Bayer Leverkusen:Schmidt lässt sein Team alleine

Bayer Leverkusen v Sporting Lisbon - UEFA Europa League Round of 32: Second Leg

Roger Schmidt: Denkt schon weiter

(Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Von Kathrin Steinbichler, Augsburg

Vor dem Spiel hatte Markus Weinzierl noch nett sein wollen. Schließlich war sein Trainerkollege Roger Schmidt von Bayer Leverkusen beim Aufeinandertreffen an diesem Samstag ein drittes und letztes Mal gesperrt. Wo also wohl Schmidt, der sich beim FC Augsburg ab einer halben Stunde vor dem Spiel nicht mehr im Innenraum aufhalten durfte, dieses Bundesligaspiel seiner Mannschaft verfolgen würde? "Wenn alle Stricke reißen: Ich wohne nicht weit weg und habe Sky. Da lade ich ihn ein", hatte Weinzierl unter der Woche auf eine entsprechende Nachfrage geantwortet.

Doch Roger Schmidt kam auf das Angebot Weinzierls, auf seiner Fernseh-Couch Platz zu nehmen, nicht zurück. Der Leverkusener Trainer dachte pragmatischer. Schmidt bereitete die Werkself im Stadion noch auf das Spiel vor, verabschiedete sich dann aber Richtung Spanien - und ließ seine Mannschaft mit Assistenztrainer Markus Krösche in der Augsburger Arena alleine. Er konnte ja nicht ahnen, wie aufwühlend und kurios dieses 3:3 (2:0) verlaufen würde.

"Roger Schmidt auf dem Weg nach Villarreal! Ein letztes Mal ersetzt Markus Krösche heute unseren in der Bundesliga gesperrten Cheftrainer. Schmidt nutzt die Zeit und hat sich soeben in Richtung Spanien verabschiedet, wo er heute Abend das Spiel unseres Euroleague-Gegners Villarreal gegen Las Palmas scouten wird!", twitterte das Leverkusener Social-Media-Team eine gute Viertelstunde vor dem Anpfiff. Dass der Leverkusener Trainer eine Partie seiner Mannschaft überhaupt nicht sieht, das hatte es noch nie gegeben. Und die Spieler ahnten davon vorab auch nichts. "Echt? Davon wusste ich nichts", sagte Christoph Kramer mit verwundertem Blick, als er nach dem Spielende hörte, dass sein Trainer gar nicht im Stadion gewesen sei.

Die Leverkusener Medienbetreuerin muss Christoph Kramer ermahnen

Das war der Moment, in dem die Leverkusener Medienbetreuerin dem Weltmeister ein einschüchterndes "Eyy!" zuraunte und ihn mit einem Zupfer am Trikotärmel zur Achtsamkeit aufrief. Bloß nichts Falsches sagen in diesen anstrengenden Leverkusener Tagen, in denen Verletzungen, spielerische Mängel und Trainerdebatten den Alltag bestimmen! Schmidts Stellvertreter Krösche dagegen gab sich ganz entspannt: "Das war abgesprochen. Wir haben vorher überlegt, was uns was bringt."

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Dass Schmidt schließlich lieber den nächsten Gegner beobachtete, als tatenlos das Leverkusener Spiel zu verfolgen, sei "ein sehr professionelles Verhalten" und zudem "ein großer Vertrauensbeweis für die Mannschaft und für uns als Trainerteam", meinte Krösche. Er war sichtlich zufrieden, seinem Chef nach diesem Vertrauensbeweis einen Punkt und eine Erkenntnis nach Hause mitzubringen: "Die Mannschaft hat heute Moral gezeigt. Die Mentalität, die ihr in letzter Zeit oft abgesprochen wird, hat sie heute gezeigt." Unter kräftiger Mithilfe des FC Augsburg allerdings, der eine 3:0-Führung auf kuriose Weise verspielte.

