Lewis Hamilton in der Formel 1:Meister des Mobbings

F1 Grand Prix of Mexico

Lässt sich feiern: Weltmeister Lewis Hamilton

(Foto: AFP)

Von René Hofmann

Natürlich ist die Nummer peinlich: Der beste Autofahrer der Welt baut einen Unfall. Er kollidiert - Achtung, Slapstick! - mit einem stehenden Fahrzeug. Und wegen des Anfängerfehlers, der sich am Montag in Monte Carlo ereignete, verpasst er sogar die geplante Anreise zu einem Rennen, das ihm wirklich wichtig ist. Um dem Spott die Spitze zu nehmen, hat Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton die Geschichte über seinen Blechschaden vor dem Grand Prix von Brasilien an diesem Wochenende in São Paulo lieber selbst an die Öffentlichkeit getragen. Der 30 Jahre alte Brite weiß: "Es gibt Menschen, die meine Position kennen, und die würden versuchen, einen Vorteil daraus zu ziehen."

Als Champion ist einer einfach immer der Gejagte. Nicht, dass Hamilton diese Rolle nicht genießen würde. Im Gegenteil. Er geht förmlich in ihr auf, so zumindest hat es den Anschein. Es gibt Formel-1-Fahrer, die bleiben sich in ihrer Karriere vom ersten bis zum letzten Start im Grunde treu. Und es gibt andere, die ändern sich gewaltig in der Welt, die sich selbst so gerne Königsklasse nennt. Und dann gibt es noch ein paar ganz wenige, die verändern sogar die Königsklasse selbst ein Stück weit. Lewis Hamilton gehört sicher zur zweiten Kategorie. Und er steht an der Schwelle zur dritten.

Wie sehr er sich gewandelt hat, seit er 2007 in die Formel 1 kam, zeigt am deutlichsten der Gegenschnitt von seinem damaligen zu seinem heutigen Auftreten in São Paulo. Gleich in seinem Premierenjahr legte Hamilton sich mit einer Szenegröße an. Mit Fernando Alonso, dem stolzen Spanier, der nach zwei Titeln mit Renault zu McLaren gewechselt war, um eine Ära zu begründen. Dafür aber war sein damals noch unbedarfter Teamkollege - eben Lewis Hamilton - zu stark.

Die beiden beharkten sich das ganze Jahr über. Als die Saison in São Paulo auf die Zielgerade bog, hatten sie immer noch einen komfortablen Vorsprung vor dem Finnen Kimi Räikkönen, der auch damals schon einmal für Ferrari fuhr. Die Atmosphäre zwischen Alonso und Hamilton war derart vergiftet, dass der Automobilweltverband neutrale Beobachter in die McLaren-Box entsandte, um miese Spielchen zu unterbinden.

Hamilton über Rosbergs Mexiko-Sieg

"Ich weiß, dass das Team extrem warmherzig sein wollte"

Die Entscheidung brachten letztlich wesentlich banalere Dinge: Hamilton sprang kurz einmal ein Gang heraus, Alonso blieb aus anderen Gründen hinter den Erwartungen - so war der Weg für Räikkönen frei zu einem echten Abstauber-Triumph. Die Fachzeitschrift Sportauto bündelte Hamiltons Auftreten in den entscheidenden Momenten damals in zwei Kernthesen: "Der Brite hat die Aufgabenstellung nicht verstanden. Unter Druck beugte er sich seinen Reflexen als Racer - wo doch das WM-Finale eine Kopfsache ist", schrieb das Magazin. Als zweiten herausragenden Wesenszug hielt es fest, der 22-Jährige sei stets "so charmant freundlich wie der Welcome-Manager eines Sieben-Sterne-Hotels".

Acht Jahre später kann davon keine Rede mehr sein. Und der beste Zeuge dafür ist Nico Rosberg, Hamiltons aktueller Teamkollege bei Mercedes. Seit Hamilton den Titel am 25. Oktober in Austin/ Texas an sich riss, fährt Rosberg um Platz zwei quasi eine deutsche Meisterschaft mit Ferrari-Lenker Sebastian Vettel aus. Vor zwei Wochen in Mexiko glückte Rosberg ein Sieg, mit dem er wieder an Vettel vorbeizog. Aktuell liegt er mit 272 zu 251 Punkten vorne. Nach dem Auftritt in Brasilien steht nur noch das Rennen in der Dämmerung am 29. November in Abu Dhabi an. "Das dominante Team zu teilen, wäre ein Riesenerfolg", erklärt Vettel.

Im Wrestling-Ring oder auf dem roten Teppich

Lewis Hamilton

"Der beste Weltmeister, den wir je hatten" (Formel-1-Boss Ecclstone) inszeniert sich auch beim Wrestling: Lewis Hamilton mit Mistico.

(Foto: Eduardo Verdugo/AP)

Rosberg steckt also wirklich bis zum Hals in einer aufreibenden Abwehrschlacht. Mit einer Nonchalance, die kein Welcome-Manager dieser Erde hinbekommen könnte, redet Hamilton aber just jetzt die Leistungen seines Teamkollegen klein. In einer Kolumne für die BBC erläuterte er, Rosbergs Lauf in Mexiko, wo diesem ein Start-Ziel-Sieg und die schnellste Rennrunde glückten, "bereitet mir kein Kopfzerbrechen: Ich sehe darin kein Muster".

Bereits am Ort des Geschehens hatte Hamilton sich nicht damit begnügt, am Funk gegen einen aus seiner Sicht unnötigen Boxenstopp zu opponieren, der ihn um seine kleine Siegchance brachte. Lange, nachdem Rosberg sich den Champagner aus den Haaren gerubbelt hatte, teilte Hamilton dem britischen Pressekorps Sätze mit, die in ordinären Anstellungsverhältnissen den Tatbestand des Mobbings erfüllen. Teamchef Toto Wolff und Team-Oberaufseher Niki Lauda hätten Rosberg den Sieg mit dem Zwang zu einem zweiten Boxenstopp geschenkt, so Hamilton: "Ich weiß, dass das Team extra warmherzig sein wollte." Wolff und Lauda müssten "hinter den Kulissen" einiges tun, "um Nico bei Laune zu halten", so der inzwischen dreimalige Weltmeister, der auch abseits der Strecke das Kontrastprogramm zu Rosberg fährt.

Dieser wurde im Sommer Vater und setzt sich über seine Öffentlichkeitskanäle gerne als glücklicher Familienmensch in Szene. Hamilton dagegen machte bewusst kein Geheimnis daraus, dass er vor dem Rennen in Mexiko einen Gastauftritt in einem Wrestling-Ring absolvierte sowie in dem Land auch eine Jaguar- und Tiger-Foundation besuchte und mit den Raubkatzen rangelte. Ach ja, und bei der Premiere des neuen Bond-Films in Mexiko schritt er natürlich auch über den roten Teppich. Kein Wunder, dass Formel-1-Vermarkter Bernie Ecclestone entzückt ist und über seinen Landsmann schwärmt: "Der beste Weltmeister, den wir je hatten."

Lewis Hamilton hat viel erreicht. Eines aber fehlt ihm noch: ein Sieg in Brasilien, der Heimat seines Idols Ayrton Senna. Für diesen Anlauf (Sonntag ab 17 Uhr MEZ) hat er sich extra ein S auf den Helm malen lassen, das an den immer noch hoch Verehrten erinnert. Ein Sieg in Brasilien, sagt Hamilton, wäre für ihn "eine Verbeugung vor Ayrton und ein weiteres Highlight in diesem fantastischen Jahr".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: