Leichtathletik-WM:Protest mit Nagellack

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Fingernägel in Regenbogenfarben: Emma Green Tregaro bei der WM (Foto: dpa)

Fingernägel in Regenbogenfarben: Russlands Umgang mit Schwulen und Lesben erzürnt viele Athleten bei der Leichtathletik-WM, sie wollen Zeichen setzen. Doch manche Sportler sind das Thema auch leid. Und die Sportpolitik reagiert wie gewohnt - sie laviert.

Von Thomas Hahn, Moskau

Es sind harte Zeiten für Gewinner, und vor allem der neuen 1500-Meter-Weltmeisterin Abeba Aregawi, 23, muss aufgefallen sein, dass nach dem Rennen noch eine ganz andere Prüfung beginnt. Die Prüfung der Blicke und Fragen, und die kann ihr nicht nur Spaß gemacht haben.

Abeba Aregawi ist in Adigrat/Äthiopien geboren, seit 2012 ist sie Schwedin, nachdem sie einen Äthiopier mit schwedischem Pass geheiratet hat, und kann nun also dem skandinavischen Land leichtathletikmäßig ein bisschen auf die Beine helfen. Allerdings spricht sie fast kein Schwedisch.

Sie spricht auch kein Englisch, und so kommt es, dass bei der Pressekonferenz mit der Siegerin aus Schweden die Amharisch-Dolmetscherin gebraucht wird. Und die muss der Goldfrau prompt eine politische Frage übersetzen: Was halten Sie von der Protest-Demonstration Ihrer Landsfrau Emma Green-Tregaro in der Hochsprung-Qualifikation gegen die diskriminierende Homosexuellen-Gesetzgebung Russlands?

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Jetzt hat die Politik also doch mal den Sport erwischt. Treue Russen erleben ihr WM-Wunder der anderen Art. Diese Athleten, die im Grunde nur die Mitspieler einer netten Landesschau sein sollten, richten sich auf im Dienste der Schwulen- und Lesbenbewegung. Ein neues Gesetz in Russland verbietet die "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen vor Kindern", was schlecht ins Weltbild freiheitlich erzogener Athleten passt.

Schon vor der WM war das Gesetz ein Thema. Es gab Fragen dazu an Russlands Sportminister Witali Mutko, an Lamine Diack, Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF, oder an dessen Generalsekretär Essar Gabriel. Sie beschwichtigten und hofften, das Thema mit Worten fortspülen zu können.

Aber nun haben einzelne Sportler bei der WM tatsächlich Zeichen gesetzt und so die mächtigen Verbände auf die Probe gestellt. Die Schwedin Emma Green-Tregaro bestritt die Hochsprung-Qualifikation mit Fingernägeln in Regenbogenfarben, um sich solidarisch zu erklären, ihre Kader-Kollegin Moa Hjelmer tat das Gleiche über 200 Meter. Und der Amerikaner Nick Symmonds, Zweiter über 800 Meter, widmete die Silber-Medaille seinen schwulen und lesbischen Freunden. "Ob du schwul bist, hetero, schwarz, weiß - wir alle verdienen die gleichen Rechte", sagte Symmonds der russischen Nachrichten-Agentur R-Sport und fügte hinzu: "Ich habe Achtung vor der Fähigkeit der Russen, ihre Menschen zu regieren. Ich finde ihre Gesetze nicht gut."

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Ob die drei Sportler allen Kollegen aus der Seele sprechen, ist fraglich. Die Leichtathletik-Welt ist groß, viele Athleten kommen aus Kulturkreisen, in denen noch mittelalterliche Weltbilder und strenge Religiosität vorherrschen. Die Antwort der ausgewanderten Äthiopierin Abeba Aregawi auf die Homosexuellen-Frage zum Beispiel passte nicht so richtig zu der toleranten Lebensart in ihrer Wahlheimat Schweden. Die Dolmetscherin übersetzte aus dem Amharischen: "Mein Glaube erlaubt das nicht. Ich unterstütze das auch nicht."

Jemanden wie die russische Stabhochsprung-Weltmeisterin Jelena Issinbajewa überrollen die eigenen patriotischen Reflexe: Erst verteidigte sie das Gesetz und beschwerte sich über fehlenden Respekt der Kritiker. Tags darauf verbreitete die WM-Organisation eine Issinbajewa-Klarstellung: "Englisch ist nicht meine erste Sprache", sie respektiere die Meinung der anderen, sie sei gegen Schwulen-Diskriminierung. Andere müssen passen.

Das Thema sei wichtig, "sicherlich", sagt die deutsche Sprinterin Yasmin Kwadwo vor ihrem Vorlauf-Einsatz über 4 x 100 Meter an diesem Samstag, "aber ich bin hier für die Staffel. Ich habe das ganze Jahr darauf hingearbeitet." Und der deutsche Sprinter Julian Reus sagt: "Wir mussten in den vergangenen Wochen ständig über Themen sprechen, die nicht mit unserer Leistung zu tun haben: über Doping. Jetzt kommt das nächste Thema." Er ist es leid.

Hinter den IAAF-Kulissen spürt man eine kleine Verzweiflung: unsere schöne bunte WM, zerredet in Nicht-Sport-Debatten. Dabei sind vor allem die Demonstrationen der Schwedinnen ein echter Test für die Toleranz der Verbandswächter, auch mit Blick auf Olympia in Sotschi in einem halben Jahr. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) sieht eine strenge Trennung von Politik und Sport vor. "Die Olympischen Spiele können keine Plattform für jegliche Art von Demonstration sein, und das IOC wird keine proaktive Geste akzeptieren, die dem Geist der Spiele schadet", schreibt auf Anfrage via E-mail IOC-Sprecherin Emmanuelle Moreau.

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Wäre Emma Green-Tregaro also disqualifiziert worden, wenn sie mit ihren Fingernägeln bei Olympia gestartet wäre? "Hypothetisch", nennt Moreau die Frage. "Das IOC spekuliert nicht über mögliche Szenarien."

Für die IAAF ist die Frage konkret. Ihre Satzung verbietet Athleten-Aktionen und Statements, die "beleidigend, ungebührlich, vorverurteilend (. . .) sind oder die Leichtathletik sonstwie in Verruf bringen". Es sieht aber nicht so aus, als würde Emma Green-Tregaro Ärger bekommen. "Ich bezweifle, dass eine Athletin, die sich ihre Fingernägel in einer speziellen Farbe lackiert, in die Kategorie passt", schreibt IAAF-Sprecher Chris Turner. Die Blöße immerhin gibt sich der Verband nicht, aus einer menschenfreundlichen Geste einen Skandal zu machen.

© SZ vom 17.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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