Robert Lewandowski:Wenigstens die Schulter ist schmerzfrei

Dass Robert Lewandowski wieder mit dabei ist, macht die Aufholjagd der Bayern in Madrid erst möglich.

Von Claudio Catuogno, Madrid

Die Schulterprellung hat es bisher nicht in die Top Ten der verhasstesten Fußballerverletzungen geschafft. Weder muss der Patient sofort in Vail/Colorado operiert werden wie beim Kreuzbandriss, noch liegt der Teufel im Detail wie beim Knorpelschaden. "Schmerzbedingt kann es zu einer Schonhaltung oder Bewegungseinschränkung kommen", weiß der Orthopäde, aber nach zwei bis vier Wochen heilt die Sache von allein wieder aus. Und wenn dann noch eine robuste Grundverfassung sowie Chefarztbehandlung dazukommen, ist es manchmal auch schneller ausgestanden. Deshalb stand Robert Lewandowski jetzt im Estadio Santiago Bernabéu, beugte sich mutmaßlich schmerzfrei nach unten auf den Rasen - und legte sich den Ball auf dem Elfmeterpunkt zurecht.

Es komme bei diesem Champions-League-Rückspiel gegen Real Madrid, bei dem der FC Bayern ein 1:2 aus dem Rückspiel aufholen musste, "nicht auf Namen an", hatte der Präsident Uli Hoeneß vorab zu verstehen gegeben, "egal, wer spielt: Jeder wird sich reinknallen". Das war als trotziger Kommentar zur Münchner Verletztenmisere schon richtig. Aber es stimmte trotzdem nicht. Auf einen Namen kommt es unbedingt an in den großen Spielen. Wenn Lewandowski mitspielen kann, bekommt das Reinknallen aller gewissermaßen einen tieferen Sinn.

22 Ballkontakte, 20 Prozent Zweikampfquote - Lewandowskis Qualitäten waren andere

Nicht nur, aber auch wegen seiner Treffsicherheit vom Elfmeterpunkt. Lewandowski legte sich also den Ball hin, es lief die 53. Minute. Keylor Navas, der Real-Torwart, legt den Ball etwa anders hin. Lewandowski schubste Navas an der Schulter (aber sanft, weitere Prellungen blieben aus) und legte sich den Ball wieder so hin, wie es ihm gefiel. Lief an, verzögerte - und schoss ihn zur Münchner Führung ins Tor.

Real Madrid CF v FC Bayern Muenchen - UEFA Champions League Quarter Final: Second Leg

Kaum Ballberührungen? Ganz egal, wenn die wichtigen sitzen: Robert Lewandowski verwandelt den Foulelfmeter.

(Foto: Matthias Hangst/Getty Images)

Das war schon mal ein markanter Unterschied zu jenem Elfmeter aus dem Hinspiel, den Arturo Vidal Richtung Fröttmaninger Müllberg gejagt hatte. Und es war die Voraussetzung dafür, dass die Münchner dann lange tatsächlich eine echte Chance auf den Halbfinaleinzug hatten.

Wie wichtig der Mittelstürmer Lewandowski aber auch für die Statik dieser Elf insgesamt ist, zeigte sich eher in den kleinen Szenen, in denen der Mittelstürmer in der Madrider Spielhälfte herumschlich. Lauerte. Sich in Position brachte. Bälle festmachte und weiterleitete. Auch wenn er im Strafraum gleichzeitig umzingelt war von Nacho, Sergio Ramos, Marcelo und Casemiro - alles keine zimperlichen Defensivspieler -, deutete Lewandowski mit eindeutigen Gesten an, dass man ihm den Ball trotzdem jederzeit in den Fuß spielen dürfe. Das 1:0 war sein sechster Treffer gegen Real, der erste im Bernabéu - aber noch dazu ist Lewandowski der vielleicht beste Mit-dem-Rücken-zum-Tor-Stürmer der Welt. Wichtig nicht nur für die finale Zuspitzung, sondern auch für das Kombinationsspiel, damit für die Selbstgewissheit aller - und somit eben auch wieder für die Zuspitzung, die jedes Kombinationsspiel ja als Ziel hat.

Im verlorenen Hinspiel war das besonders deutlich geworden - weil Lewandowski fehlte. Die Schulterprellung. Beim 4:1 zuvor im Ligaspiel gegen Dortmund war Lewandowski nach einem Foul des Torwarts Roman Bürki auf die rechte Schulter gestürzt, den Elfmeter verwandelte er noch, bald darauf wurde er ausgewechselt. Thomas Müller musste fortan einspringen. Thomas Müller ist nicht nur kein Mit-dem-Rücken-zum-Tor-Stürmer, es ist derzeit nicht mal klar, ob er überhaupt ein Stürmer ist. Und deshalb war es für die Münchner eine erlösende Nachricht, als der Trainer Carlo Ancelotti am Samstag nach dem ebenfalls eher zuspitzungsfreien 0:0 in Leverkusen mitteilte: "Lewa ist okay".

Real Madrid's Sergio Ramos has his shot cleared off the line by Bayern Munich's Jerome Boateng

In der ersten Halbzeit scheiterte sein Gegenspieler Sergio Ramos an Jérôme Boateng.

(Foto: Sergio Perez/Reuters)

Ob es noch wehtat? Das war bis zu Lewandowskis taktisch bedingter Auswechselung in der 88. Minute (wegen Vidals gelb-roter Karte) nicht seriös einzuschätzen. Mittelstürmerindianer kennen keinen Schmerz, und wenn doch, reden sie nicht drüber. Und wozu gibt es im Zweifel Schmerzmittel? Wenn der Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge wissen ließ, die medizinische Abteilung des Klubs habe "fantastisch gearbeitet", dann hat er damit ja gewiss nicht mit Alpenkräuterextrakten getränkte Umschläge gemeint. Der polnische Patient selbst hatte schon am Abend nach dem Schultersturz wissen lassen, er gehe davon aus, im Hinspiel vier Tage später "zu hundert Prozent" dabei zu sein. Es blieb ein frommer Wunsch.

Nun hatte Lewandowski auch ein paar klassische Mittelstürmerszenen in Madrid. Ein Kopfball nach Alaba-Flanke von links (2.), ein Kopfball nach Lahm-Flanke von rechts (4.). Beide Male brachte er nicht den nötigen Druck hinter den Ball. Sehr viel mehr kam dann nicht mehr, am Ende standen für ihn 22 Ballkontakte und eine Zweikampfquote von, nun ja, 20 Prozent in der Statistik. Aber eben auch 73 Prozent geglückte Zuspiele (16 von 22), und, alte Mittelstürmerweisheit: Die sind ja in der heißen Zone besonders wichtig, aber auch besonders schwer zu erzielen.

Man muss es wohl so sehen: Dass Robert Lewandowski 88 Minuten lang dabei war, machte den denkwürdigen Abend zu einem wesentlichen Teil erst möglich. Aber wenn die Münchner jetzt nach Gründen suchen, warum es für sie doch der letzte denkwürdige Europapokalabend gewesen ist für diese Saison, dann landen sie - neben Javier Martínez' gelb-roter Karte im Hinspiel, neben der Treffsicherheit von Cristiano Ronaldo (auch aus dem Abseits heraus), neben Vidals gelb-roter Karte im Rückspiel - recht schnell wieder bei einer vermaledeiten Schulterprellung, die halt nach zwei bis vier Woche ausheilt und bei fantastischer medizinischer Betreuung auch mal nach zehn. Aber nie nach vier Tagen. Die Münchner haben dieses Viertelfinale in München verloren, mit Lewandowski zum Zuschauen verdammt.

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