Lothar Matthäus im Interview:"Heute muss ein Sportler Angst haben"

Weltfußballer, Trainer, vielfacher Ex-Ehemann - und jetzt auch noch Buchautor: Lothar Matthäus stellt auf der Frankfurter Buchmesse seine Autobiographie "Ganz oder gar nicht" vor. Ein Gespräch über seine Aussichten als Coach, die Beziehung zu seinen Eltern und sein negatives Image in den Medien.

Jürgen Schmieder

Maccabi Netanya v Cherno More

Lothar Matthäus in seiner Zeit als Trainer von Maccabi Netanya in Israel. Die Spieler, sagt er, sollen ihn "nicht nur als Trainer sehen, sondern auch als Freund oder Vater."

(Foto: Getty Images)

Herr Matthäus, wer Ihre Biografie aufschlägt, der liest häufig die Worte "Respekt" und "Anerkennung". Sind das die wichtigsten Begriffe in Ihrem Leben?

Ich respektiere jeden Menschen - ich fühle jedoch in den letzten Jahren nicht den Respekt von einigen Ihrer Kollegen. Ich habe das Gefühl, dass sich einige auf meine Kosten lustig machen, um die Auflagezahlen zu steigern.

Anerkennung ist Ihnen also schon wichtig?

Wenn es etwas anzuerkennen gibt, dann ja. Ich glaube, dass ich für den deutschen Fußball und Deutschland allgemein sehr viel geleistet habe - nicht nur als Spieler, sondern auch danach als Botschafter. Ich war als Trainer an drei Meisterschaften beteiligt und habe Champions League gespielt. Ich hatte nicht das Budget des FC Bayern, aber ich habe Aufbauarbeit betrieben. Wo immer ich gearbeitet habe, bin ich immer noch herzlich willkommen.

Es ist auch auffällig, dass von Ihnen betreute Spieler nur positive Worte für Sie übrig haben. Überrascht Sie das?

Nein.

Wie funktionieren Sie als Trainer?

Ich bin authentisch, ich habe Respekt vor allen Spielern - auch wenn er erst 18 Jahre alt ist. Ich will Spieler formen, sie weiterbringen, damit ich irgendwann einmal sagen kann: Zu dessen Entwicklung habe ich auch meinen Teil beigetragen. Nehmen wir Szabolcs Huszti: Den habe ich als 18-Jährigen bei einem Dorfverein in Ungarn gefunden. Das ist mein Fachgebiet, da kenne ich mich aus.

Und das Training selbst?

Ich bin kein Felix Magath - und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass diese Umgangsform gut ankommt bei den Spielern. Ich versuche, mit jedem Spieler einen Kontakt herzustellen. Die sollen mich nicht nur als Trainer sehen, sondern auch als Freund oder Vater. Der kann auch mit persönlichen Problemen zu mir kommen. Das war in Belgrad der Fall: Da wusste ich mehr von den Spielern als die eigene Ehefrau.

Warum ist das wichtig für einen Fußballtrainer?

Weil ich dann weiß, wie ein Spieler funktioniert. Wenn einer mal am Abend getrunken hat oder Streit mit seiner Ehefrau hatte, dann soll er am Morgen zu mir kommen und es mir sagen. Dann kann ich die Situation einschätzen. Wenn er nichts sagt, dann kann ich seine Leistung im Training nicht richtig beurteilen. Das respektieren die Spieler: Dass ich diese Situationen verstehe und ehrlich und offen mit ihnen umgehe.

Kommt man tatsächlich so einfach an Spieler wie etwa Franck Ribéry ran?

Das ist doch kein komplizierter Spieler. Auch Arjen Robben nicht. Mit diesen Spielern muss man sprechen, man muss sich über sie informieren: Wo kommen sie her, welchen Glauben haben sie, was ist ihnen wichtig? Auf diese Hintergrundinformationen achte ich. Deshalb ist Ribéry ein einfacher Mensch: Dem gibst Du nachts im "Hugo's" den Ball, dann dribbelt der durch die Tische durch. Man darf ihm nur nicht verbieten, dass er in dieses Lokal geht. Er muss wissen: Wann ist Schluss? Luca Toni wusste das nicht, Franck Ribéry weiß es. Ich habe in meiner Laufbahn so viele verschiedene Menschen und Fußballer kennen gelernt, um zu wissen: Jeder muss anders behandelt werden!

Sie haben es als Spieler durchaus auch mal krachen lassen: in Clubs, in Bordellen, an Bars.

Das gehört zum Leben dazu. Das macht doch jeder Mann mal!

Aber er spricht nicht unbedingt darüber. Von einem Fußballer der aktuellen Nationalelf erfährt man so etwas nicht. Da ist ein Gespräch an der Hotelbar schon ein Skandal.

Heute muss ein Sportler Angst haben, weil immer eine Kamera dabei ist. Heute ist eine Frau schon schwanger, da habe ich sie noch nicht einmal kennengelernt. Natürlich spricht heutzutage keiner darüber. Aber Bayern-Spieler gehen auch heute noch ins P1! Früher konnten wir uns freier bewegen. Das ist ja meine Meinung als Trainer: Lasst einen wie Jérome Boateng doch leben - so lange er seine Leistung bringt.

Sehen Sie sich selbst als Vaterfigur? Sind Sie ein Kümmerer?

Kümmerer ist ein schönes Wort.

Ein ehemaliger Amateur-Spieler des FC Bayern hat das über Sie gesagt, weil Sie sich selbst um Zugänge der Reserve gekümmert haben...

Wer war das?

Franck Reichelt.

Stimmt, dem habe ich geholfen. Thomas Helmer hat das mal auf den Punkt gebracht. Wir waren ja nie die besten Freunde, aber er sagte mal: Wenn ich nachts um drei auf der Autobahn stehe und ich brauche jemanden, dann würde ich zuerst Lothar anrufen, weil ich weiß: Der hilft mir!

Allein in einem Hotelzimmer für 18 Mark

Woher kommt das?

Jeder Mensch wird in seiner Kindheit geprägt. Bei uns hat es nichts anderes gegeben als Fußball - und in meiner Familie hat man sich geholfen, respektiert und unterstützt.

Im Buch fällt auf, dass Sie Ihre Eltern sehr respektieren für die harte Arbeit. Sie hatten deshalb aber kaum Zeit für Sie...

Natürlich hätte ich gern mehr Zeit mit meinen Eltern verbracht. Ich hätte mir schon gewünscht, dass mein Vater auf dem Fußballplatz gewesen wäre, wenn ich wieder mal sechs Tore geschossen habe. Aber das hat die Zeit nicht zugelassen. Es gab keinen freien Samstag oder Urlaub. Ich musste mich alleine durchkämpfen.

Ehe von Lothar und Liliana Matthaeus geschieden

Matthäus und die Frauen: Immer wieder tauchte er mit jüngerer Begleitung in der Öffentlichkeit auf. Hier mit Liliana. 

(Foto: dapd)

Aber Sie hätten sich schon mehr gewünscht?

Mein Talent war ja früh zu sehen - und es wäre natürlich schön gewesen, wenn Mutter und Vater mal am Spielfeld gestanden hätten. Aber ich habe gemerkt, dass sie diese Zeit für sich nutzen mussten.

Ein prägender Moment war die Abfahrt von Herzogenaurach nach Mönchengladbach. Sie fuhren alleine los und sahen Ihre Eltern im Rückspiegel.

Es war ja nicht nur die Fahrt, es hat sich ja auch in Gladbach niemand um mich gekümmert. Heutzutage wird einem ja der Arsch nachgetragen. Ich bin da hoch, hab das billigste Zimmer genommen.

Was hat das gekostet?

18 Mark ohne Frühstück. Im Bahnhofsviertel, wo morgens um vier die Besoffenen ans Fenster geklopft haben, dass Du aus dem Bett gefallen bist. Da konnte mein Vater nicht mit, der musste ja arbeiten. Aber ich habe mich durchgesetzt.

