Lindsey Vonn bei der Ski-WM:"Come on, ich bin Skirennfahrerin"

***BESTPIX*** FIS World Ski Championships - Previews

Gute Freunde kann niemand trennen: Lindsey Vonn und Schoßhündchen Lucy treten in St. Moritz gerne auch gemeinsam vor die Kameras.

(Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)
  • Triumph und Drama, Rekorde, zertrümmerte Knochen - bei Lindsey Vonn liegt das alles nah beieinander.
  • Niemand im Skizirkus polarisiert wie die Amerikanerin.

Von Johannes Knuth, St. Moritz

Neulich, die Kameras waren schon erloschen, hat die Skirennfahrerin Lindsey Vonn beim Weltcup in Zauchensee ein paar ganz interessante Dinge erzählt. Welcher Teil ihres Körpers noch nicht vom Sport gezeichnet sei, wollte ein Reporter wissen. Vonn überlegte, sie zählte alle Schadensfälle auf, die Gehirnerschütterungen, Rückenschmerzen, zwei gebrochene Finger an der rechten Hand, einen Schienbeinkopfbruch, zwei Kreuzbandrisse, eine Knöchelverletzung, der rechte Oberarm, den sie sich im vergangenen November gebrochen hatte ... die Hüfte, sagte Vonn schließlich, die Hüfte sei noch okay. Und die linke Hand. Und jetzt?

"Come on", sagte Vonn mit gespielter Empörung, "ich bin eine Skirennfahrerin." Es war eine ihrer knappsten, vielsagendsten Repliken dieses Winters.

Lindsey Vonn, geboren im Oktober 1984 in Saint Paul, Minnesota, ist ja nicht irgendeine Skifahrerin. Es ist die Art, wie sie ihrem Beruf nachgeht. Sie ist eine der besten Fahrerinnen der Gegenwart, sie ist längst die beste der Historie mit ihren 77 Weltcup-Siegen, und es könnte nicht mehr lange dauern, dann hat sie auch den Weltrekord des Schweden Ingemar Stenmark geschafft, neun Siege fehlen noch. Das ist das Thema, auch im Herbst von Vonns Karriere, mit 32 Jahren: Alles tun für den Erfolg, alles. Die WM in St. Moritz hat es noch nicht so gut gemeint mit ihr, im Super-G schied sie aus, die Kombination am Freitag beendete sie als Fünfte, ihr bleibt nur noch die Abfahrt am Sonntag, ihre Lieblingsbeschäftigung. "Ich bin ein Kämpfer", sagte sie am Freitag, trotzig. Sie sei außerdem "ein intensiver Mensch", hat sie einmal berichtet, "auf gewisse Weise besessen", und das, man merkt es auch bei der WM, ist gewissermaßen untertrieben.

Vonn tritt wie eine Hollywood-Schauspielerin auf

Der Pressesaal in St. Moritz ist im Hotel "Reine Victoria" untergebracht, Kronleuchter, weiße goldbestickte Vorhänge. Ein Teppich teilt den Saal in zwei Hälften, er führt zu einem Podium, für die Fahrer. Mikaela Shiffrin, die Klassenbeste im Gesamtweltcup, kam vor ein paar Tagen herein, sie setzte sich aufs Podium und erzählte. Vonn kam nicht herein. Sie erschien. Schritt über den Teppich wie eine Hollywood-Schauspielerin, mit Hund Lucy. Erzählte über eine neue Doku, der Sender Eurosport hat sie ihr gewidmet, "Chasing History", auf der Jagd nach Rekorden. Vonn, berichteten Schweizer und österreichische Medien, habe in St. Moritz eine Suite im Kempinski bezogen, 200 Quadratmeter, 18 000 Euro Miete, pro Nacht. Manchmal hat es den Anschein, als sei ihr Skifahrerleben eine eigene Reality-Show, Lindsey-TV. Manche Konkurrentinnen rümpfen die Nase, aber es ist halt so: "Wenn Leute Sport schauen, brauchen sie Charaktere die sie hassen oder lieben", sagt der Skirennfahrer Aksel Lund Svindal, ein paar Charaktere also, die dem Sport gerade fehlen. "Es muss emotional sein", findet Svindal. Und emotional ist es bei Vonn fast immer, vor allem bei Großanlässen.

