Leichtathletik:Wie im Märchenwald

Hypo Meeting in Goetzis

Nach dem ersten Tag in Führung: Kai Kazmirek, der hier bei den 400 Metern noch nicht so glücklich aussieht.

(Foto: Dietmar Stiplovsek/dpa)

Götzis, dieser kleine Ort in Vorarlberg, ist die Hochburg der Zehnkämpfer. Die Fans stehen hier dicht gedrängt an den Anlagen, sind laut, treu, fachkundig. Und das Meeting ist WM-reif, mindestens.

Von Johannes Knuth, Götzis

Mit der Anreise hatte das japanische Kamerateam in diesem Jahr so seine Probleme. Eine Abordnung des Fernsehsenders NHK weilt an diesem Wochenende beim Mehrkampfmeeting Götzis, Österreich, sie begleiten Keisuke Ushiro, den derzeit besten Zehnkämpfer des Landes. Die Fernsehcrew hatte sich ein Hotel in Salzburg ausgesucht. Salzburg liegt allerdings in einem anderen Bundesland, dreieinhalb Fahrstunden von Götzis entfernt. Das stellte die Kameracrew aber erst einen Tag vor der Anreise fest. Sie fanden dann noch eine andere Unterkunft, rund eine Fahrtstunde benachbart, auf 1000 Höhenmetern. Leider ohne Frühstücksbuffet. "Dafür liegt noch viel Schnee", berichtete die Dolmetscherin halb vergnügt, halb entsetzt.

Man muss den Japanern zu Gute halten: Dieses Götzis in Vorlarlberg, 11 000 Einwohner klein, ist nicht so leicht zu finden. Die Leichtathletik-Anlage ist ausgestattet mit dem Üblichen, je zwei Anlagen für Weit-, Hochsprung und die Wurfwettbewerbe, daneben eine Tribüne, zwischen den Kugelstoßanlagen blühen gerade ein paar Blumen. Hinter dem Stadion erhebt sich eine Bergkette, verschlungen wie ein Märchenwald. Eigentlich fährt man an derartigen Orten vorbei, auf dem Weg nach Bregenz oder in die Schweiz. Einmal im Jahr aber machen hier alle Halt, die im Mehrkampf etwas auf sich halten, sie zwängen sich in das kleine Stadion, sogar Kamerateams aus Japan. Die Starterfelder sind so prominent bestückt wie bei Weltmeisterschaften. "Es kann, gerade in Österreich, gar nicht oft genug gesagt werden", schreibt Ralph Vallon, Chef des österreichischen Leichtathletikverbands in diesem Jahr in seinem Grußwort, "Götzis veranstaltet das beste Mehrkampfmeeting der Welt." Das ist ausnahmsweise nicht die gängige PR aus dem Stadionheft, sondern: korrekt.

Ashton Eaton kündigt erst einen Weltrekord an - dann sagt er ab

Es sind beachtliche Zahlen, die sie aufbieten. 368 Mal überbot eine Siebenkämpferin in der 41-jährigen Historie des Meetings die 6000 Punkte, 306 Zehnkämpfer sammelten hier 8000 Punkte oder mehr, das gibt es in dieser Häufung nirgendwo sonst. Der Tscheche Roman Sebrle knackte 2011 sogar die 9000 Punkte (9026), als erster Mensch überhaupt, der Amerikaner Ashton Eaton packte kurz darauf ein paar Punkte drauf (9039), allerdings in Eugene. Eaton sollte an diesem Wochenende zum ersten Mal in Götzis auftreten, er kündigte prompt an, seinen Weltrekord überbieten zu wollen.

Der Versuch war dann beendet, bevor er begonnen hatte. Eaton meldete sich am Samstagmorgen verletzt ab, der Rücken. Die Eatons waren in den Ergebnislisten nach dem ersten Tag trotzdem gut vertreten, Ehefrau Brianne Theisen-Eaton führte bei den Siebenkämpferinnen mit 4031 Punkten, Carolin Schäfer von der LG Frankfurt folgte als Vierte mit sehr guten 3879 Punkten, Claudia Rath (3696) und Cindy Roleder (3669) auf den Plätzen 13 und 14. Die deutschen Männer machten sich sogar auf den ersten Plätzen breit, Kai Kazmirek führte mit 4409 Punkten vor dem Amerikaner Jeremy Taiwo (4388), Rico Freimuth (4331) und Michael Schrader (4303), der bei seinem Comeback nach den 100 Metern stolperte, auf die Bahn klatschte, sich Schürfwunden zuzog, ansonsten einen sehr anständigen Eindruck hinterließ: "Es war geil. Die Stimmung war atemberaubend", sagte Schrader, "ich hoffe nur, dass ich nach dem Sturz gut schlafen kann."

Die Veranstaltung wuchs langsam, aber stetig

In der Leichtathletik hat jede Abteilung ihren eigenen kleinen Wallfahrtsort fernab der flirrenden, manchmal aber auch statischen Atmosphäre der Diamond-League- Meetings. Die Werfer treffen sich in Halle/Saale, die Hochspringer in Eberstadt, die Läufer in Hengelo/Niederlande, die Mehrkämpfer eben in Götzis. Sie fingen klein an, 1973 mit den österreichischen Mehrkampfmeisterschaften, 1975 erstmals mit internationaler Vertretung. Sie ließen sich nicht verunsichern, dass sie erst einmal viel Geld ausgaben und wenig verdienten mit ihrem Meeting. Sie wuchsen langsam, aber beständig, organisierten ihr Mehrkampfwochenende zuverlässig, ohne Verspätungen im Zeitplan, Leichtathleten schätzen das. 400 ehrenamtliche Helfer bieten sie in diesem Jahr auf, bei der 41. Ausgabe des Meetings.

Was sie auszeichnet, wie alle prestigeträchtigen Meetings aus der Provinz, ist die Nähe zur Basis. In Götzis kann man eine Rostbratwurst bestellen, man hat sie noch nicht verspeist und trifft zehn Meter weiter auf Jessica Ennis-Hill, die Olympiasiegerin, die mit ihren Fans plaudert. Diese Nähe zum Volk ist besonders wertvoll im Mehrkampf, wo sich die Athleten zwei Tage lang schinden, das lässt sich nur mit Unterstützung durchstehen. Rund um das Stadion in Götzis spannt sich eine Naturtribüne, ein grünes Band. Die Zuschauer übernachten erst auf Campingplätzen, bauen morgens auf dem grünen Hügel ihre Zelte auf, wandern mit Campingstühlen und Handtüchern vom Weitsprung zum Kugelstoßen, vom Kugelstoßen zum Hochsprung, dorthin, wo gerade was los ist. Sie sind ein paar Tausend, aber sie stehen dicht gedrängt an den Anlagen, sind laut, treu, fachkundig, jeder Athlet bekommt seinen Applaus spendiert. Und am Sonntag, nach der letzten Schicht, trifft man sich vielleicht noch zufällig am Bratwurststand.

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