Koo mit Purzelbaum

Die weiter tief im Abstiegskampf verhafteten Schwaben nämlich waren lange Zeit nicht nur die bessere Mannschaft gewesen, sondern auch 3:0 in Führung gegangen. Ja-Cheol Koo hatte früh für den FCA getroffen (5. Spielminute), nachdem Alexander Esswein - der kurzfristig für den beim Aufwärmen verletzten Raul Bobadilla auflief - sich auf rechts gegen Wendell durchgesetzt und seinen Schlenzer an die Querlatte gesetzt hatte. Den Abpraller schoss Koo aus wenigen Metern zum 1:0 ins Tor. Beim 2:0 profitierte Koo erneut von einer Abstauber-Situation: Alfred Finnbogason hatte einen langen Pass erlaufen und das Spielgerät gegen Leno, der früher am Ball war, auch verteidigt. Sein Schuss aus spitzem Winkel prallte an den rechten Außenpfosten, der mitgelaufene Koo aber sorgte für den 2:0-Pausenstand (44.).

Nach dem Wiederanpfiff machte Augsburg dort weiter, wo es aufgehört hatte: Mit einer guten Grundordnung bot der FCA dem schwachen Aufbauspiel der Leverkusener keine Räume, schnelle Konter sorgten immer wieder für Gefahr, während Bayer seine eigenen Angriffe schlampig vergab. Nach knapp einer Stunde folgte so die nächste Lehrstunde für Leverkusen: Außenverteidiger Philipp Max durfte sich den Ball im Halbraum zurecht legen, schlug unbedrängt eine Flanke vor das Tor, dort legte ihn Finnbogason mit der Brust zu Koo ab - und der traf volley zu seinem dritten Tor des Spiels (58.). Vor Freude schlug der Südkoreaner danach einen Purzelbaum. Das Spiel schien entschieden zu sein. Aber: "In der Bundesliga bedeutet auch ein Drei-Tore-Vorsprung noch nichts", schlussfolgerte FCA-Trainer Weinzierl nach dem Abpfiff, "mancher Spieler hatte sich da vielleicht zu früh gefreut." Viel zu früh.

Hakan Calhanoglu erkennt einen "Sieg der Moral"

Denn schon kurz darauf erzielte Bellarabi das 1:3 mit einem harten Schuss, den Marwin Hitz ins Tor rutschen ließ (60.). Leverkusen witterte plötzlich Morgenluft und ging nun zielgerichteter ans Werk, während beim FC Augsburg sichtlich die Kraft nachließ. Als dann auch noch Augsburgs Paul Verhaegh nach einer Leverkusener Ecke ein Eigentor zum 2:3-Anschluss unterlief (80.), stand die Begegnung endgültig auf der Kippe. Eine zweiminütige Nachspielzeit wurde angezeigt, FCA-Innenverteidiger Jeffrey Gouweleeuw kam beim Abwehrversuch mit der Hand an den Ball, den folgenden Elfmeter schoss Hakan Calhanoglu mit der letzten Aktion des Spiels zum 3:3-Ausgleich ins Tor (90.+2).

Markus Weinzierl war bedient: "Das war heute ganz bitter", sagte der Augsburger Trainer, der mit seiner Mannschaft weiter tief im Abstiegskampf steckt. "Man merkt, dass wir nach den letzten Wochen auf dem Zahnfleisch gehen, deshalb haben wir das Spiel auch nicht gewonnen." Calhanoglu, der erstmals als Kapitän aufgelaufen war, wollte dagegen die seltsame Leistung seiner von acht Ausfällen durcheinander gewirbelten Elf als "Sieg der Moral" interpretiert wissen: "Obwohl wir in einer sehr schwierigen Situation sind, haben wir uns das ganz gut zusammen gebastelt. Wir haben nicht gut gespielt, aber auch nicht aufgegeben", meinte er.

Neben dem Punkt habe seine Mannschaft "heute ein bisschen Moral mitgenommen. Ich hoffe, das hilft uns auch am Donnerstag." Dann muss Leverkusen in Villarreal antreten. Und dann ist Trainer Roger Schmidt nicht nur wieder im Stadion dabei - er kennt es nach diesem Samstag sogar schon.

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