Das hat Sie offensichtlich geprägt. War das eine Lektion für Sie: Wer was leistet, der wird belohnt?

Das haben mir meine Eltern zu verstehen gegeben: Wenn du gut bist, dann wirst du belohnt.

Könnte das der Unterschied zwischen Spieler und Trainer sein? Wenn ein Fußballer gut spielt, dann wird das honoriert. Bei einem Trainer ist das nicht immer der Fall...

Du kannst die beste Mannschaft zusammenstellen, du kannst das beste Training halten, du kannst den Gegner studieren. Du kannst 24 Stunden am Tag arbeiten - und dann machen die auf dem Platz nur Blödsinn! Und dann bist du als Trainer schuld und die arme Sau.

Nervt Sie diese Ohnmacht?

Das ist Berufsrisiko. Wichtig wäre in diesem Fall, dass die Verantwortlichen darauf achten: Hat der Trainer Fehler gemacht? Oder arbeitet er gut? Bei einem Verein hat man den Vorteil, dass man mit der Zeit eine Mannschaft formen kann: Man kann Spieler verpflichten, man kann ein Konzept entwickeln, man kann einzelne Spieler fördern. So habe ich bei meinen Klubs gearbeitet: Dass ein Spieler, der nur geradeaus laufen konnte, plötzlich auch flanken konnte - und Nationalspieler wurde. Der ist mir natürlich dankbar.

Das fällt ebenfalls auf: Sie wollen gemocht werden, möglichst von allen. Kann es sein, dass Sie ein Problem damit haben, anderen weh zu tun?

Ich kann schon heftig werden, wenn das Maß voll ist.

Aber dieses Maß wird nie voll...

Sagen wir es so: Ich gebe viele Chancen, ich verteile viele gelbe Karten - aber es stimmt. Ich halte sehr lange an Beziehungen und Freundschaften fest. Ich versuche, den anderen zu verstehen und dafür zu sorgen, dass er auf mich zählen kann.

Sie halten auch an Beziehungen zu Journalisten fest. Das ist doch verwunderlich.

Inwiefern?

Sie könnten sich auch zurückziehen, wie Steffi Graf das gemacht hat.

Wenn ich in Las Vegas Leben würde, dann ginge das schon. Als ich in Israel Trainer war, da bin ich abends im Restaurant gewesen, da war keiner neidisch, ich konnte mein Leben genießen. Dann komme ich nach Deutschland zurück und habe jeden Tag eine Schlagzeile.

Für die Sie aber auch verantwortlich sind...

Natürlich hat meine Ex-Frau Liliana das Nachtleben genossen, alleine oder mit den falschen Leuten zusammen. Natürlich sorge ich durch Auftritte wie auf dem Oktoberfest dafür, dass die Leute das sehen oder einen Anlass für eine Schlagzeile haben.

"Meine Eltern wurden gehänselt"

Diese Öffentlichkeit hat aber auch positive Seiten. Ist es nicht schön, im Mittelpunkt zu stehen?

Das bedeutet mir nicht so viel.

Das ist kaum zu glauben...

Diese Dinge habe ich größtenteils für meine Partnerinnen gemacht. Eine Bambi-Verleihung ist auch eine besondere Veranstaltung, da geht man auch gerne hin. Da kommt also eine Einladung - und wir gehen nicht hin? Da ist doch der Ehekrach vorprogrammiert! Wenn man die Möglichkeit hat, die Veranstaltung zu besuchen.

Sie behaupten oft, von Boulevard-Journalisten hintergangen zu werden - und dennoch haben Sie den Kontakt nicht abgebrochen...

Aber den habe ich doch abgebrochen!

Der Co-Autor Ihres Buches war früher bei Gala und Hörzu.

Ich habe mit vielen Journalisten gesprochen, die dieses Buch gerne mit mir geschrieben hätten. Ein wichtiger Aspekt war: Wie kommen wir miteinander klar? Vertrauen wir uns? Es waren intensive und herzhafte Gespräche.

