Leverkusen weiter sieglos:Völler findet einen neuen Gegner

Bayer Leverkusen v Borussia Dortmund - German Bundesliga

Einer, der den Schiedsrichtern mal das Regelwerk erklärt: Rudi Völler schimpfte einst noch auf Fifa-Referee Felix Zwayer, nun auch gerne auf den Videoassistenten

(Foto: Ina Fassbender/Reuters)
  • Rudi Völler gerät gegen Hoffenheim in Rage, weil ihn der Videoassistent aufregt.
  • Er glaubt, dass Hoffenheims Mark Uth vor dem 2:2 ein Foul an Leverkusens Benjamin Henrichs begangen hatte.
  • Die Vermutung lag zwar nahe - eindeutig zu belegen war sie aber anhand der TV-Bilder nicht.

Von Milan Pavlovic, Leverkusen

Rudi Völler braucht Gegner. In seiner Karriere als gefürchteter Stürmer brauchte er sie, um ihnen zu entwischen. Man hielt den Atem an, wenn er davoneilte. In seiner Karriere als Sportdirektor bei Bayer Leverkusen braucht er Gegenspieler, um sich nach dem Spiel abzureagieren. Meistens trifft es dann die Unparteiischen, die ihn fast immer poltern und völlern lassen, weil er ja Rudi Völler ist, Weltmeister als Spieler, WM-Finalist als Teamchef, Legende der Bundesliga. Man erinnert sich schmunzelnd an zahllose verbale Scharmützel auf und neben dem Platz. Wäre Völler eine Comicfigur, wäre ihm in diesen Szenen Dampf aus den Ohren entwichen.

Umso irritierender war das Bild nach Leverkusens 2:2 gegen die TSG Hoffenheim: Völler stromerte ziellos umher, erbost über die verlorenen Punkte. Aber wem sollte er die Schuld geben? Seine Spieler hatten über weite Strecken exzellent agiert. Der Schiedsrichter trug ebenfalls keine Schuld daran, dass Leverkusen nicht gewonnen hatte: Harm Osmers hatte das Spiel umsichtig geleitet und alles, was er sehen konnte, richtig beurteilt. Nein, Schuld trug der Videobeweis, der Völlers Meinung nach nicht zutage gefördert hatte, dass Mark Uth vor dem 2:2 ein Foul an Leverkusens Benjamin Henrichs begangen hatte.

Genau das war der Punkt, den Völler nach gut vier Jahrzehnten im Fußballgeschäft noch nicht kannte: Die Verantwortlichen saßen nicht im Stadion, Völler konnte sich nicht persönlich an ihnen reiben. Deshalb wirkten seine Sätze so unpersönlich, als er lamentierte: "Das war ganz klar und definitiv ein Foul. Ich weiß nicht, wer da in Köln im Keller vor dem Fernseher saß ..." Erst als er informiert wurde, dass der erfahrene Wolfgang Stark als Video-Schiedsrichter für dieses Spiel eingeteilt war, geriet Völler so richtig in Fahrt: "Wenn die Jungs vor dem Fernseher einschlafen, brauchen wir auch keinen Videobeweis. Dann können wir die ganze Nummer abstellen."

Die TV-Bilder lieferten für die Szene vor dem Ausgleich keine eindeutige Gewissheit

Damit war die Videobeweis-Diskussion eröffnet, denn alle Leverkusener kamen auf die Szene zurück. "Da war ein Kontakt", klagte Trainer Heiko Herrlich, "Henrichs fällt ja nicht freiwillig." Dann kam er auf die Verhältnismäßigkeit zu sprechen: Am ersten Spieltag, beim 1:3 in München, habe der FC Bayern einen Elfmeter durch einen Videobeweis bekommen, den Robert Lewandowski verwandelte, weil "unser Spieler eine Hand auf Lewandowskis Schulter legt". Das habe er akzeptiert, sagte Herrlich, aber "wenn so was gepfiffen wird, dann muss eine Linie gefahren werden. Der Fußball sollte durch den Videobeweis gerechter werden, aber ich habe noch nicht den Eindruck, dass er das wird."

Immerhin sagte der Trainer: "Wir müssen uns an die eigene Nase fassen", denn das Ergebnis sei "der tollen Leistung der ersten Halbzeit" nicht gerecht geworden. Rasch wurde klar, dass die in der Champions-League-Qualifikation klar gescheiterten Hoffenheimer nicht ihr rabiates Pressing-Spiel würden aufziehen können. Dafür waren die TSG-Profis "zu müde und zu traurig", wie Trainer Julian Nagelsmann sagte, "und die Leverkusener zu schnell".

Die TV-Bilder waren wohl nicht eindeutig

Bayer war aber nicht bloß schnell. Das Team machte obendrein viele Dinge intuitiv richtig, ob nun Spielverlagerungen im richtigen Moment, freche Beinschüsse und Hackenpässe, die das Terrain für Konter öffneten. Nur: Der Lohn dafür war verschwindend gering. Zur Halbzeit stand es 9:0 nach Chancen, aber nur 1:0 nach Toren, kurioserweise durch einen Elfmeter von Wendell (32.). "Wir machen uns nix vor", gab Nagelsmann zu, "wir hatten viel Glück, dass wir da noch im Spiel waren."

Sein Team reagierte erst nach der Pause, zynisch und cool: indem es die allererste Gelegenheit zum 1:1 nutzte. Sven Bender, Bayers erfahrener neuer Innenverteidiger, agierte bei einem Zweikampf ziemlich tölpelhaft; erst dieser Fehler ermöglichte Sandro Wagner den Pass auf Kramaric, der anschließend Torwart Bernd Leno tunnelte (47.). Leverkusen steckte das Gegentor verblüffend locker weg, traf nach einer feinen Kombination durch Karim Bellarabi zum 2:1 (49.) und hatte durch Brandt (53.) und Bellarabi (58.) noch zwei weitere exquisit herausgespielte Großchancen.

Danach aber war Schluss mit Leverkusens Herrlichkeit. "Die waren urplötzlich saumüde", sagte Nagelsmann leicht verblüfft, schließlich hat die Werkself keine englischen Wochen hinter sich. Es folgte das umstrittene 2:2, wobei Wolfgang Stark wohl nicht eingriff, weil die TV-Bilder nicht eindeutig waren. Die Vermutung lag zwar nahe, dass ein Foul vorgelegen haben könnte, aber es war nicht zu 100 Prozent zu belegen. Die Krönung des Ausgleichs bestand dann darin, dass Torschütze Uth den Volleyschuss nicht richtig traf, weshalb der Ball zum Aufsetzer über Torwart Leno geriet, an die Unterkante der Latte trudelte, ins Feld zurücksprang und erst durch den Effet über die Torlinie eierte.

Mit einem Mal fehlte Leverkusen nicht bloß die Kraft, sondern auch der Mut, der die Werkself vorher ausgezeichnet hatte. Nun traf auch für die Gastgeber zu, was Nagelsmann über seine Elf gesagt hatte: "Wer müde ist, ist immer ein bisschen trauriger als der, der fit ist. Denn wenn man merkt, man kommt nicht rein, werden die Beine immer schwerer." Für Hoffenheim wäre dagegen am Ende sogar noch der Siegtreffer möglich gewesen. "Aber das", sagte Julian Nagelsmann, "wäre absolut unverdient gewesen." Und wenigstens in diesem Punkt waren sich alle einig. Inklusive Rudi Völler.

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