2005 zum Beispiel, WM in Bormio. Vonn, die damals noch Kildow hieß, wurde von Vater Alan betreut, er hatte einst die Familie von Minnesota nach Vail umgetopft, alles für Lindseys Erfolg. In Bormio zerbrach das Verhältnis, wegen Vonns Beziehung zu ihrem künftigen Mann Thomas Vonn, es gab viele Tränen, keine Medaille. Oder 2009, WM in Val d'Isère. Vonn gewann Gold in Super-G und Abfahrt, bei der Siegerzeremonie köpfte ein Mitarbeiter die Champagnerflasche mit einem Ski, Vonn griff ins scharfe Glas, Sehnenriss, WM vorbei. Oder 2010, Olympia in Vancouver. Vonn wurde mit Macht ins öffentliche Bewusstsein gedrückt, posierte im Bikini auf Magazintiteln, die Fernsehsender in den USA verkaufen ihre Sportler gerne über Geschichten; auch deshalb gibt Vonn viel von sich in sozialen Netzwerken preis. Sie gewann dann die Abfahrt. Spätestens seit diesem Tag ist Vonn fest im amerikanischen Bewusstsein verankert. Sie war in Talkshows und TV-Serien zu sehen, spielte Tennis mit Roger Federer, besuchte Barack Obama. Vonns Verträge mit Sponsoren bringen ihr rund drei Millionen Dollar ein, pro Jahr. Sie gibt dem kernigen, bodenständigen Skifahren eine glamouröse, globale Dimension, auch im skisportuninteressierten Amerika.

Lindsey Vonn sprach über ihre Depressionen

Die kleinen und größeren Dramen blieben ihr immer treu; gewollt oder ungewollt, darüber sind sich die Beobachter nicht immer ganz einig. Bei der WM 2011 bekam das Verhältnis zu Maria Höfl-Riesch erste Kratzer, Vonn klagte vor der WM über eine Gehirnerschütterung, Rieschs Umfeld fand das übertrieben. Vor der WM 2013 veröffentlichte Vonn, dass sie an Depressionen leide, sie reiste trotzdem als Favoritin an, riskierte viel, obwohl der Schnee gefährlich weich war. Sie stürzte, Kreuzbandriss, und weil Vonn sich im kommenden Winter mit aller Macht für die Winterspiele in Sotschi fitkriegen wollte, riss das Kreuzband ein zweites Mal. Vonn musste sich bis zur WM in Vail gedulden, es sollten ihre Titelkämpfe werden, der Edelgolfer Tiger Woods, ihr damaliger Freund, wartete unten im Ziel. Doch Vonn zerschellte an den Erwartungen, gewann Bronze im Super-G, nur Bronze. Die nächste Saison war eine ihrer besten, ehe ein Sturz sie vorzeitig beendete. Verletzungen und Siege, Stürze und Erfolge, wechseln sich seitdem immer häufiger ab. Aber warum sollte Vonn das ablegen, was sie groß machte: Volle Schubkraft für den Erfolg?

Das vergisst man schnell, bei aller Inszenierung: Dass sie sehr hart zu sich sein kann, alles aufs Skifahren ausrichtet, 24 Stunden am Tag. Neben den Trainern des US-Verbandes und einem Servicemann stehen ihr persönliche Betreuer zur Verfügung, Physiotherapeuten, Fitnesstrainer, die ihr österreichischer Sponsor bereitstellt, Red Bull. Diese Partnerschaft brachte Vonn vor ein paar Jahren kurz in die Kritik, als sie das Leistungszentrum des Konzerns in Thalgau besuchte, für Laktakt- und Krafttests. Thalgau wird bis heute von Bernd Pansold geleitet, einem zentralen Darsteller im DDR- Doping, der zwischen 1975 und 1989 Minderjährige mit anabolen Steroiden dopte, 1998 dafür zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Vonn, schrieb der Journalist Nathaniel Vinton jüngst in seinem Buch "The Fall Line", habe Thalgau deshalb bald gemieden.

Vonn malt in diesen Tagen oft an dem Bild einer Kämpferin, die so ist, wie sie ist, stark, aber auch von Selbstzweifeln und Depressionen verfolgt. Von Thomas ist sie längst geschieden, dem Vater hat sie sich wieder angenähert, wie auch den Teamkollegen. Bis zu den Winterspielen 2018 will sie weiterfahren, mindestens, es geht mit jedem Rennen ja ein bisschen mehr um ihren Platz in der Ahnengalerie des Sports. Chasing History. Das Risiko wird mit jeder Verletzung größer, in St. Moritz hat sie sich ihren Skistock an den Handschuh geklebt, die Nervenbahnen im rechten Arm sind noch immer vom jüngsten Sturz beeinträchtigt. Tapfer? Wahnsinnig? Rekorde wie Stenmarks Marke, so sieht Vonn das, sind nun mal die beste Erinnerungsstütze, wenn sie einmal nicht mehr da sein wird - Vonn und ihre Reality-Show.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: