Leichtathletik-WM in Berlin:Keine Angst vor Mister Bolt

Die Spezialisten über 400 Meter und im Weitsprung fürchten einen Wechsel des Sprintstars nicht. Die ganze Stadionrunde sei ohnehin nur etwas für "echte Männer".

Joachim Mölter

Der 400-Meter-Lauf ist eine Quälerei, findet LaShawn Merritt, und wenn der das sagt, wird es wohl stimmen. Der 23-jährige Amerikaner ist der aktuell Beste über diese Distanz, Olympiasieger 2008 in Peking und seit Freitagabend auch Weltmeister; in der Weltjahresbestzeit von 44,06 Sekunden nahm er seinem jahrelang dominierenden Landsmann Jeremy Wariner (44,60) den Titel ab.

Leichtathletik-WM in Berlin: "Nicht jeder kann die 400 Meter laufen - nur echte Männer" - LaShawn Merritt.

"Nicht jeder kann die 400 Meter laufen - nur echte Männer" - LaShawn Merritt.

(Foto: Foto: AP)

Wenn LaShawn Merritt so einen 400-Meter-Lauf beschreibt, berichtet er von den ersten zweihundert Metern, die man kontrolliert hinter sich bringen muss, schnell, aber nicht zu schnell, damit man am Ende noch Reserven hat. Er erzählt von der dritten Etappe, der durch die Kurve, "dort geht es an die Arbeit", sagt er. Doch wenn die Läufer auf die Zielgerade einbiegen, ächzt Merritt, kämen sie "an diesen Punkt, wo der Körper seine Arbeit einstellen möchte". Der Punkt, wo die Muskeln in den Beinen schmerzen, weil sie mehr Sauerstoff verbrauchen, als die brennenden Lungen hergeben. "Auf den letzten hundert Metern kommt es nicht mehr auf Talent oder Form an", findet Merritt, "nur noch auf Willen und Adrenalin." Sein erster Trainer in der High School hatte ihn gewarnt: "Nicht jeder kann die 400 Meter laufen - nur echte Männer."

Das sollte Usain Bolt wissen, der auf den Sprintstrecken ja nur Kurzarbeit gewohnt ist. Der Jamaikaner war nach seinen drei Olympiasiegen mit drei Weltrekorden über 100, 200 und 4x100 Meter auch bei der WM dreimal erfolgreich (aber nur zweimal mit Weltrekord, weil Jamaikas Staffel am Schluss bloß die zweitbeste je gestoppte Zeit lief in 37,31Sekunden). Als nach dem 200-Meter-Erfolg des 23-Jährigen die Frage aufkam, welche Herausforderungen ihm noch blieben, war gleich von den 400 Metern die Rede. Er soll nur kommen, ließen die Spezialisten Bolt am Freitagabend wissen: "Wir schuften jeden Tag dafür", sagte Merritt, "falls er antritt, wird er es nicht leicht haben." Renny Quow, der Drittplatzierte in 45,02 Sekunden aus Trinidad&Tobago, stimmte zu: "Das ist was anderes als die 100 oder die 200 Meter - das ist eine ganze Runde!"

Powell würde Bolt trainieren

Die sei ihm "zu anstrengend", hat Bolt schon angekündigt, aber sein Trainer Glen Mills plant längst den Umstieg; die Frage ist allenfalls, ab wann er seinem Läufer die ganze Runde ernsthaft abverlangt. Zu Trainingszwecken - um die Sprintausdauer für die 200 Meter zu verbessern - ist Usain Bolt die 400 Meter schon ein paar Mal gerannt; seine Bestzeit steht bei 45,28 Sekunden. Im WM-Finale hätte das für Platz vier gereicht, aber das ist eine zu simple Rechnung: Es war empfindlich kühl gewesen nach einem Gewitter, und die Endlauf-Teilnehmer hatten schon Vorlauf und Halbfinale in den Beinen. Um das Finale überhaupt zu erreichen, musste man unter 45 Sekunden bleiben. Quow zum Beispiel qualifizierte sich mit persönlicher Bestzeit von 44,53 Sekunden.

Der 400-Meter-Weltrekordler Michael Johnson aus den USA (43,18 als WM-Sieger 1999 in Sevilla) hält Bolt für talentiert genug, seine Zeit unterbieten zu können: "Aber das wird nicht so schnell gehen wie über 100 und 200 Meter. Dafür braucht man mehr Training und mehr Wettkämpfe." Der ebenfalls in Berlin weilende Weitsprung-Weltrekordler Mike Powell (USA/8,95 Meter) traut Bolt sogar in seiner Disziplin "phantastische Leistungen" zu: "Aber natürlich nur, wenn ich ihn coachen würde und dafür etwas von seinen Einnahmen bekäme."

Um ein guter Weitspringer zu sein, reiche eine hohe Anlaufgeschwindigkeit freilich nicht, sagt Loren Seagrave, der Trainer von Weltmeister Dwight Phillips aus den USA (8,54 Meter): "Man muss auch abspringen können." Wenn Bolt das hinbekäme, könne er jedoch auch in dieser Disziplin "leicht einen Weltrekord aufstellen, mindestens bei 9,20", glaubt Seagrave. Er hält einen Wechsel Bolts auf die 400-m-Strecke allerdings für wahrscheinlicher und aussichtsreicher.

Bedenkt man, dass die besten Rundenläufer auf der ersten Streckenhälfte etwa eine bis anderthalb Sekunden langsamer sind als bei ihrer 200-m-Bestzeit (die von Bolt steht bekanntlich bei 19,19 Sekunden), und dass sie auf der zweiten Hälfte in etwa noch einmal genauso viel Zeit verlieren im Vergleich zur ersten, kann man sich ausrechnen, wohin das bei Usain Bolt führen würde: "Selbst wenn er für die zweiten 200 Meter glatte 22 Sekunden braucht, wäre das beängstigend", findet Seagrave, der eher Sprint- als Sprungspezialist ist. Die 400-Meter-Läufer fürchten Usain Bolt freilich nicht. Er soll nur kommen und beweisen, dass er ein echter Mann ist.

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