Louis van Gaal und der FC Bayern:Er bleibt

Entsetzen, Ungläubigkeit und Leere in Hannover: Nach dem Kollaps im Trainer-Endspiel ringt sich der FC Bayern offenbar dennoch nicht zur Trennung von Louis van Gaal durch.

Andreas Burkert

Man hätte meinen können, der Präsident habe ein paar Tränen verdrückt an der Seite des Vorstandschefs. Aber der Augenschein hat dann doch getrogen in der tiefstehenden niedersächsischen Wintersonne; Uli Hoeneß hat zurzeit nur ein wenig Probleme mit den Augen, eine leichte Reizung, nicht Ernstes.

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Louis van Gaal wird wohl nicht länger Trainer des FC Bayern sein. Eine andere Alternative sehen die Münchner nicht mehr. Spätestens am Montag wird das wilde Spekulieren wohl ein Ende haben.

(Foto: dapd)

Trauer, Schmerz oder Wehmut, welche emotionale Kummertränen hätten auslösen können, fühlten Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge sowieso längst nicht mehr im Angesicht eines Fußballspiels, das da aus ihrer Sicht im Debakel endete, als Selbstentblößung und "Tiefpunkt der Saison", wie Rummenigge später formulierte. Er und Hoeneß spürten nur noch das, was man lähmendes Entsetzen nennt, die pure Ungläubigkeit. Bei Christian Nerlinger, dem kreidebleichen Sportdirektor, mobilisierte das Erlebte einen Fluchtreflex: Er saß als Erster im Mannschaftsbus. Fassungslos und leer.

Louis van Gaal wird nicht länger Trainer des FC Bayern sein, das schien sicher zu sein am Samstagabend und lange auch am Tag danach. Eine andere Alternative sahen die Münchner nicht mehr nach dem 1:3 im so bedeutsamen Verfolgerduell mit Hannover, in dem es ja sowieso nur noch um die Ehrenränge zwei und drei hinter dem künftigen Meister Dortmund ging. Selbst die liegen nun in weiter Ferne.

Deshalb hatten sich Rummenigge, Hoeneß, Nerlinger und Finanzvorstand Hopfner für Sonntagnachmittag verabredet, daheim bei Rummenigges in Grünwald, um Details zur favorisierten Trennung zu klären und vor allem die Konstruktion für die Zukunft. "Ein paar Stunden" könne es dauern, bis "der weiße Rauch aufsteigt", sagte ein Sitzungsteilnehmer mittags. Denn der Stellenmarkt ist dünn bestückt. Und es müsse ein einstimmiges Votum erfolgen.

Und genau daran scheiterte die Runde offenbar: Um halbacht ging man nach fünfstündiger Debatte ergebnislos auseinander und vertagte sich. Am Montagmittag will man sich mit van Gaal bereden; sofern sich der Holländer nicht allzu ungeschickt anstellt, ist nun plötzlich - in Ermangelung einer Alternative und des fehlenden Konsenses - sein Verbleib bis zum Saisonende wahrscheinlich.

Eine andere Option war angeblich eine Interimslösung mit van Gaals Assistent Andries Jonker, 48. Auf diese Personalie konnte man sich aber nicht einigen. Van Gaals vorzeitiger Abschied zum Sommer und das zweite Comeback eines guten alten Bekannten zur nächsten Saison gelten dagegen intern auch nach der Sonntagsdebatte als nicht mehr abwegig: die Rückkehr von Jupp Heynckes, der vielleicht auch deshalb noch nicht in Leverkusen verlängerte. Es soll bereits Kontakte zum 65-jährigen Trainer gegeben haben, der allerdings nicht einziger Kandidat für nächste Saison ist.

In Hannover hatten Hoeneß und Rummenigge zunächst noch verabredet, eine Nacht über das vermeintlich Unvermeidbare schlafen zu wollen. Aber ein Bekenntnis zum holländischen Chefcoach verkniffen sie sich eben auch. Drei Niederlagen binnen nur acht Tagen, in für das Renommee elementaren Partien, das wird hier gewöhnlich keinem Trainer der Welt zugestanden.

