Lukas Podolski in der DFB-Elf:Auf der Jagd nach Franz Beckenbauer

Mit breitem Grinsen in den Hunderter-Klub: Viele Spieler kamen nach Lukas Podolski in die Nationalmannschaft - und viele gingen vor ihm wieder. Gegen Dänemark wird der offensive Spaßmacher wohl sein 100. Länderspiel bestreiten, falls der Bundestrainer ihn aufstellt. Denn Podolski ist ein wenig in die Kritik geraten.

Christof Kneer

Harald Stenger blieb unverletzt, und Mario Gomez hatte Glück, dass er später kam. Als er am Freitag im deutschen Pressezentrum aufs Podium kletterte, sprach Lukas Podolski schon, es drohte also keine Gefahr. "Man kriegt bei Lukas ja schon mal eine Faust in den Rücken", grinste Gomez also aus sicherer Entfernung, "der Poldi ist manchmal grob und manchmal lustig." Der Poldi.

EURO 2012 - Deutschland Pressekonferenz

Lukas Podolski setzt sein wohlbekanntes Grinsen auf.

(Foto: dpa)

Wenn man es sich genau überlegt, dann ist das "i" in der deutschen Nationalmannschaft gerade dabei, auszusterben. Es gibt einen Manu, einen Philipp und einen Miro, einen Mesut und einen Thomas, einen Mats, einen Holger und mehrere Marios. Es gibt auch einen Sami, aber Sami gilt nicht, weil es kein Spitzname ist.

Wenn man es sich noch genauer überlegt, dann ist das "i" inzwischen dem Trainer- und Funktionärsstab vorbehalten, dem Jogi, dem Hansi, dem Andy, dem Olli. Bastian Schweinsteiger hat sein "i" auch durch die Zeit gerettet, aber der Buchstabe ist erwachsener geworden mit den Jahren. Schweinsteiger ist schon lange nicht mehr der Schweini, er ist jetzt der Basti. Nur der Poldi ist immer noch der Poldi.

Man hat sich daran gewöhnt, dass sich diese Nationalelf rasend aus sich selbst erneuert, und es hat viele Namen mit und ohne "i" gegeben, die lange nach Poldi kamen und lange vor ihm gingen. Vielleicht sind deshalb alle so dankbar, wenn der Mann mit dem bürgerlichen Namen Lukas Josef Podolski aufs Pressepodium steigt, wenn er dabei Pressechef Stenger in die Seite piekst und die Journalisten in den vorderen Reihen so angrinst, als würde er gleich einen versauten Witz erzählen.

Lukas Podolski ist ein Spieler, an dem man sich festhalten kann, eine Symbolfigur für Nachhaltigkeit. So ein Modewort würde er selbst nie verwenden, das machen vielleicht der Olli, der Mats oder der Sami, aber doch nicht er. Poldi ist einfach immer da, so einfach ist das. Er findet, das muss reichen.

Am Sonntag gegen Dänemark wird Podolski sein 100. Länderspiel bestreiten, vorausgesetzt natürlich, er spielt. Davon gehen einstweilen aber alle aus, auch wenn Assistenztrainer Hansi Flick am Freitag ein Bekenntnis zum Kollegen mit dem "i" verweigerte. Podolski ist ein wenig in die Kritik geraten bei diesem Turnier, aber er kann das erklären. "Das war eben die taktische Vorgabe vom Trainer", sagt er, "wir Flügelspieler hatten in beiden Spielen die Aufgabe, defensiver zu spielen und die Seite zuzumachen."

Beckenbauer im Finale einholen

Das hätte Lukas Podolski im Juni 2004 auch nicht gedacht, dass er mal taktische Vorgaben einhalten müsste, und dann auch noch defensive. Am 6. Juni bestritt er sein erstes Länderspiel, es war ein Jubiläumskick gegen Ungarn, "50 Jahre Wunder von Bern". Man kann sich dunkel erinnern, dass Podolski und Schweinsteiger damals Fragen zu Fritz Walter und Sepp Herberger beantworten mussten, und wenn man sich überlegt, was sie geantwortet haben, fällt einem nicht viel mehr ein, als dass Podolski bestimmt den Pressechef Stenger in die Seite geboxt hat. Und beide haben gegrinst, als würden sie gleich versaute Witze erzählen.

Sie waren das Comedy-Paar des deutschen Fußballs, sie waren die Nachfolger der Dingsda-Fußballer aus dem Kinderfernsehen, aber heute könnten die Unterschiede kaum größer sein. The artist formerly known as Schweini macht sich inzwischen rar wie eine geheimnisvolle Diva, sein Boyband-Gesicht hat kantigen Bergführer-Zügen Platz gemacht, und sein Spiel ist im Zentrum angekommen.

Schweinsteiger ist anerkannte Führungskraft, ein Spielführer ohne Spielführerbinde. Podolski? Er war nie als Kapitän im Gespräch, als um Michael Ballacks Nachfolge gerangelt wurde, selbst in Köln haben sie ihm die Binde am Ende weggenommen. Podolski ist der führende Poldi Deutschlands, nicht mehr, aber auch auf gar keinen Fall weniger.

Aber jetzt überholt er sie ja alle, die anderen Frühberufenen von damals, die der einstige Teamchef Rudi Völler weniger aus innerer Überzeugung, eher auf äußeren Druck zur EM 2004 mitnahm. Podolski, 27, macht vor Schweinsteiger und Lahm die Hundert voll, er ist der jüngste Spieler, der es in Europa bisher in den Hunderter-Klub geschafft hat.

Wie Lahm und Schweinsteiger zählt auch er zu jener Generation, die nach dem Zusammenbruch des alten deutschen Fußballs im Sommer 2004 früher die Macht übernehmen musste als geplant, und er hat diese historische Chance genutzt, um so viele Länderspiele anzuhäufen, dass Lothar Matthäus vielleicht sicherheitshalber noch mal als Spieler anfangen sollte, um seinen Rekord auszubauen.

Als Lukas Podolski anfing, ein Nationalspieler zu werden, kam er für Fredi Bobic ins Spiel, zum Kader zählten Spieler wie Frank Baumann und Thomas Brdaric. Am 1. Juli, beim EM-Finale in Kiew, könnte Lukas Podolski sein 103. Länderspiel bestreiten. Er hätte dann Franz Beckenbauer eingeholt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: