Leverkusen:Wunschspieler als Wembley-Held

Tottenham Hotspur FC v Bayer 04 Leverkusen - UEFA Champions League

"Wie wir uns aus unserer Krise befreit haben, schaffen nicht viele Mannschaften": Kevin Kampl glückt ein wichtiges Tor für Bayer Leverkusen.

(Foto: Ian Walton/Getty Images)

Leverkusens Kevin Kampl hilft seinem Trainer Roger Schmidt mit dem 1:0-Siegtor gegen Tottenham aus misslicher Lage.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen/London

Als Kevin Kampl Ende August 2015 zu Bayer 04 wechselte, war mancher Leverkusener skeptisch. Bedenken sind zwar nichts Ungewöhnliches, wenn ein neuer Spieler kommt, der eine Menge Geld kostet. Ungewöhnlich ist aber, wenn diese Bedenken in der Sportlichen Leitung geäußert werden, die den Transfer zu verantworten hat. Kampl, der elf Millionen Euro Ablöse kostete, war vor allem der Wunschspieler von Trainer Roger Schmidt. Zuvor hatte der 24-Jährige eine halbe Saison in Dortmund gespielt, und seine Auftritte bei der Borussia waren in der Tat geeignet, Skepsis zu wecken. Dass Bayer sich nun kurz entschlossen zum Kauf bereitfand, das hatte zwei Gründe: Der Klub hatte nach dem just erfolgten Verkauf von Heung Min-Son an Tottenham Hotspur annähernd 30 Millionen Euro für den Transfermarkt zur Verfügung - er hatte aber kaum noch Zeit, die vielen Millionen auszugeben. In vier Tagen sollte die Börse schließen. So orderte man in Dortmund den Mittelfeldspieler Kampl, der schon den Leverkusener Jugendmannschaften angehört hatte. Die Borussen zeigten sich überaus aufgeschlossen für das Expressgeschäft.

Roger Schmidt festigt seinen Ruf als Entfesselungskünstler

14 Monate später trägt Kevin Kampl in Leverkusen einen neuen Spitznamen. Er heißt jetzt "Wembley-Held", nachdem er vor mehr als 85 000 Zuschauern im Londoner Nationalheiligtum den Siegtreffer zum 1:0 für Bayer 04 bei Tottenham Hotspur erzielt hat, und man darf sagen: Einen besseren Kandidaten hätte sich die Regie für die Heldenrolle nicht aussuchen können. Beispielhaft lässt sich an seiner Geschichte das ewig gültige Prinzip des Gebens und Nehmens veranschaulichen. Vor lauter Freude werde er "kein Auge zumachen heute Nacht", teilte der Torschütze mit.

So wie Kampl seinem Trainer aus gemeinsamen Zeiten bei RB Salzburg Dank dafür schuldete, dass er ihn aus seiner unglücklichen Lage in Dortmund befreite, so ist nun Roger Schmidt seinem Lieblingsschüler zu Dank verpflichtet, dass er mit dem Treffer in London die Irritationen in Leverkusen effektiv beseitigt hat. Bis zum vorigen Wochenende, bis zu Admir Mehmedis spätem Ausgleichstreffer zum 1:1 in Wolfsburg, befand sich Schmidt bei Bayer ja in einer zunehmend prekären Situation. Einerseits weil er zuvor wieder durch sein öffentliches Verhalten aufgefallen war, andererseits weil der Erfolg seiner Arbeit ausblieb. Seine Beliebtheitswerte in der Bayer-Obrigkeit waren stark gesunken.

Mit dem 2:1 in Wolfsburg und dem 1:0 in London hat Schmidt nun ein weiteres Mal seinem Ruf als Entfesselungskünstler alle Ehre gemacht, zwei keineswegs selbstverständliche Erfolge binnen fünf Tagen haben Bayer 04 wieder ins Gleichgewicht gebracht. Zweifel an der Loyalität der Mannschaft gegenüber dem Trainer, von denen zuletzt unter den ständigen Beobachtern oft die Rede war, dürften vorerst kein Thema mehr sein. Diesmal hat Schmidt nicht übertrieben, als er die Beherztheit und die Entschlossenheit seiner Elf lobte und den Sieg zu einem Akt höherer Gerechtigkeit erklärte - als Belohnung für Courage und Wille. Bayer setzte sich spielerisch gegen den hochgehandelten Widersacher aus der Premier League durch, maßgebend angetrieben von Kampl, dessen Wert für diese Mannschaft längst von niemandem mehr bezweifelt wird, schon gar nicht von den Verantwortlichen. Bereits im vorigen Winter hatte Sportchef Rudi Völler eine Offerte von Atlético Madrid abgewiesen und dafür zwei zwingende Gründe genannt: "Kevin ist überglücklich bei uns, und wir sind glücklich mit ihm." Kampls Berater meinte sogar, sein Mandant sei "zu 1000 Prozent happy, in Leverkusen zu sein".

"Jetzt sind wir wieder auf einem guten Weg", glaubt der Torschütze

Womöglich hat er damit nicht übertrieben. Die Verbundenheit zu seinem Klub drückt sich bei Kampl auf dem Spielfeld sichtbar aus. Was früher in seinem Spiel Aktionismus und Übereifer war, das ist nun im positiven Sinn der volle Einsatz für die Mannschaft. Die spielerischen Qualitäten brachte Schmidt durch die Aufgabenzuteilung im Mittelfeld zur Geltung. So gehörte der Kämpfer Kampl auch in der kritischen Phase, die den Klub zuletzt gebeutelt hatte, zu den wenigen tragenden Figuren in der Bayer-Elf. "Jetzt sind wir wieder auf einem guten Weg, alle gemeinsam sind wir da wieder rausgekommen", sagte er.

Einen besseren Ort für sein erstes Saisontor hätte sich der 26-Jährige nicht aussuchen können, die weihevolle Kulisse und der angeblich heilige Rasen versetzten die Leverkusener Profis in andächtige Stimmung. "Ein Sieg in Wembley - ich weiß nicht, ob's schon mal was Besseres in meiner Karriere gab", sagte der junge Verteidiger Jonathan Tah. Am Samstag kehrt Bayer in den Liga-Alltag zurück, dann ist Darmstadt 98 der Gegner - und Kampl muss womöglich wegen einer in Wembley erlittenen Fuß-Prellung zusehen. Nicht unbedingt Grund zur Skepsis, aber mindestens erwähnenswert.

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