Lewis Hamilton in Hockenheim:Mann ohne Bremsen

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Im Angriffsmodus: Lewis Hamilton in Hockenheim. (Foto: dpa)

Lewis Hamilton erntet für seine furiose Aufholjagd in Hockenheim bis auf Rang drei viel Anerkennung. Der Rennverlauf erzählt einiges über den Mercedes-Piloten - und den weiteren Saisonverlauf.

Von Johannes Knuth, Hockenheim

Ob er an die Bremsen denke, wurde Lewis Hamilton am Abend vor dem Großen Preis von Deutschland gefragt. Hamilton lächelte müde.

Rund eine Stunde zuvor war in seinem Mercedes bei Tempo 220 eine Bremsscheibe geplatzt. Der 29-Jährige war in den Reifenstapel gekracht, er hatte sich zitternd aus seinem Auto geschält. Die Qualifikation war für ihn frühzeitig beendet, nur Platz 15 für den Titelanwärter. Weil die Ingenieure neben den Bremsscheiben auch das Getriebe austauschen mussten, verlor Hamilton weitere fünf Plätze in der Startaufstellung. Er würde viel riskieren müssen, um noch ein paar Punkte zu ergattern. Ob es ihn nicht belaste, solch eine Aufgabe nach einem derartigen Unfall anzugehen, wurde Hamilton also gefragt.

"Ich denke nicht an die Bremsen", sagte er, "ich gehe raus und gebe Vollgas."

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Es hatte dann tatsächlich wenig mit Bremsen zu tun, was der Rennfahrer Lewis Hamilton am Sonntag in Hockenheim vollführte. Hamilton pflügte vom 20. auf den dritten Platz - so was gelingt selbst den Schnellsten selten. Während Teamkollege Nico Rosberg unauffällig gewann und sich in der WM-Wertung ein wenig von Hamilton absetzte, unterhielt der Brite das Publikum mit der wohl spektakulärsten Aufholjagd der bisherigen Formel-1-Saison. Es war ein Rennen, das einiges erzählte über den Piloten Lewis Hamilton - und eine Vorschau bot auf das, was das Publikum während der zweiten Saisonhälfte erwarten darf.

Die ersten Runden stieß Hamilton auf wenig Gegenwehr, der Brite fuhr einfach an allen vorbei: Den Marussias, Caterhams und Saubers. Nach sieben Runden folgte dann die erste kleine Berührung. Adrian Sutil steuerte auf die Haarnadel zu, er holte aus, Hamilton würde sich nicht dazwischenquetschen, dachte Sutil. Aber Hamilton drängelte sich dazwischen, Sutils rechtes Vorderrad prallte sanft gegen Hamiltons Seitenkasten. Erschrocken zog Sutil zurück.

Dann kam die 13. Runde und das nächste Manöver in der Haarnadel-Kurve. Daniel Ricciardo (Red Bull) und Kimi Räikkönen (Ferrari) preschten Rad an Rad auf die Engstelle zu, Hamilton fuhr im Windschatten der beiden. Ricciardo oder Räikkönen, nur einer hatte auf der Ideallinie Platz. Plötzlich wand sich Hamilton an beiden Piloten rechts vorbei. Der Winkel wurde spitzer, zu spitz, Hamilton bremste spät, zu spät, er rauschte in die perfekte Fahrspur und kollidierte mit Räikkönen. Rote Teile vom Frontflügel des Finnen flogen durch die Luft. Der Ferrari-Pilot wich gerade noch aus, Hamilton zog davon.

"Ich fühle mich aber im Moment so, als würde ich in diesem Jahr zum ersten Mal um die WM-Krone kämpfen", hatte Hamilton vor dem Rennen der Welt am Sonntag gesagt, und so bestritt er diesen Grand Prix dann auch: Als habe er all die Siege, den Weltmeister-Titel 2008 nie errungen. Dabei war Hamilton dringend darauf angewiesen, das Ziel zu erreichen, er brauchte Punkte, Rosberg durfte in der Gesamtwertung nicht allzu weit enteilen. "Schadensbegrenzung", wolle er betreiben, hatte Hamilton vor dem Rennen angekündigt, und das war unfreiwillig komisch, wenn man sah, wie er sich im Rennen in jedes Duell verbiss. Selbst wenn Hamilton Schadensbegrenzung betreibt, fährt er an der Grenze des Machbaren. Und manchmal darüber hinaus.

Die 30. Runde, wieder flogen Teile des Frontflügels durch die Luft. Diesmal war es Hamiltons Flügel. McLaren-Pilot Jenson Button war vor der Haarnadel weit nach links ausgeschert. Hamilton deutete das als generöse Geste, "ich dachte, er überlässt mir die Linie", sagte er. Aber Button machte nicht Platz, er hatte nur ausgeholt, um die Kurve schwungvoll zu durchfahren.

Als der McLaren-Pilot nach innen zog, touchierte er Hamiltons Flügel. Er habe niemandem Platz gemacht, sagte Button nach dem Rennen, "ich fahre hier ein Rennen, ich lasse keinen einfach vorbei". Kurz darauf passierte Hamilton Button geräuschlos. Er fuhr jetzt auch mit maladem Frontflüge schneller als alle anderen, schneller als Rosberg. Beinahe hätte er sich den Zweitplatzierten Valtteri Bottas geschnappt, doch kurz vor Ende machten Hamiltons Reifen nicht mehr mit.

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Platz drei also nach Platz 20 in der Qualifikation, 14 Punkte Rückstand in der WM-Wertung auf Rosberg, nur 14 Punkte nach dem miesen Samstag. Ob das Glas für ihn eher halb leer oder halb voll sei, wurde Hamilton nach dem Rennen gefragt. Der 29-Jährige schaute drein, als habe er gerade einen hässlichen Strickpullover zu Weihnachten geschenkt bekommen und müsse nun Freude vortäuschen. "Es ist wohl eher halb voll", sagte er.

Hamilton gegen Rosberg, dieses WM-Duell war auch in Hockenheim ein intensiver Zweikampf - selbst wenn sich beide nicht direkt beharkten. Hamilton wusste, dass der Mercedes derzeit nur durch Defekte oder Fahrfehler zu bremsen ist, ein zweiter Platz ist da schon zu wenig, wenn der Teamkollege einsam an der Spitze kreist. Weltmeister wird in diesem Jahr vermutlich derjenige, der bis zur letzten Sekunde der Saison am Limit fährt und manchmal darüber hinaus - mit dieser Botschaft entließen die Mercedes-Piloten das Publikum am Sonntag in den Feierabend.

"Ich will nicht einfach gewinnen, das mag ich nicht", sagte Hamilton noch. Er wird die kommenden Wochen und Monate jede Menge Spaß an seinem Beruf verspüren.

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