Hoeneß: "Handeln und nicht reden"

Nach den ernüchternden Rückschlägen gegen Dortmund und im Pokal gegen Schalke hatte Rummenigge versichert, nur extern würde über den Trainer diskutiert. Seine Zurückhaltung ist verständlich gewesen, denn er hat van Gaal fast bedingungslos gestützt - in der Hoffnung, der Trainer werde die nötigen Resultate noch liefern. Im Herbst hatte Rummenigge bereits van Gaals Vertrag vorzeitig bis zum Sommer 2012 verlängert. Der Aufsichtsratsvorsitzende Hoeneß akzeptierte grummelnd.

Womöglich haben die zwei jetzt noch mal um eine einheitliche Linie gerungen, der um Ratio und Ausgleich bemühte Vorstand und Hoeneß, van Gaals schärfster Kritiker. Man müsse jetzt "handeln und nicht reden", hinterließ der Präsident in Hannover angriffslustig. Rummenigge wiederum antwortete auf die Frage, ob man soeben Auflösungserscheinungen eines Champions-League-Finalisten beigewohnt habe, das werde man "nächste Woche sehen".

Nun sieht es tatsächlich danach aus, als hätte sich Rummenigge durchgesetzt. Dabei hatte nach ersten Telefonkontakten am frühen Sonntag eigentlich grundsätzlich Einigkeit über das Ende einer kurzen Ära geherrscht.

Währenddessen nahm der sehr gefasste Protagonist van Gaal noch einmal eine Spielanalyse vor, und wie in Hannover ("sie haben mit Löwenherz gekämpft") bemühte er sich um eine positive Darstellung eines Kollapses. Danach verabschiedete er sich mit dem Hinweis auf das Meeting bei den Chefs am trainingsfreien Montag - und mit der Ansage, eventuell werde er sich Mittwoch endgültig von den Spielern verabschieden müssen. Danach sah es bis Sonntagabend aus.

Als Triumph über einen Besserwisser hätte aber nicht mal Hoeneß die Entlassung empfunden. Die Bayern hatten ja durchaus lange auf eine gewisse Beweglichkeit bei ihrem Coach gehofft, den sie als Persönlichkeit interessant finden. Sie schätzen ebenso, dass er ihnen jetzt nicht die Fassade eines vergrätzten Teams hinterließe, wie es Magath und Klinsmann taten.

Doch jetzt, da es für den Klub ums sportliche Überleben geht, waren sie der Ansicht, dass sich der 59-Jährige leider ausweglos verzettelt hat mit seinem Eigensinn, seiner Personalpolitik und der Weigerung, die Defensive zu stärken."Das ist jetzt ein enormer Druck, auf die Mannschaft, auf den Trainer, der FC Bayern gehört in die Champions League und wir wissen, wie wichtig das ist für den Verein", sagte Kapitän Philipp Lahm in Hannover. "Deshalb hat man in der ersten Halbzeit viel Verunsicherung gesehen."

Gegen 96 ließen sich im Minutentakt Argumente gegen van Gaals Spätwerk finden: Die Abwehr wurde wieder plump ausgehebelt, ihre Absicherung mit Pranjic und Kroos wies die Zweikampfstärke des Dalai Lamas auf; Robben und Ribéry gingen mit nervtötender Arroganz und ohne Variation in stets neue Duelle mit zwei oder drei 96ern; als die Partie noch fast kippte, patschte Thomas Kraft den Ball zum 1:3 ins eigene Tor, ausgerechnet van Gaals junger Torwart also, mit dessen Beförderung er sogar den Verbündeten Nerlinger verlor.

Für die wichtigste Halbzeit seiner Amtszeit brachte er nach der Pause van Buyten und Ottl - Profis ohne Praxis, die er degradiert hatte. Luiz Gustavo wiederum, der in Hannover wegen Erkältung fehlte, hätte nach Ansicht der Herren, die ihn im Winter teuer einkauften, sehr wohl spielen können. "Wenn man ihn mal stark geredet hätte."

Und das dürfte van Gaals größte Schwäche sein: nur selbst stark sein zu wollen. Noch ist sie ihm nicht zum Verhängnis geworden.

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