Aber genau das gehört doch zur Taktik eines Journalisten: Das Vertrauen des Sportlers gewinnen.

Mir ging es in den Gesprächen darum, wie ich mich fühle. Und mir war wichtig, dass mein Co-Autor zwar ein Fußballfan ist, aber kein Fußballjournalist. Er kann das objektiver betrachten - und bislang wurde ich nicht enttäuscht. Von vielen anderen Journalisten wurde ich enttäuscht. Dabei ging es gar nicht um die Schlagzeile gegen mich.

Worum ging es dann?

Um meine Eltern und meine Kinder. Die wurden in der Schule gemobbt oder im Dorf gehänselt.

Was sagten Ihre Eltern dazu?

Die gehören zur Generation: Wenn es in der Zeitung steht, dann stimmt das. Die musste ich erst einmal belehren und ihnen klar machen: Glaubt nicht alles, was da steht! Aber ich kann ja nicht jeden Tag bei meinen Eltern anrufen und wieder sagen, dass das alles nicht stimmt. Ich habe meinem Vater dann den Rat gegeben: Wenn Du im Dorf wieder mal gehänselt wirst, dann frag sie doch mal, ob ihr Sohn auch Weltfußballer war. Meine Mutter hat sich solche Sachen sehr zu Herzen genommen.

War das belastend für Sie?

Natürlich, ich musste oft mit Eltern und Kindern sprechen.

Viele deutsche Sportler, von Boris Becker bis Michael Schumacher, beklagen die mangelnde Anerkennung daheim. Werden Sporthelden hierzulande nicht genügend gewürdigt?

Ich muss sagen, dass ich in Deutschland zu 90 Prozent sehr positiv empfangen werde. Der Fan will nach wie vor ein Bild machen oder ein Autogramm haben. Da kommen Jugendliche, die haben mich gar nicht spielen sehen.

Ist es nicht so, dass Sie selbst ein negatives Bild von sich zeichnen?

Es sind schon die Journalisten, die sich auf unsere Kosten einen Spaß erlauben oder eine Schlagzeile brauchen. Die kreieren ein Image, das gar nicht da ist. Wenn Sie mit Ihrem Sohn Fußball spielen, sagen Sie doch nicht: "Werd' bloß nicht wie Matthäus, weil der ist ein Arschloch!"

Sie wirken ein wenig resigniert: Wahrscheinlich klappt es mit dem Job in Deutschland nicht mehr.

Nein, gar nicht. Ich bin nur nicht darauf angewiesen. Ich würde mich freuen, in Deutschland als Trainer zu zeigen, was ich als Spieler gezeigt habe. Ich kenne die Liga, ich kenne die Mechanismen. Vom Typ her bin ich Matthias Sammer recht ähnlich: erfolgsorientiert, hitzköpfig, dennoch analytisch. Wir legen beide den Finger in die Wunde.

Spielen heutzutage viele Dinge eine zu große Rolle, die nichts mit Fußball zu tun haben?

Franz Beckenbauer sagt, dass ich in die Bundesliga gehöre. Warum klappt es nicht? Weil viele Leute vor irgendetwas Angst haben. Die müssen keine Angst haben! Vor zwei Wochen war ich mit Karl-Heinz Rummenigge Essen, da sagt er: "Lothar, Uli Hoeneß und ich wissen, was Du für ein Trainer bist. Wir können es nicht verstehen, dass Dich in der Bundesliga keiner nimmt!"

Jetzt mal langsam: Hoeneß und Rummenigge sind die prägenden Figuren des FC Bayern. Und der Verein sucht einen Trainer.

Natürlich gab es da in der Vergangenheit auch Geschichten, die nicht hätten passieren sollen. Das war sicher ein Fehler, den ich nicht mehr machen würde - aber man sollte Menschen auch verzeihen und eine zweite Chance geben. Ich habe zum FC Bayern ein gutes Verhältnis.

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