Ein kleines Lamento schwang mit, als Hakan Calhanoglu, 21, den Blick zurückwarf: "Der zweite Freistoß war eigentlich besser", sagte der Mittelfeld- spieler von Bayer 04 Leverkusen. Gewiss, mit dem ersten war er bereits erfolgreich gewesen, nach 18 Minuten. Und dass er seiner Mannschaft mit dem 1:0 bei Hannover 96 einen perfekten Saisonstart und den ersten Auswärtssieg seit April beschert hatte, das erfüllte ihn mit Genugtuung. Doch Calhanoglu strebt eben nach Perfektion, wenn es um Freistöße geht.
Wenn die Spielkameraden längst in der Kabine ihre Haut mit Pflegemittel bearbeiten, steht er oft noch auf dem Trainingsplatz und tritt immer und immer wieder gegen den Ball, um die Haltung von Körper und Fuß so zu justieren, dass der erdachte Schuss auch gelingt. Ein wenig wie der Italiener Andrea Pirlo, der in seiner Autobiografie schrieb: Alle seine Freistöße seien wie Söhne, die er auf Reisen schicke.
Für einen, der einem einzigen Schuss so viel Bedeutung beimisst, muss der Klang von Aluminium schrecklich sein. Kein Wunder also, dass Calhanoglu darüber klagte, dass er in der 47. Minute, bei seinem zweiten direkt getretenen Freistoß, nur die Querlatte des Tores traf. Auch bei diesem Freistoß hätte 96-Torwart Ron-Robert Zieler wohl das Nachsehen gehabt - wobei ihm wegen der formvollendeten Ausführung die Debatte erspart geblieben wäre, die er wegen des 0:1 aushalten musste. Ob er den Ball nicht vielleicht doch hätte parieren können, wurde Zieler gefragt, was ihn durchaus aufbrachte. Denn der Bogen zur Vorsaison, in der er mehr Freistoß- treffer kassierte (sechs) als jeder andere Bundesliga-Torhüter, war eine scharfe Kante: "Natürlich möchte man den Ball gerne halten, aber er kann den jederzeit so hervorragend treffen, dass er reingeht", sagte Zieler über Calhanoglu .
Leverkusens Keeper Bernd Leno übte Klassensolidarität: "Ich habe das Glück, dass ich nicht gegen ihn spielen muss, weil man sich darauf einstellen kann, dass der Ball mit großer Wahrscheinlichkeit drin ist", sagte er. Weltmeister Christoph Kramer bekannte, schon "immer leicht zum Jubeln abzudrehen", wenn Calhanoglu sich auf einen Freistoß konzentriere. Hannovers Trainer Michael Frontzeck sprach dem Leverkusener mit der Nummer 10 "schon ganz gute Füße" zu, Leverkusens Coach Roger Schmidt erkannte zumindest "ein goldenes Füßchen". Auf dieses dürfte Leverkusen auch am Mittwoch bauen, die Rheinländer empfangen dann Lazio Rom zum Rückspiel in der Champions-League-Qualifikation (20.45 Uhr/ZDF & Sky). Für Calhanoglu wäre ein Freistoßtor dann eine Premiere. In der Königsklasse ist ihm noch keines gelungen.