Leonardo Bonucci:Wenn sich Spieler und Klub nur noch loswerden wollen

Juventus v Borussia Dortmund - UEFA Champions League Round of 16; Leonardo Bonucci und Massimiliano Allegri

Zwischen Juve-Verteidiger Leonardo Bonucci (l., hier bei einem Champions-League-Spiel im Februar 2015) und Trainer Massimiliano Allegri soll es mehrfach gekracht haben.

(Foto: Getty Images)
  • Verteidiger Leonardo Bonucci wechselt von Juventus Turin zum AC Mailand - dort wird er bestbezahlter Spieler der Serie A.
  • Es liegt die Vermutung nahe, dass es nicht nur ums Geld ging - sondern dass es in Turin zuvor gewaltig gekracht haben muss.
  • In der Halbzeit-Pause des Champions-League-Finales soll er mit Trainer Allegri aneinander geraten sein.

Von Birgit Schönau, Rom

Juventus zieht um in die neue Klubzentrale am Stadion, in den Büros werden gerade Kisten gepackt. Leonardo Bonucci war der erste, der seinen Spind räumte, allerdings nicht für den Umzug mit Juve. Bonucci zog quasi über Nacht 140 Kilometer ostwärts nach Mailand. Dort überschüttet die Associazione Calcio Milan den Abwehrmann mit einem Jahres-Nettogehalt von 7,5 Millionen Euro plus eventueller 2,5-Millionen-Prämie. Damit wird Bonucci der bestbezahlte Spieler der Serie A.

Der Abschied in Turin soll eisig gewesen sein. "Alle wollten ihn hier zum Kapitän machen, aber der Gott des Geldes war stärker", rief ihm im Internet Silvia Chiellini hinterher, die Schwester des nunmehr ehemaligen Kollegen Giorgio Chiellini. Kapitän wird Bonucci beim AC Mailand werden, er bekommt jene Armbinde, die einst Franco Baresi und Paolo Maldini getragen haben, gewissermaßen als Dreingabe.

Der beste Verteidiger Italiens, der in sieben Jahren mit Juventus sechs Meistertitel und drei Pokale gewonnen hat und zwei Champions-League-Finals verlor, startet mit dem AC Mailand jetzt in die Vorrunde der Europa-League. Norrköping und Bröndby heißen die Gegner statt Real Madrid und Bayern München. Da liegt die Vermutung nahe, dass es nicht nur ums Geld ging - sondern dass es in Turin zuvor gewaltig gekracht haben muss.

Bonucci bedankt sich bei allen - außer bei seinem Trainer

Noch im November hatte Bonucci erklärt, bevor er Juventus verlasse, würde er sich an den Toren des Stadions festbinden lassen: "Ich will hier nie wieder weg." Damals hatte Manchester City, dessen Trainer Pep Guardiola schon lange mit dem Verteidiger liebäugelte, angeblich 60 Millionen geboten. Juve und Bonucci winkten ab. Wenige Monate später verkauft der Klub der Fiat-Familie Agnelli den designierten Nachfolger des Kapitäns Gianluigi Buffon nun für 40 Millionen an die Konkurrenz im eigenen Land. Ein Schleuderpreis für einen, der bis dato als unverkäuflich und sowieso als unersetzlich galt. Als wollten Spieler und Klub sich so rasch wie möglich nur noch gegenseitig loswerden.

Am Sonntag hatte Bonucci die gesamte letzte Seite der Gazzetta dello Sport gebucht für ein paar höfliche Abschiedsfloskeln. Mit dem Titel "Eine wunderbare Geschichte" waren exakt 18 Zeilen überschrieben, die der Spieler "dem Klub, dem Kapitän, den Kollegen und Tifosi" widmen wollte. Bonucci schrieb, er sei stolz auf die Trophäen und Erfolge, vor allem aber darauf, "zu dieser großen Familie" gehört zu haben: "Ich habe immer alles gegeben, viel bekommen und gelernt." Zu Juventus habe er eine "empathische und außergewöhnliche Verbindung" empfunden.

Einer schien dabei keine Rolle gespielt zu haben: Massimiliano Allegri. Der Trainer wurde demonstrativ nicht erwähnt, und so nährte Bonucci zum Schluss noch einmal höchstpersönlich jene Gerüchte, nach denen sein Zerwürfnis mit dem Coach zur traumatischen Auflösung einer der erfolgreichsten Hintermannschaften des italienischen Fußballs geführt haben könnte. Die famose Turiner "BBC"-Abwehr (Barzagli, Bonucci, Chiellini) wird fortan nur noch in der Nationalelf existieren. Dass sie ihren Zenit überschritten hatte, war im Champions-League-Finale (1:4 gegen Real Madrid) deutlich geworden, aber man hätte eher mit dem Abschied des 36-Jährigen Andrea Barzagli gerechnet, und damit, dass Bonucci das Zentrum der Erneuerung bleiben würde.

Stattdessen fiel in Cardiff offenbar jener Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Bereits im Februar hatte es zwischen Bonucci und Allegri ganz gegen die Juve-Gepflogenheiten in aller Öffentlichkeit geknallt. "Halt das Maul, du A...gesicht!" brüllte der Trainer seinem Spieler entgegen, als der ihm in einem Ligaspiel gegen Palermo die Auswechslung eines Mitspielers suggerieren wollte.

Zur Strafe stellte Allegri den Verteidiger nicht für das Champions-League-Match gegen den FC Porto auf. Bonucci musste von der Tribüne aus seinen Kollegen zusehen, auf einem isolierten Platz, weit weg vom Klubmanagement. Eine öffentliche Demütigung, die der Spieler trotz seiner formellen Entschuldigung nebst nachfolgender Handschlags-Versöhnung nicht vergaß. In der Halbzeit-Pause des Finales soll er beim Stand von 1:1 erneut mit Allegri aneinander geraten sein, diesmal ging es angeblich um die Leistungen von Barzagli und Paulo Dybala. Gerüchte, die niemand bestätigt.

"Bei Juventus durfte man in der Kabine noch nicht mal Musik hören"

Fakt ist, dass das Juventus-Team lange vor den Gegner schon wieder auf dem Platz war - um dann auf kaum nachvollziehbare Weise einzubrechen. Das Finale hatte sich Juventus zu Recht als eine der stärksten Mannschaften Europas erkämpft, mit einer nahezu unüberwindbaren Abwehr. Nun sank das eiserne Team aus Turin in sich zusammen wie ein zu früh aus dem Ofen geholtes Soufflé.

Allegri, so spekulieren die italienischen Medien, soll es anschließend zur Bedingung seiner Vertragsverlängerung gemacht haben, dass Bonucci den Klub verlässt. Ein klassisches "Er oder ich", das der Meistertrainer für sich entschied. Juventus habe "eine Zeitbombe entschärft", befand der Corriere della Sera. Und sei es um den Preis, die Abwehr nun vollkommen neu erfinden zu müssen. Auch Dani Alves, bis dato eine der wichtigsten Stützen der Saison, hat Juventus nach dem verlorenen Finale Hals über Kopf verlassen und inzwischen bei Paris St. Germain angeheuert.

"Ich bewege mich gern in einer freudigen Atmosphäre", sagte der Brasilianer bei seiner ersten Pressekonferenz im neuen Klub. "Aber bei Juventus durfte man in der Kabine noch nicht mal Musik hören." Dabei sei PSG doch "viel besser organisiert".

Das Musikverbot war für Leonardo Bonucci garantiert kein Problem. Er gilt als verschlossener, sogar etwas düsterer Charakter, als vergrübelt und nachtragend. Gern tritt er markig auf, wortkarg, ja trotzig. Wer ihn kennt, bezeichnet den 30-Jährigen als äußerst sensibel. In der vergangenen Saison hatte er mit seiner Familie eine schwere Zeit durchgemacht, als der jüngere der beiden Söhne schwer erkrankte. Vor Fernsehkameras brach Bonucci damals in Tränen aus, wenn er nach seinen Jungen gefragt wurde. Aber er dankte auch Klub und Fans für deren große Unterstützung.

Die Familie ist ihm wichtiger als jeder Arbeitgeber

"Ich fühle mich, als wenn ich eine Rüstung trüge", sagte er in einem seiner seltenen Interviews La Repubblica. "Ich denke viel und sage wenig. Ich gebe es zu, Misstrauen ist meine persönliche Schwachstelle. Deshalb habe ich nur wenige Freunde."

Dass die Familie ihm wichtiger ist als jeder Arbeitgeber, bewies Bonucci, als er seinen ältesten Sohn Lorenzo zu einem Heimspiel des Lokalrivalen FC Turin begleitete. Noch kein italienischer Profi hat je Ähnliches gewagt. Der kleine Bonucci ist glühender Toro-Fan. "Wie alle Kinder in seiner Kindergartengruppe", gestand Vater Bonucci. "Warum soll ich meinem Sohn das austreiben?" Bonucci juniors größtes Idol Andrea Belotti wird auch von Milan umworben. Womöglich spielt er also bald in Papas neuer Mannschaft.

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