Lionel Messi ist Weltfußballer 2011:Trost für den kleinen Oberkellner

Lionel Messi bezwingt Cristiano Ronaldo sowie Xavi und ist zum dritten Mal in Serie Weltfußballer des Jahres - das hat noch keiner geschafft. Die Auszeichnung ist für den Argentinier auch Trost: Weil er mit dem FC Barcelona gerade dabei ist, die spanische Meisterschaft zu verspielen.

Javier Cáceres, Madrid

Vor einem Jahr saß Lionel Messi in der Lobby eines Zürcher Hotels und ließ gut gelaunt Scherze über sich ergehen. Für die Gala, auf der die französische Zeitung France Football und der Fußball-Weltverband Fifa den Fußballer des Jahres küren wollten, hatte sich der kleine argentinische Stürmer einen Smoking eines italienischen Designers ausgesucht und sich erstmals in seinem Leben selbst mit einer Fliege drapiert.

Gérard Piqué, sein Klubkollege beim FC Barcelona, machte sich daher einen Jux daraus, bei einem verschämt grinsenden Messi die Getränke zu bestellen. Er sah ja tatsächlich aus wie der Oberkellner aus einem schlechten Fernseh-Sketch.

Am Montag stand in Zürich wieder eine Fifa-Gala an. Diesmal beugte Messi jeder Verwechslung vor, indem er keine Fliege trug, sondern eine akkurat gebundene Krawatte. Die Laune des Mannes, den sie La Pulga ("der Floh") nennen, dürfte trotzdem etwas getrübt gewesen sein. Am Abend vor der Gala hatte Messi mit dem FC Barcelona beim 1:1 (0:1) beim Lokalrivalen RCD Espanyol zwei Punkte liegen gelassen. Bei einem Rückstand von nunmehr fünf Punkten auf Real Madrid ist Barcelona gerade dabei, die Meisterschaft früh zu verspielen.

Andererseits: So ein "Goldener Ball", wie ihn der Fußballer des Jahres am Montagabend als Zeichen der Anerkennung erhalten hat, ist wohl nicht der schlechteste Trost. Zumal Messi der erste Fußballer überhaupt ist, der die Trophäe dreimal in Serie bekommt. Messi, 24, ging diesmal als uneingeschränkter Favorit ins Rennen.

Ein Jahr zuvor galt es zumindest als vorstellbar, dass Messis Klubkollegen Xavi Hernández oder Andrés Iniesta den Preis erhalten könnten; immerhin waren die Mittelfeldstrategen 2010 mit Spanien Weltmeister geworden. Xavi war Spaniens Lenker und Denker, Iniesta hatte im Finale das Siegtor gegen die Niederlande erzielt. Messi hingegen war bei der WM mit Argentinien an Deutschland (0:4) brutal gescheitert.

Im Gegensatz zu Iniesta ist Xavi wieder unter den ersten Dreien gelandet. Doch so sehr die Spanier ihm die Auszeichnung, quasi als Preis für sein Lebenswerk, gönnen würden - so galt ihnen doch als undenkbar, dass er den Titel ausgerechnet 2011, ohne den Weltmeister-Bonus, auch erhalten würde.

Als sicher galt hingegen, dass der dritte nominierte Profi - der in einer Vorauswahl von den Juroren ausgewählt worden war - keine Chance auf den ersten Platz haben würde: Reals portugiesischer Stürmer Cristiano Ronaldo. Er schützte denn auch das Achtelfinal-Rückspiel im spanischen Pokal in Málaga (Hinspiel 3:2) vor, um die Reise in die Schweiz zu vermeiden.

Grenzen? Nicht absehbar

Ronaldo erzielte zwar mehr Tore als jeder andere, doch während Barcelona mit Messi (und Xavi) fast alles abräumte, was an Trophäen im Weg stand (Champions League, die spanische Meisterschaft, den spanischen und den europäischen Supercup - sowie zuletzt die Klub-WM mit 4:0 gegen den FC Santos aus Brasilien), durfte Ronaldo im abgelaufenen Kalenderjahr nur den spanischen Pokal hochhalten. Vor kurzem übrigens wurde ein Foto bekannt, das Messi nach ebendiesem Pokalfinale von Valencia in der Kabine zeigte. So bitterlich weinend wie sonst nur nach Spielen der argentinischen Nationalelf - wie 2011, als er bei der Copa America im eigenen Land enttäuschte.

Lionel Messi

Erneut Weltfußballer: der Argentinier Lionel Messi.

(Foto: AP)

"Nur mit dem Ball vermag sich Messi auszudrücken", schrieb vor ein paar Tagen die Zeitung El País; in Barcelona und Spanien nehmen sie das dankbar hin - und lassen ihn in Ruhe gedeihen. Neulich erschien in Spanien eine einfühlsame Biografie des argentinischen Journalisten Leonardo Faccio ("Messi"), die in fast jedem Land der Welt skandalisiert worden wäre, weil sie nicht davor Halt machte, dass Messi seinen Jugendfreunden - im Scherz? - für eine Party Huren verspricht. Oder enthüllt, dass er manches Tor nur deshalb mit drei Fingern auf der Brust gefeiert hat, weil er damit an den Tag erinnerte, als er 15-jährig mit zwei Freunden im heimischen Rosario sein sexuelles Debüt feierte.

Aufgegriffen wurden dagegen unscheinbarere, dafür weit charakteristischere Episoden: dass sich Messi in Disneyland amüsiert und bei Serien wie "Lost" langweilt, weil dauernd neue Leute auftauchen. Dass er als Kind nur über eine Klassenkameradin mit der Lehrerin kommunizierte. Dass er stundenlang Siesta hält. Dass er, wenn man ihn beim Werbedreh fragt, was er vor einem wichtigen Spiel macht, bloß "Kaugummi kauen" antwortet. Solche Dinge.

Dafür ging fast unter, dass jener Mann, der den wachstumsgestörten Messi in Jugendjahren davor rettete, nur 1,50 m groß zu werden, davon erzählte, wie er Messi mit Wachstumshormonen gleichsam den Schlüssel in die Hand gab, glücklich zu werden. Denn, so sagte Dr. Diego Schwarzstein, wie eine Zauber-Laus zu wachsen, das sei auch eine emotionale Erfahrung.

"In einem Alter, in dem wir noch an Comic-Figuren glauben, auf einen Schlag und künstlich zu wachsen, das bedeutet, eine Phantasie Wirklichkeit werden zu lassen", schrieb Faccio in seinem Buch. Messi ist längst selbst eine Phantasie geworden. Eine sehr reale noch dazu. Und noch lange ist nicht absehbar, dass er seine Grenzen kennt.

Ergebnisse:

Weltfußballer: 1. Lionel Messi, Argentinien, FC Barcelona, 47,88 Punkte; 2. Cristiano Ronaldo, Portugal, Real Madrid, 21,60; 3. Xavi, Spanien, FC Barcelona, 9,23.

Weltfußballerin: 1. Homare Sawa, Japan, Kobe Leonessa, 28,51; 2. Marta, Brasilien, Western New York Flash, 17,28; 3. Abby Wambach, USA, Boca Raton magicJack, 13,26.

Welttrainer: 1. Josep Guardiola, Spanien, FC Barcelona, 41,92; 2. Alex Ferguson, Schottland, Manchester United, 15,61; 3. José Mourinho, Portugal, Real Madrid, 12,43.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: