Leverkusen-Angreifer Chicharito:Kleine Erbse, großer Könner

Bayer Leverkusen v SV Darmstadt 98 - Bundesliga

74 Länderspiele für Mexiko hat Javier Hernández, genannt Chicharito, absolviert. Jetzt stürmt er für Bayer.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Leverkusens Kaderplaner hatten nicht geglaubt, Javier Hernández, genannt "Chicharito", verpflichten zu können.
  • Dass es doch geklappt hat, liegt auch an dessem Ex-Trainer in Manchester: Louis van Gaal.
  • Leverkusen leistet sich nun einen Kader, der teure Vielfalt bietet.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Am Tag, als Bayer 04 Leverkusen gegen Lazio Rom um das Erreichen der Champions League spielte, schickte Javier Hernández, genannt "Chicharito", dem Leverkusener Manager Jonas Boldt eine SMS mit unverfänglichem Inhalt - er wünschte dem deutschen Klub viel Glück. Nachdem Leverkusen 3:0 gewonnen und sich für die Hauptrunde in Europas Eliteliga qualifiziert hatte, schickte Chicharito wieder eine SMS, und diesmal übermittelte der 27 Jahre alte mexikanische Nationalspieler nicht nur seine Glückwünsche, sondern auch eine Bitte. Sinngemäß: Wir sollten miteinander reden.

Dieser 26. August war ein Tag, an dem sich die Ereignisse in Leverkusen ziemlich geballt und ziemlich bedeutungsvoll zuspitzten: Hier das Rückspiel gegen Lazio, in dem es galt, den 0:1-Rückstand aus der ersten Begegnung zu übertreffen; dort das entfesselte Transfergeschäft, das die Bayer-Verantwortlichen kurzfristig zu gravierenden Umbauten am Spielerkader nötigte.

Frohe Botschaft per SMS aus Manchester

Zwar hat der Klub die 30 Millionen Euro herzlich willkommen geheißen, die Tottenham Hotspur mehr oder weniger plötzlich für die Übernahme von Heung-Min Son spendierte, aber bei der Fahndung nach der Ersatzlösung für den koreanischen Angreifer herrschte hoher Zeitdruck: In fünf Tagen sollte das Transferfenster schließen. Noch am selben Tag holte Boldt aus Dortmund das Einverständnis für den Wechsel von Kevin Kampl ein. Dann kam die SMS aus Manchester, die Boldt als frohe Botschaft betrachtete.

Dass "Chicharito" - die kleine Erbse - Hernández am Mittwochabend die Leverkusener Startelf beim Champions-League-Spiel gegen Bate Borisow schmücken wird, beruht auf einer langen Vorgeschichte und auf dem langen Gesicht von Manchester Uniteds Trainer Louis van Gaal. Den Kontakt mit dem kleinen Angreifer, der nach fünf Jahren bei United an den Rand der Besetzungsliste geraten war, hatte Boldt schon vor Monaten aufgenommen, aber diese Anbahnung empfand er selbst als Anflug von Größenwahn.

Zu prominent, zu teuer, zu begehrt war dieser Fußballer, "anfangs bestand eigentlich keine realistische Chance", erzählt Boldt. Aber die Verbindung hielt, und am besagten 26. August kamen die Dinge rasant in Bewegung. Während Bayer dank Son und der geschafften Königsklassen-Teilnahme schlagartig mit Einnahmen von circa 50 Millionen Euro rechnen durfte, rutschte Hernández beim Duell zwischen dem FC Brügge und Manchester United im Strafraum aus, weshalb sein Elfmeterschuss kläglich am Tor vorbeiflog und Louis van Gaal eine Miene aufsetzte, die Boldt als "Schleich-dich-Gesicht" klassifiziert. Chicharito hatte in Manchester keine Zukunft mehr. Schließlich machte Bayer gegen die Konkurrenz aus England und der Türkei das Rennen um den Stürmer.

Ein Kader, der teure Vielfalt bietet

Den Schaden hat jetzt Roger Schmidt, dem das Spiel gegen den weißrussischen Meister Borisow ein Rätsel aufgibt: Der Bayer-Trainer muss seine Startformation aus einem Angebot wählen, das sich zur Überforderung eignet. Leverkusen leistet sich nun, an Champions-League-Ansprüche gewöhnt, einen Kader, der teure Vielfalt bietet.

Dem Mittelstürmer Nr. 1, Stefan Kießling, steht jetzt der alternative Mittelstürmer "Chicharito" bei, Karim Bellarabi, Kevin Kampl, Hakan Calhanoglu, Admir Mehmedi und Julian Brandt stehen als offensives Begleitpersonal zur Verfügung. "Ich glaube, der Trainer ist selbst noch gespannt, wen der Trainer am Spieltag aufstellen wird", witzelt Boldt. So hat es Schmidt ja gewollt. Bei den Kadergesprächen im Sommer sagte der Trainer, so erzählt es der Manager, oft folgenden Standardsatz: "Und vergiss die Erbse nicht . . ."

Chancenverwertung? "Da hat er große Qualitäten"

Chicharito soll den Schwerarbeiter Kießling in der Angriffsspitze als zweiter Torjäger unterstützen. Häufig kommt Kießling vor lauter Luftduellen und Zweikämpfen im offenen Feld nicht mehr rechtzeitig in den Strafraum, um Torchancen zu verwerten. Er ist dann gewissermaßen das Opfer seiner eigenen Spielbeschleunigung. Die Arbeit vor dem Tor soll nun sein mexikanischer Partner wahrnehmen. "Viel zu wenig aufs Tor geschossen" habe sein Team zuletzt, klagte Trainer Schmidt am Dienstag, und sich zwar Chancen erspielt, diese aber nicht genutzt. Das soll sich mit Chicharito jetzt ändern, "dafür haben wir ihn ja geholt", sagte Schmidt, "da hat er große Qualitäten".

Dies gilt auch für andere Bereiche. "Er ist ein sehr offener Typ, und er spricht sehr gut Englisch - besser als die meisten von uns", berichtet Torhüter Bernd Leno. "Er ist ein ganz schlauer Spieler, vor allem in der Box", meint Boldt. So erinnert er sich dankbar an jenen schicksalhaften Tag im August: "Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn wir gegen Lazio verloren hätten. Aber jetzt können wir sagen, dass wir eine Punktlandung geschafft haben."

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