Leichtathletin Carolina Klüft:Spaß am Ernstsein

"Ich bin nicht mehr das kleine Mädchen": Im Mehrkampf schien Carolina Klüft unschlagbar und wurde gefeiert. Dennoch wechselte die Schwedin zum Weitsprung und wurde von der Gold- zur Blech-Marie. 2012 wird ihr letztes Jahr als Sportlerin - was die frühere Siebenkampf-Seriensiegerin hinterlassen wird, ist jetzt schon klar: ein Beispiel angewandter Gelassenheit.

Thomas Hahn

Das Wort Spaß kann sie jetzt nicht einfach so stehen lassen, sonst behauptet wieder jemand, Spaß sei eine oberflächliche Regung. "Die Leute haben manchmal die Art missverstanden, wie ich Spaß gesagt habe", sagt Carolina Klüft, 28, die schwedische Siebenkampf-Olympiasiegerin. Sie hat so oft vom Spaß gesprochen während ihrer Karriere, im Grunde immer, weil sie sagen wollte, dass Spaß ihr Antrieb sei. Nicht manischer Ehrgeiz, Eitelkeit, Medaillensucht. Sondern Spaß.

Kluft of Sweden competes in the women's long jump athletics final  in the National Stadium at the Beijing 2008 Olympic Games

"Ich wollte was anderes": Siebenkampf-Olympiasiegerin Carolina Klüft in der Weitsprungkonkurrenz bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking. Sie landete am Ende auf Platz neun.

(Foto: REUTERS)

Und manche Leute dachten wohl, mit Spaß meine die Klüft eine ewige Party, ein Vorbeigehen und Mitnehmen, wie es gerade kommt, aber das war ein Irrtum, denn Spaß ist für Carolina Klüft genau das Gegenteil. Spaß ist, eine Herausforderung zu haben und sich reinzuknien. "Spaß heißt nicht, dass einem alles egal ist", sagt Carolina Klüft, "Spaß ist für mich, wenn Leute eine Leidenschaft haben für etwas. Wenn du das Bestmögliche aus dir rausholst, ob das nun zur Weltspitze reicht oder für die besten Zehn in Schweden oder für sonstwas. Spaß ist nichts Unseriöses."

Vielleicht sollte man diesen Spaß, den Carolina Klüft meint, besser Freude nennen, aber das ist im Grunde ganz egal. Was sie meint ist klar, und den Gedanken, dass sie vielleicht die erste bekennende Spaßarbeiterin in der Geschichte der Leichtathletik war, kann man sich schon mal für den Nachruf auf ihre Athletinnen-Karriere aufheben, der im bevorstehenden Jahr nämlich fällig wird. 2012 begeht Carolina Klüft ihr zehntes und letztes Bühnenjubiläum. Olympia in London ist ihr noch wichtig, danach wird sie noch bei ein paar Sportfesten antreten, den letzten Applaus einsammeln und sich ins Privatleben verabschieden.

Und wahrscheinlich wird ihr Abschied in der internationalen Arena etwas untergehen vor lauter Usain Bolt und sonstigem Gold-Geklimper, denn das, was Carolina Klüfts Karriere so richtig groß macht, wird sie am Ende neben den sogenannten Stars des olympischen Kernsports ziemlich klein aussehen lassen.

Klüfts Karriere. Es ist nicht verkehrt, sie jetzt schon Revue passieren zu lassen, lange vor den hektischen Spielen in London. Im vergangenen Sommer in Daegu bei der WM hat man doch gesehen, wie das mittlerweile läuft im großen Leichtathletik-Theater. Fehlstart und Rückkehr des jamaikanischen Weltrekordlers Bolt bestimmten die Debatten, dazu die Starts des Prothesenläufers Oskar Pistorius aus Südafrika. Carolina Klüft hingegen? Schaffte Platz fünf im Weitsprung, was beachtlich war nach ihrer Verletzten-Geschichte, im Grunde aber nur die Medien ihrer Heimat interessierte.

Vier Jahre zuvor war das noch ganz anders. Da hatte ihr Ausrüster vor der WM in Osaka ein ganzes Lokal für eine Carolina-Klüft-Pressekonferenz angemietet, japanische Comic-Künstler präsentierten Carolina-Klüft-Mangas, Journalisten aus vielen Ländern waren da. Und wenige Tage später gewann Carolina Klüft Gold im Siebenkampf mit Bestleistung von 7032 Punkten. Es war ihr drittes WM-Gold nach 2003 in Paris und 2005 in Helsinki, ihr sechster Sieg beim Saison-Höhepunkt seit ihrer Premiere bei den Erwachsenen als etwas zappelige 19-jährige Europameisterin von München 2002.

Im Siebenkampf unbesiegt

Es war die Fortsetzung einer Bilanz von null Niederlagen in fünf Jahren Mehrkampf, und so wäre es wohl weitergegangen. Oder? Keiner weiß es. Denn im März 2008 erklärte Carolina Klüft ihre erste Karriere für beendet. Kein Siebenkampf mehr. Stattdessen Weitsprung und Dreisprung. "Ich wollte was anderes." Und mancher Schwede klagte, die Klüft werde ihrer Verantwortung als nationale Gold-Garantie nicht gerecht.

Seither hat es tatsächlich keine Carolina-Klüft-Medaillen mehr gegeben, keine internationalen Carolina-Klüft-Pressekonferenzen, keine Carolina-Klüft-Mangas. Und die Frage liegt nahe, wie man einen solchen Wandel von der Gold- zur Blech-Marie erlebt. Es ist eine spannende Frage, allerdings kann Carolina Klüft nicht mit einer Antwort dienen, die von einer dramatischen Lebenswende erzählt. Sie erlebt das nicht so.

Sie sitzt in Växjö in den gepflegten Räumen ihrer Firma Carro&Patrik AB, die Vater Johnny Klüft zu Beginn ihrer Sportkarriere für sie gründete, um die Leistungen der Tochter sowie die ihres heutigen Mannes, des Trainers und früheren Stabhochspringers Patrik Klüft geb. Kristiansson, zu vermarkten. Und sie ist sehr entspannt. Der Unterschied zwischen ihren beiden Athletinnen-Leben? "Da ist nicht so viel Unterschied", sagt sie, "egal, ob du oben auf dem Podest stehst oder auf dem zehnten Platz, du musst wirklich hart arbeiten, um zu den großen Meisterschaften gehen zu können."

Früher war ihre Herausforderung, Medaillen zu gewinnen, danach hatte sie Verletzungen aufzuarbeiten, vor allem einen Ermüdungsbruch und eine Oberschenkelverletzung, wegen der sie die WM 2009 verpasste - beides ist auf seine Weise gleich anstrengend. Die Interviews seien weniger geworden, was sie eher gut findet. Ihr Ausrüster-Vertrag sei 2008 sogar aufgebessert worden. Und überhaupt: "Erfolg ist nicht deine Identität."

Växjö ist eine liebliche Universitätsstadt in Südschweden. Wer hier in der Obhut einer gut situierten Familie aufgewachsen ist wie Carolina Klüft, deren Vater Erstligafußballer war (Östers IF, GIF Sundswall), der braucht schon einen natürlichen Antrieb, um sich auf den Hochleistungssport einlassen zu können. In Leichtathletik-Mächten wie Kenia, Äthiopien oder Jamaika ist der Sport eine der wenigen Möglichkeiten, zu Wohlstand zu kommen.

In Schweden ist das anders. Carolina Klüft hat den Sport nie gebraucht, sie hat ihn immer nur gewollt, und das ist dann wohl auch der Grund dafür, dass sie so eine gesunde Distanz zu ihrer eigenen Karriere hat. Sie muss nichts erzwingen. Sie besitzt die Souveränität, auf die Zeichen ihres Körpers und ihres Geistes zu hören und nicht krampfhaft an etwas festzuhalten, bloß weil es mehr Erfolg verspricht. Diese Souveränität haben nicht viele. Vielleicht ist Carolina Klüft auch deshalb zum Weitsprung gewechselt, weil sie eine unbesiegte Siebenkämpferin bleiben wollte.

Ein Lehstück angewandter Gelassenheit

Trotzdem kann man ihre geradlinige, fast glatte Geschichte als ein Lehrstück für angewandte Gelassenheit lesen. Carolina Klüft folgt ihrer inneren Stimme und ist damit immer auf der richtigen Seite. Und wenn ihr jemand vorwirft, sie würde auf undankbare Weise Medaillen für Schweden verschenken, lächelt sie nur müde. "Eigentlich habe ich mehr Medaillen (für Schweden) gewonnen als jeder sonst."

Während ihrer Goldkarriere hat sie immer wieder gesagt, sie sei noch dasselbe kleine Mädchen, das sie immer gewesen sei. Das sagt Carolina Klüft jetzt nicht mehr, aber sie hat sich noch etwas von ihrem jugendlichen Temperament zurückbehalten. Sie wirkt wie eine erwachsene Jugendliche, gesetzt und trotzdem temperamentvoll.

Sie trägt elegante Strickwaren, aber offene Turnschuhe. Sie sagt strenge Sätze über das Laisser-Faire der schwedischen Kindererziehung, aber gestikuliert und schauspielert zwischendurch so aufgeweckt wie ein Teenager. Ihr Körper ist an vielen Stellen kaputt; wegen des Ermüdungsbruchs hat sie ihre Dreisprungpläne verworfen, Hochsprung kann sie auch nicht mehr machen. Und doch hat sie noch Energie genug, um dieses letzte Olympia-Abenteuer auf sich zu nehmen.

"Nein, ich bin nicht mehr das kleine Mädchen", sagt sie, "aber manchmal glaube ich, ich sollte das kleine Mädchen, das ich war, nicht ganz vergessen. Weil sonst vergesse ich vielleicht irgendwann mich selbst. Ich möchte nicht alt und langweilig werden. Ich möchte die kindliche Art von Humor und Leidenschaft behalten."

Man kann nicht so richtig hineinschauen in Carolina Klüft. Sie redet viel, sie hat Meinungen, sie plädiert für GPS-Peilung im Anti-Doping-Kampf, sie ist eine spannende Interview-Partnerin. Aber sie weiß auch, was sie nicht erzählen will, und deshalb wird nicht ganz klar, wie schwer ihr der bevorstehende Abschied vom Leistungssport wirklich fallen wird.

Und wie sehr sie sich doch danach sehnt, noch einmal eine Olympia-Medaille zu gewinnen. Sicher ist nur, dass Carolina Klüft einen Spaß daran hat, es ernst zu meinen mit dem, was sie anpackt, und dass sie sich diesen Spaß nicht klein reden lassen will von Leuten, die vom Spaß keine Ahnung haben.

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