Lisickis Gegnerin Agnieszka Radwanska:Die Frau aus dem Computerspiel

Wimbledon Championships

Wie eine Gumminwand: Agnieszka Radwanska.

(Foto: dpa)

Agnieszka Radwanska ist eine Defensivkünstlerin, die an guten Tagen stoisch jeden Ball zurückschlägt. Sabine Lisicki muss die Polin besiegen, will sie als erste Deutsche seit Steffi Graf 1999 das Finale in Wimbledon erreichen. Beide verbindet eine besondere Geschichte.

Von Michael Neudecker, London

Am Mittwoch ist eine neue Zahl zu dieser Sache mit Polen aufgetaucht, genau genommen waren es zwei Zahlen. Die polnischen Tennisspieler sorgen gerade in Wimbledon für Aufsehen, zwei Männer erreichten das Viertelfinale, eine Frau das Halbfinale, und um zu dokumentieren, wie beeindruckend die Leistung der Polen ist, veröffentlichten manche britischen Zeitungen nun diese Zahlen, als Vergleich: Der polnische Tennisverband gebe pro Jahr 930 000 Pfund aus, der britische dagegen 61,38 Millionen Pfund, umgerechnet etwa 1,1 Millionen Euro gegen 72,2 Millionen Euro. Zahlen sagen manchmal mehr als Worte, aber was Agnieszka Radwanska angeht, ist der Vergleich nicht ganz fair.

Die Zahlen suggerieren, dass es eine Überraschung ist, wenn ein Pole bei einem großen Turnier so weit kommt wie nun in Wimbledon, und das mag auf Jerzy Janowicz und Lukasz Kubot zutreffen, nicht aber auf Agnieszka Radwanska. Sie ist die Nummer vier der Welt, vergangenes Jahr war sie hier im Finale, und sie hat den Ruf, die smarteste Spielerin der Welt zu sein.

Sabine Lisicki muss an diesem Donnerstag Agnieszka Radwanska besiegen, wenn sie als erste Deutsche seit Steffi Graf 1999 das Finale in Wimbledon erreichen will. Es werde "ein hartes Match", sagt Lisicki, Tennisprofis sagen das immer, vor jedem Match, aber man muss das Lisicki nicht übel nehmen. Ein hartes Match, das ist ja wirklich die einzig mögliche Prognose, wenn man gegen Radwanska antritt.

Agnieszka Radwanska spielt nicht spektakulär, aber effektiv, sie ist eine hervorragend antizipierende Defensivspielerin, die erstaunlich stoisch die Bälle zurückschlägt, an guten Tagen nahezu jeden Ball. Es gibt ein sehr altes Computerspiel, es heißt "Pong" und gilt als eine Art Mutter aller Computerspiele, man steuert darin einen Balken, mit dem man einen Ball zurückspielen muss, man kann den Balken nur in zwei Richtungen bewegen, nach oben und nach unten.

Agnieszka Radwanska ist der Balken im echten Leben, und oft ist es so, als sei sie schon da, bevor der Ball kommt. Sie schafft es, die Gegnerin schlecht dastehen zu lassen, ohne dabei selbst gut auszusehen. Das ist nicht immer schön, gewiss, weniger beeindruckend ist es dadurch aber nicht.

Aufgewachsen im westfälischen Gronau

Am Dienstag, als Radwanska im Viertelfinale gegen die an Nummer sechs gesetzte Chinesin Li Na antrat, war das wieder ein wunderbares Beispiel so eines Radwanska-Sieges: Es ist ja nicht so, dass Agnieszka Radwanska immerzu souverän auftritt, man kann sie besiegen, wenn man sie stark unter Druck setzt, aber Agnieszka Radwanska ist zäh. Im ersten Satz hatte Li Na Satzbälle, aber Radwanska ließ sich nicht aus der Ruhe bringen - und gewann den Durchgang im Tie-Break. Im zweiten Satz kam Radwanska nach 4:2-Führung außer Tritt, Li Na wurde besser, sie entschied ihn 6:4 für sich, im dritten Satz aber demoralisierte Radwanska die Chinesin endgültig. Der Balken sauste nach oben und nach unten, und nach 163 Minuten war Radwanska im Halbfinale.

Zwischendurch hatte sie sich einen Verband an den rechten Oberschenkel anlegen lassen, natürlich war das eine der ersten Fragen, die ihr danach gestellt wurde: Ob sie fit genug für ein Halbfinale gegen die starke Deutsche sei? Sie habe eben sehr viel Tennis gespielt in letzter Zeit, sagte Radwanska, "viel Behandlung und viel Massage, dann bin ich bereit". Ansonsten sprach Radwanska viel über Sabine Lisicki, die beiden haben zwar erst zweimal als Profis gegeneinander gespielt - einmal gewann Lisicki, einmal Radwanska - und noch nie auf Rasen, aber sie haben eine gemeinsame Geschichte.

Als sie zehn waren, spielten sie beide häufiger in Jugendturnieren in Polen gegeneinander, Sabine Lisicki ist ja eine Deutsche, die in den ersten Jahren in Polen aufwuchs. "Wir kennen uns schon so lange", sagte Radwanska, "aber die Zeit fliegt, und plötzlich spielen wir bei einem Grand Slam gegeneinander." Sie klang wie eine Großmutter, die den Enkeln von früher erzählt, aber davon ist sie in Wahrheit weit entfernt, sie ist 24. Als sie zehn war, war sie übrigens noch gar nicht lange in Polen, denn Radwanska ist eine Polin, die in den ersten Jahren in Deutschland aufwuchs.

Als sie vor einem Jahr das Finale im Londoner Bezirk SW19 erreichte, haben die Westfälischen Nachrichten darüber berichtet: Wie das so war, damals. Robert Piotr Radwanski, ihr Vater, den sie in Deutschland Peter riefen, war einst Trainer beim TV Grün-Gold Gronau, er trainierte außerdem seine beiden Töchter (die ein Jahr jüngere Urszula Radwanska liegt derzeit auf Platz 44 der Weltrangliste), zusammen mit einer gewissen Brunhilde Nolze. Die Radwanskis seien der ehemaligen Heimat immer noch verbunden, schrieben die WN, untermauert mit dem bedeutungsschweren Satz, den Peter Radwanksi bei einem Showmatch in Gronau 2007 gesagt hatte: "Ich bin ein Gronauer."

Die Agnieszka, verriet außerdem noch Brunhilde Nolze, sei "immer noch das liebe, ruhige Mädchen von damals", und, ja, sie habe sich wirklich ganz fabelhaft entwickelt.

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