Leichtathletik-WM in Russland:Vorurteile gegen den rätselhaften Riesen

Leichtathletik-WM -  Jelena Issinbajewa

Russlands Vorzeigeathletin seit Jahren: Jelena Issinbajewa.

(Foto: dpa)

Erst die Leichtathletik-WM, dann Olympia und die Fußball-Weltmeisterschaft: Russland bricht in eine neue Ära seiner Selbstvermarktung auf. Das Land will alte Vorurteile beseitigen und ein neues Image schaffen - trotz des bestehenden Doping-Problems.

Von Thomas Hahn, Moskau

Dem Zehnkampf-Europameister Pascal Behrenbruch ist jetzt wahrscheinlich ganz egal, wo er gerade ist, weil er seinen Blick ganz auf den Job gerichtet hat, den er in den nächsten zwei Tagen zu verrichten hat. Pascal Behrenbruch, 28, der Weltjahresbeste seiner Disziplin mit 8514 Punkten, ist ein deutscher Medaillenkandidat bei der Leichtathletik-WM, die an diesem Samstag beginnt. Diesem Anspruch will er gerecht werden, unabhängig von Ort und Gastgeber.

Aber diese WM findet nun mal in Moskau statt, im Herzen der umstrittenen Sportgroßmacht Russland, und wenn man Behrenbruch nach diesem besonderen Gastgeber fragt, kann er trotz Vorstart-Konzentration gleich ein paar Geschichten aus seinem Erlebnisschatz erzählen, die einen Bogen spannen zwischen Klischee und Wirklichkeit. Schlechtes Englisch, Doping-Verdacht, geselliges Wodka-Trinken - das sind Schlagworte zu seinen Erfahrungen mit den Russen. "Sie sind ein sehr lustiges Volk", sagt Pascal Behrenbruch, "und wenn man sich mit ihnen verständigen kann, sind sie auch ehrlich."

Russland bricht in diesem Jahr in eine neue Ära seiner Selbstvermarktung auf. Die Universiade im Juli in Kasan war der erste Auftritt des Landes als Veranstalter großer Sportereignisse, der international allerdings etwas unterging; die Studenten-Weltspiele sind halt doch nur ein Olympia dritter Klasse. Die 80 Millionen Dollar teure Leichtathletik-WM im Moskauer Luschniki-Stadion verspricht da schon mehr Aufmerksamkeit, ehe es nächstes Jahr richtig rund geht: bei Winter-Olympia in Sotschi am Schwarzen Meer und in den umgepflügten Kaukasusbergen um Krasnaja Polnaja. Und vier Jahre später bei der Fußball-WM.

Die kostspieligen Kampagnen sollen ein neues Russland-Bild in die Köpfe der Menschen pflanzen. Die Entschlossenheit im Reich des Präsidenten Wladimir Putin in dieser Hinsicht ist groß, das Selbstbewusstsein auch. Und so wird es den Russen ziemlich wurscht sein, was ein deutscher Zehnkämpfer über sie denkt. Allerdings kann man aus den kurzen Einlassungen des Sportlers Behrenbruch doch ein bisschen was über das nicht ganz einfache Verhältnis der westlichen Sportwelt zum sich wandelnden Muskelspieler Russland lesen. Trotz aller politischen Umwälzungen ist Russland für weite Teile der Sportwelt immer noch der rätselhafte Riese, der sich hinter Sprachbarrieren verschanzt und mit ganzen Armeen von gedopten Sportlern die olympischen Podeste entert.

Die Russen haben die Vorurteile selbst gepflegt, so richtig haben sie in den Jahrzehnten nach dem Ende der Sowjetunion den Eisernen Vorhang nicht zur Seite schieben können. Die Stabhochsprung-Weltrekordlerin Jelena Issinbajewa aus Wolgograd brach ein bisschen das Eis mit ihrer offenen Art, aber das reichte natürlich nicht. Da ist immer noch viel Misstrauen zwischen West und Ost, das hat sich gerade in diesem Jahr wieder gezeigt, als die Zahl der positiven Dopingproben in Russland allmählich ins Astronomische stieg. Vor allem viele Briten waren empört. "Ich glaube nicht, dass die Russen fit sind, die WM abzuhalten", sagte zum Beispiel die Speerwerferin Goldie Sayers.

"Wir haben ein Doping-Problem"

"Vielleicht ist das ein Ergebnis des Kalten Krieges", sagt Walentin Balachnitschew, der Präsident des russischen Leichtathletik-Verbandes, zu solchen Sprüchen. Er findet sie natürlich ungerecht, aber anders als in der Vergangenheit hat er mittlerweile Argumente dafür, dem Westen eine gewisse Doppelmoral zu unterstellen. Balachnitschew selbst ist ein treuer Russe, sonst hätte er die Politik kaum dazu bewegen können, 33 Jahre nach Olympia die Leichtathletik-WM nach Moskau zu holen. Aber er ist auch kein unnahbarer Machtmensch, sondern ein früherer Hürdensprinter und Trainer, schmal, zurückhaltend, ernsthaft.

"Keine Frage, wir haben ein Doping-Problem", sagt Balachnitschew in passablem Englisch gleich mehrmals. Aber bei allen Zugeständnissen an die Kritiker möchte er doch darauf hinweisen, dass die vielen positiven Dopingtests die Folge einer konzertierten Anti-Doping-Kampagne seien mit einer unabhängigen Anti-Doping-Agentur, die seit vier Jahren arbeitet, und neu ausgestatteten Labors. Wer am meisten testet, bekommt eben die meisten positiven Tests - das ist Balachnitschews Botschaft. Er tut trotzdem nicht so, als sei das Doping-Problem schon im Griff: "Das braucht Zeit."

Die russischen Leichtathleten haben ganz gute Aussichten bei ihrer WM, trotz der vielen Dopingfälle wirft das Riesenland immer noch viele Begabte ab. Der Verband hat sich ein paar Prinzipien der Sowjet-Ära erhalten mit zentralen Trainingslagern für die Nationalathleten an den Stützpunkten in Sotschi, Kislowodsk sowie Nowogorsk bei Moskau. Mit Sportschulen, an denen professionelle Trainer Talenten die leichtathletische Grundausbildung angedeihen lassen.

Überhaupt mit einer hohen Achtung vor dem Traineramt; zwischen 8000 und 9000 Berufscoaches, sagt Balachnitschew, arbeiten in Russlands Leichtathletik. Der Ehrgeiz ist entsprechend groß: 15 Medaillen, sechs aus Gold, sind als WM-Vorgabe mit dem Sportministerium vereinbart. "Ob wir das erreichen, weiß keiner", sagt Balachnitschew.

Und ob es bei der WM gelingt, die alten Gräben zuzuschütten? Zuletzt hat der Verband ein PR-Training veranstaltet, das regen Zulauf hatte, sonst allerdings machen sich die Sportler wieder rar. Die Russen wirken manchmal immer noch wie gefangen in ihrem Patriotismus. Die Doping-Mentalität in Russland ist über so lange Zeit gewachsen, dass sie noch nicht ganz draußen sein wird aus den Köpfen. Das Misstrauen bleibt erstmal. Daran werden ein paar schöne Meisterschaften wenig ändern.

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