Leichtathletik-WM:"Deutschland ist eine Zehnkampf-Nation"

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In Jubellaune: Rico Freimuth (rechts) und Kai Kazmirek. (Foto: dpa)
  • Die Zehnkämpfer Rico Freimuth und Kai Kazmirek gewinnen bei der WM Silber und Bronze.
  • Damit sorgen sie für Erleichterung im deutschen Team, das so lange auf Medaillen warten musste.

Von Joachim Mölter, London

Als nach zwei harten Tagen die Anspannung abgefallen war von den Zehnkämpfern, als am Samstagabend die Sieger geehrt und die Medaillen unters Volk gebracht waren, begann das große Frotzeln. Der Hallenser Rico Freimuth erzählte, wie er mit dem Franzosen Kevin Mayer geplaudert und dabei zunächst auf die Bronzemedaille gedeutet hatte, die um den Hals von Kai Kazmirek hing, dem Athleten von der LG Rhein-Wied.

"So eine hab' ich schon", fing Freimuth also an, der WM-Dritte von Peking 2015. "So eine hab' ich jetzt auch", fuhr er fort und zeigte auf das Silber, das auf seiner Brust baumelte. "Und so eine will ich noch", schloss er herausfordernd, auf das Gold weisend, das Mayer ganz fest in den Händen hielt. "Da hat der Kevin lachen müssen", berichtete der 29 Jahre alte Freimuth.

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Mayer, 25, der Olympiazweite von Rio, hatte mit einer Weltjahresbestleistung von 8768 Punkten den Thron des Königs der Athleten bestiegen, den Olympiasieger, Weltrekordler und Titelverteidiger Ashton Eaton (USA) durch seinen Rücktritt freigemacht hatte. Dahinter hatten sich die Zehnkämpfer des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) positioniert, mit 8564 (Freimuth) bzw. 8488 Punkten (Kazmirek). Was Kazmirek zur These animierte: "Deutschland ist eine Zehnkampfnation, das haben wir heute mit unserer Leistung bestätigt."

Kazmirek sprach von der "Nacht der Deutschen"

Die deutschen Zehnkämpfer sind in der Tat meist vorne dabei, wenn internationale Titel vergeben werden, aber zwei WM-Medaillen auf einen Schlag gab es zuletzt vor 30 Jahren: 1987 in Rom gewann (der ins Dopingsystem verstrickte) Thorsten Voss Gold für die DDR und Siegfried Wentz Silber für die BRD. Oder 1983, wenn man die zwei Medaillen in einem Deutschland verorten will: In Helsinki mussten sich Jürgen Hingsen und Wentz nur dem Briten Daley Thompson beugen; Freimuths Vater Uwe wurde seinerzeit Vierter.

Die aktuellen Medaillengewinner beschäftigten sich freilich weniger mit der Historie ihrer Disziplin, sondern vielmehr mit der Gegenwart ihres Verbandes. "Wir hatten ja erst eine Medaille gewonnen", erinnerte Kazmirek an den Silbergewinn der Siebenkämpferin Carolin Schäfer zu WM-Beginn. Danach folgten fünf Tage, in denen die Anspannung stetig zunahm, ehe am Samstag gleich vier Medaillen auf einen Schlag für spürbare Erleichterung sorgten.

Kazmirek sprach von der "Nacht der Deutschen", weil sie nun Medaillen in allen Farben und Geschmacksrichtungen vorweisen konnten - Gold durch den Speerwerfer Johannes Vetter, Silber und Bronze durch die Zehnkämpfer, eine weitere Bronzeplakette durch Hürdensprinterin Pamela Dutkiewicz . Am Sonntag kam nichts mehr dazu, die fünften Plätze von Geher Christopher Linke über 20 Kilometer und Hochspringer Mateusz Przybylko waren die besten Resultate am Abschlusstag. Aber die insgesamt fünf WM-Medaillen sind ein ordentliches Mitbringsel. Rico Freimuth gab zu bedenken, "dass wir relativ schwierige Umstände hatten". Im ursprünglichen Teamquartier, in dem auch andere Nationen untergebracht waren, hatten sich Viren ausgebreitet; zeitweise waren Athleten in Quarantäne. "Es lief anders, als wir uns das gewünscht haben", sagte DLV-Cheftrainer Idriss Gonschinska, aber alles in allem hätten sich die Ergebnisse "im Rahmen bewegt". Gonschinska sprach von einer "Ausnahmesituation", er habe "sehr viel über Krisenmanagement gelernt". Freimuth wollte dem Verband in diesem Zusammenhang "auch mal ein großes Lob aussprechen - das war schon eine Herausforderung". Die Mehrkämpfer seien direkt nach ihrer Ankunft abgeschottet und in ein anderes Hotel gebracht worden. Dadurch wurde der Erfolg der Zehnkämpfer zwar gewahrt, ein Mannschaftsgefühl kam indes nicht auf. "Man hat das Team nicht gesehen, da wäre noch mal ein anderer Teamgedanke aufgekommen", glaubt Freimuth. DLV-Präsident Clemens Prokop sagte: "Der Zeitplan ist nicht auf die deutschen Medaillenhoffnungen ausgerichtet gewesen. Die unter der Woche aufkommende Panik habe ich nie geteilt." Nun darf man das Abschneiden der DLV-Delegation ja auch nicht allein an Medaillen messen - es gab erfreulich viele junge Athleten, die sich teuer verkauften, mit persönlichen Bestleistungen wie Gina Lückenkemper (10,95 Sekunden über 100 Meter, Platz vier mit der Staffel) oder unerwarteten Finalteilnahmen von Hanna Klein (1500 m) und Neele Eckhardt (Dreisprung). Manchmal brauche man einfach Geduld, erinnerte Kai Kazmirek: "Das Schwierigste ist immer das Mentale. Ich war schon 2014 nah an einer Medaille, damit wär's einfacher geworden in den nachfolgenden Jahren." Freimuth bestätigt das aus seiner Erfahrung von 2015 heraus: "Die erste Medaille ist der Öffner für alles." Wenn die erst mal da ist, kommen die nächsten ganz schnell, wie am Samstag zu sehen war.

© SZ vom 14.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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