Liegendschießen:Ausrutscher verboten

2016 Rio Olympics - Shooting - Final - Men's 50m Rifle Prone Finals

Mit viel Kalkül: Henri Junghänel, der mit dem Kleinkalibergewehr für Deutschland Gold gewonnen hat.

(Foto: Edgard Garrido/Reuters)

Seine Liebe zum Perfektionismus hat Henri Junghänel zum Liegendschießen und damit zum Olympiasieg getrieben. Von eigenen Leistung scheint er gar nicht so beeindruckt zu sein.

Von Volker Kreisl, Rio de Janeiro

Auch für die kleineren Dinge des Lebens hilft es, wenn man mit der Zeit umgehen kann, sagt Henri Junghänel. Zum Beispiel für eine Klausur: "Erst alle Aufgaben durchgehen - und dann vom einfachsten zum schwersten." Das ist vielleicht ein sehr einfaches Beispiel, aber bei Junghänel zieht sich diese Einstellung durchs Leben. Gute Zeiteinteilung hilft überall, findet der 28-Jährige. Es ist die Grundlage für ein gelungenes Studium. Und auch dafür, dass man nebenher noch ein guter Gewehrschütze werden kann, sogar ein sehr guter Liegendschütze, und in dieser Disziplin schließlich Olympiasieger.

Henri Junghänel vom SV Rai Breitenbach bei Darmstadt hat in Rio die Goldmedaille im Liegendschießen mit dem Kleinkalibergewehr über 50 Meter gewonnen, er hat dabei eine perfekte Leistung abgelegt, die nur durch einen einzigen wirklichen Fehlschuss unterbrochen wurde, der ihn aber rechtzeitig ermahnt hat, zurückzukehren in seine Stärke und Haltung als Gewehrperfektionist. Nach dieser 9,4, einem persönlichen Schreckschuss, der ihn fast den Finaleinzug gekostet hätte, sammelte er sich wieder: "Das war ein Wink."

Bei seinem Weltrekord war er fast zwei Punkte besser

Junghänel schoss im Endkampf nach gutem Beginn sehr gut, dann traumhaft mit zweimal 10,8, und er hatte schließlich einen Vorsprung, der ihm im letzten Schuss eine Amateurleistung von unter neun Ringen erlaubt hätte. Doch da war der Zweikampf um Gold schon entschieden, ehe Kim Yonhun aus Südkorea letztmals abzog, er hätte weit mehr als eine 11,0 schießen müssen und die gibt es ja nicht. Bronze holte sich der Russe Kiril Grigorijan.

Am Ende eines Finales werden alle Ringe zusammengezählt, trotz seiner beachtlichen Leistung von Rio war dies aber noch keine wirklich perfekte Vorstellung, sagt Junghänel. 209,5, das ist zwar olympischer Final-Rekord, aber Junghänel hält ja auch den Weltrekord mit 211,2 Ringen. Würde er alle 20 Final-Kugeln nicht nur ins Schwarze, sondern auch noch ins Innerste des Schwarzen treffen, in die exakte Mitte der Zehn, die als 10,9 gezählt wird, dann ergäbe das 218 Ringe. Aber so perfekt ist auch Junghänel nicht.

Entscheidender Fortschritt in Kentucky

Er hat die Liebe zum Liegendschießen deshalb entdeckt, weil es da wirklich um die Annäherung ans ideale Schießergebnis geht. "In allen anderen Disziplinen kannst du dir mehrere Ausrutscher erlauben, auch im Finale, liegend geht das nicht", sagt Junghänel. Auch dabei geht es um Zeit. Um die richtigen Abläufe, ums Atmen, die Zielannäherung, Entspannung, Abzug. Die Ruhe beim Schuss ermöglicht Exaktheit, die den Gegner unter Druck setzt, und die in sich versunkenen Liegendschützen in ihrer reglosen Position wirken besonders abwesend, bei Olympia wie ein stilles Bild für das Prinzip der sportlichen Perfektion.

Junghänel hat seine Fähigkeiten über Jahre entwickelt. Der vielleicht entscheidende Fortschritt gelang ihm bei seinem Maschinenbau-Studium in Kentucky. Er war ja auch deshalb in die USA gegangen, weil sich dort Studieren und Schießen ideal verbinden lässt. In diesem Land haben Waffen bekanntlich eine besondere Bedeutung, und so gibt es auch eine College-Liga wie im Football oder Basketball. Junghänel hatte dort einen halbtags festangestellten Schießtrainer und musste zum Trainieren nicht weit fahren. Der Schießstand stand auf dem Campus.

Solche paradiesischen Zustände gibt es in Deutschland für Schützen selten, was es nicht leichter machen wird, nach seiner Goldmedaille die Karriere nun fortzuführen. Seinen Master hat er in Darmstadt abgeschlossen, momentan lebt er in Berlin; bekommt er dort aber keinen Job, versucht er den Berufseinstieg woanders. "Irgendwo in Deutschland, mal sehen", sagt er. Und als junger Ingenieur noch nebenbei Sportschütze zu sein, und täglich drei bis vier Stunden zielen üben, dürfte fast nicht möglich sein. Wenn überhaupt, mit perfekter Zeiteinteilung.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: