Leichtathletikverband IAAF:"Die Deutschen werden als Oberlehrer empfunden"

Clemens Prokop

Clemens Prokop, 58, gescheiterter Kandidat bei der IAAF-Kür.

(Foto: Fredrik Von Erichsen/dpa)

Erstmals seit 1928 sitzt kein Deutscher mehr im Führungszirkel der Leichtathletik. Liegt das an kritischen ARD-Berichten? Oder an goldenen Uhren, die angeblich im Hotel verteilt werden?

Von Johannes Knuth, Peking

Zwei konträre Meinungen liegen manchmal dicht beisammen. Am Mittwoch, der 50. Kongress des Leichtathletik-Weltverbands IAAF hatte gerade getagt, waren es drei Meter. Clemens Prokop, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands, war gerade mit seiner erstmaligen Bewerbung für das Council gescheitert, den Vorstand der Welt-Leichtathletik. Weil Helmut Digel, der bislang einzige deutsche Abgeordnete, sich in diesen Tagen aus dem Gremium und nach zwei Jahrzehnten als Leichtathletik-Funktionär verabschiedet, fehlt der globalen Leichtathletik nun eine deutsche Stimme. Oder? "Das sehe ich nicht so", sagte Prokop, "ich habe zum neuen Präsidenten Coe ein sehr enges Verhältnis, ich war immerhin der Erste, der sich öffentlich für ihn ausgesprochen hat." Drei Meter neben Prokop sagte Helmut Digel etwas von einem "Riesenverlust". Wenn große Leichtathletik-Nationen wie Deutschland nicht im Council repräsentiert seien, so Digel, "dann ist das ein Problem für die Weiterentwicklung der Sportart". Immerhin habe die IAAF ihre direkte Ader zum Kernmarkt in Europa gekappt. Und jetzt?

Es gab nur eine Phase in der 103 Jahre währenden IAAF-Geschichte, in der kein Deutscher die Politik im Council mitgestaltete: von 1921 bis 1928. Kein Wunder, dass die Beteiligten am Mittwoch nicht glücklich waren. "Mir tut Clemens Prokop leid, weil es wirklich unfair ist", sagte Digel. 30 Kandidaten hatten sich um neun Plätze gezankt, viele klapperten in den Monaten vor der Wahl potenzielle Stimmgeber ab, mit eigenen Beratern, finanziert von - vorsichtig formuliert - nicht gerade lupenreinen Regierungen. "Wir können maximal Argumente vortragen. Und froh sein, wenn der nationale Verband dem Kandidaten das Wahlprogramm druckt", sagte Digel. Zudem habe er in den vergangenen Tagen negative Schwingungen unter den Kollegen gespürt, wegen kritischer Berichte der ARD und anderer Medien. "Das gilt alles als Deutschland", so Digel. Viele Delegierten würden ihre Wut pauschal auf die deutschen Delegierten lenken. Prokops Schwäche war also, grob gesagt, dass er in einem Land mit einer starken, freien Presse lebt.

Noch was? Ihm sei zu Ohren gekommen, sagte Digel, dass Prinz Nawaf, einer der gewählten Council-Mitglieder, im benachbarten Hotel goldene Uhren verteilt habe, verpackt in goldgefärbte Taschen. "Ich kann das nicht belegen. Aber so etwas steht als Verdacht im Raum", sagte Digel, "das ist schon schlimm genug." Prokop sagte nur, er habe gespürt, die Deutschen würden als Oberlehrer gesehen, "die der Welt sagen, wo die ethischen Maßstäbe im Sport hängen". Die Uhren? "Ich habe keine bekommen. Aber die Gastfreundschaft mancher Funktionäre war spürbar."

In einem Hotel sollen goldene Uhren verteilt worden sein

Digel, 71, war 1995 ins Council eingetreten, damals als DLV-Präsident, ein Posten, den er 2001 an Prokop weiterreichte. Er hatte sich in der IAAF nicht damit zufriedengegeben, die Vorschläge des Präsidenten abzunicken, er sah sich auch als Beobachter, wie bei einer Feldstudie. Der Soziologe leitete auch das Institut für Sportwissenschaft in Tübingen. Auch er habe die "ständigen Verführungen" wahrgenommen, sagte Digel zum Abschied. "Man wohnt im Fünf-Sterne-Hotel, wird anspruchsvoller und sagt: Mensch, früher warst du auch noch im Mehrbettzimmer in der Landessportschule." Zuletzt sei er allerdings an Grenzen gestoßen. "Weil man sieht, wie borniert das System ist", so Digel, "weil Veränderungsprozesse unendlich lange dauern. Das ist enorm demotivierend."

Mit Digels Aussagen kann man in diesen Tagen hübsche Abrechnungen schüren. Auch zum Dopingproblem hat er sich geäußert. "Wir reden bei den ARD-Dokumentation ja nur über die Läufe und Blutdoping, nicht über anabole Steroide, über die Kraftdisziplinen", sagt er: "Da ist eine Sportart, die hat eine wahnsinnige Dopinglast." Was Digel niemand vorwerfen kann: dass er keine Vorschläge hinterließe. "Transparenz ist das Gebot der Stunde, in allem", sagt er. Er hat mit einer Arbeitsgruppe ein 50-seitiges Papier erarbeitet, er nennt es "die Renovierung der Leichtathletik". Sie wollen den Wettkampfkalender umbauen, quasi die Außenfassade der Sportart neu gestalten. Die Diamond-League-Meetings könnten demnach vollständig in die erste Saisonhälfte verpflanzt werden, gefolgt von Weltmeisterschaften. Auch die Innenausstattung soll ausgebessert werden, sprich: die Wettbewerbe im Stadion. 2016, bei der Hallen-WM in Portland, wird die IAAF ein neues Format im Hoch- und Stabhochsprung testen: Zwölf Athleten sind per Rangliste für das Finale qualifiziert. Sie wollen auch andere Disziplinen straffen, um jede einzelne dann exklusiver zu präsentieren. Sebastian Coe, der neue Präsident, ließ am Mittwoch Sympathie für das Papier erkennen. Wie viel er davon umsetzen wird? "Das muss man abwarten", sagt Digel. Lord Coe ist Konservativer.

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