (beziehungsweise von Torwart Iker Casillas) zu begeben.

So weit kam es eigentlich nur, weil Mourinho wieder mal gerissener sein wollte als der Hunger, wie man in Spanien sagt - und sein Matchplan nach hinten los ging. Im Hinspiel ließ Mourinho sein Team einen Gang zurückschalten, weil er das 1:1 für ein Wunschergebnis hielt (Real kassierte das 1:2). Beim Rückspiel am Mittwoch forderte er sein Team nach dem 2:0 auf, bloß sachte weiterzuspielen, die Instruktionen nahm Torwart Casillas entgegen. Derselbe Casillas sagte nach der Partie: "Vielleicht war es Sünde, auf Halten zu spielen."

Wer wollte, konnte da Kritik am Vorgesetzten heraushören. Die beiden sind sich nicht sonderlich grün. Die zuletzt geparkte Frage, was aus Casillas werden würde, wenn Mourinho bleiben sollte, dürfte bald wieder Aktualität erhalten. Mittwochnacht bestätigte der Portugiese seine prinzipielle Bereitschaft, seinen bis 2014 laufenden Kontrakt fortzuführen. Aber: So richtig zufrieden ist er mit der bislang erlangten Machtfülle offenbar immer noch nicht.

"Die Klubs müssen sich dem Lauf der Zeit anpassen. Ein fantastisches Auto aus den Achtzigern ist nicht dasselbe wie ein Auto aus den Neunzigern. Die Mentalität muss sich nach und nach verändern", sagte er. Und fügte hinzu: "Wenn der Klub und meine Jungs glauben, dass ich dazu etwas beitragen kann, werde ich weitermachen."

Ob dann sein Dämon Josep Guardiola die Geschäfte beim FC Barcelona führt, ist zunehmend fraglich. Guardiola traf sich Mittwochnacht zu einer dreistündigen Konferenz mit Klubchef Sandro Rossell - und teilte ihm seine Entscheidung mit. Am Freitag soll sie der Öffentlichkeit mitgeteilt werden.

Sollte sich ein Abschied bestätigen, wäre eine Ära zu Ende: eine Ära, in der Barcelona und Madrid, Guardiola und Mourinho einen Dualismus prägten, der den kontinentalen Fußball beherrschte - ohne aber das große Finale zu erreichen, das Medien und Fans seit Wochen für vorbestimmt hielten. In München werden Chelsea und Bayern um einen Pott spielen, dem Madrid mindestens 365 weitere Tage hinterherrennen wird. Der Kalender läuft weiter. Unerbittlich.

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