Leichtathletik-Weltverband:IAAF bestätigt Olympia-Aus für gedopte Russen

Leichtathletik-Weltverband: Sebastian Coe ist in den Fokus gezerrt worden. Unter anderem, weil er mit der Hilfe eines skandalumtosten Funktionärs seinen Weg ins IAAF-Präsidentenamt gefunden haben soll.

Sebastian Coe ist in den Fokus gezerrt worden. Unter anderem, weil er mit der Hilfe eines skandalumtosten Funktionärs seinen Weg ins IAAF-Präsidentenamt gefunden haben soll.

(Foto: AFP)

Russlands Leichtathleten bleiben von den Spielen in Rio ausgesperrt, verkündet der Chef des Weltverbands. Doch Sebastian Coe steckt selbst in der Klemme.

Von Johannes Knuth

Sebastian Coe war hörbar außer Atem, als er am Freitagabend in Wien vor der Weltpresse Platz nahm, die letzten Tage hatten ihm dunkle Ringe unter die Augen gemalt. Minuten zuvor war bereits durchgesickert, dass der Leichtathletik-Weltverband IAAF Russlands Sperre auch für die Olympischen Spiele in Rio aufrechterhält. Es war eigentlich ein guter Moment für den IAAF-Präsidenten Coe, er konnte sich als Kämpfer gegen den Betrug inszenieren - nach Monaten voller Vorwürfe, er sei der Falsche, um die Welt-Leichtathletik aus ihrer schweren Krise zu führen.

Coe bestätigte dann den Ausschluss auch offiziell, aber das rückte schon wieder in den Hintergrund. Coe selbst war am Tag zuvor selbst in den Fokus gezerrt worden, unter anderem, weil er mit der Hilfe eines skandalumtosten Funktionärs seinen Weg ins Präsidentenamt gefunden haben soll. So hielt ein schwer angeknockter Präsident am Freitagabend, nach einem außerordentlichen Kongress, einen Vortrag über Glaubwürdigkeit.

Coes "starke Botschaft" ist schnell wieder aufgeweicht

"Wir haben ein sehr klares Signal an Athleten und Öffentlichkeit gesendet", sagte Coe, "dass wir gewillt sind, unseren Sport zu reformieren." Russlands Leichtathleten, das war die erste Botschaft des Freitags, bleiben von den Spielen in Rio ausgesperrt. Wegen einer Kultur des Betrugs, abgeschirmt vom Staat. Zwar hätte der Verband "signifikante Fortschritte" gemacht, sagte Rune Andersen, der jene Kommission geleitet hatte, die die Reformen in Russland inspizierte. Allerdings sei er noch immer auf eine tiefwurzelnde Toleranz für Doping und Betrug gestoßen, bis hin zu Cheftrainer Juri Borsakowski.

Den hatten Russlands Funktionäre im vergangenen Jahr als Gesicht der neuen, angeblich porentief reinen russischen Leichtathletik vorgestellt. Laut Andersens Bericht bestritt Borsakowski, dass Russlands Leichtathletik überhaupt ein Dopingproblem habe. Nach den bulgarischen Gewichthebern sind die russischen Leichtathleten nun jedenfalls der zweite Fachverband, der wegen massiven Dopingproblemen von den Olympischen Spielen ausgeschlossen wird. Der Bann sei "nicht verhandelbar", sagte Coe, ehe Andersen erklärte, dass es doch Spielraum für Verhandlungen gebe: Athleten, die sich zuletzt einem "effektiven Anti-Doping-Programm" außerhalb des russischen Systems bzw. im Ausland unterzogen hätten und dies bis Rio weiter tun, dürfen bei der IAAF eine Zulassung beantragen, unter neutraler Flagge.

Coes "starke Botschaft" war damit schon wieder aufgeweicht. Auch wenn Andersen - durchaus mit Recht - das Schlupfloch als "sehr kleinen Spalt" darstellte. Er ließ durchklingen, dass er lieber keine Ausnahmen gestattet hätte, es aber doch tat, um gegen mögliche Klagen gewappnet zu sein. Stabhochspringerin Jelena Issinbajewa kündigte am Freitag schon mal an, gegen das Urteil rechtlich vorgehen zu wollen. Die finale Entscheidung über mögliche Schlupflöcher trifft am kommenden Dienstag das Internationale Olympische Komitee (IOC). Letztlich gab Andersen zu, einen zentralen Konflikt nicht lösen zu können: ab wann ein Anti-Doping-System als effektiv und glaubwürdig gilt.

"Fünf, zehn oder hundert negative Tests bedeuten nicht, dass ein Athlet sauber ist, das hat uns die Geschichte gelehrt", sagte er. Frei übersetzt: Der aktuelle Anti-Doping-Kampf des Sports ist mittlerweile derart in seiner Glaubwürdigkeit zertrümmert, dass man so oder so keinem mehr trauen kann. Einen angenehmen Nebeneffekt brachte das Schlupfloch dann aber doch: Julia Stepanowa, die vor knapp zwei Jahren mit ihrem Ehemann Witali den russischen Betrug in einer ARD-Dokumentation offengelegt hatte, darf sich ebenfalls bei der IAAF für ein Startrecht bewerben. Man werde ihren Antrag "wohlwollend" behandeln, versprach Andersen.

Russland ist wenig einsichtig

Es war ein seltenes, klares Signal des Sports an seine Kronzeugen. Russlands Sportministerium gab sich derweil wenig einsichtig. Man sei "extrem enttäuscht", man habe doch alles getan, um das Vertrauen der internationalen Sportgemeinde zu gewinnen, hieß es von dort. Das war eine mutige Interpretation. Sie ignorierte den Hinweis der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), wonach zuletzt 736 Tests in Russland scheiterten, weil externe Kontrolleure massiv behindert wurden.

Das konnte Sportminister Witali Mutko natürlich nicht unkommentiert lassen: "Die Kontrolleure müssen uns nur informieren - aber wartet damit nicht bis zur letzten Minute!" Das Prinzip der unangekündigten Tests scheint noch nicht ganz bis ins höchste Sportgremium Russlands vorgedrungen zu sein.

"Unterstützung aus Afrika gesichert (24/30)! Viel Erfolg."

Sebastian Coe, das war die zweite Botschaft des Freitags, hatte kaum leichtere Stunden hinter sich. Am Donnerstagabend hatten der britische Fernsehsender BBC und die Zeitung Daily Mail von einer E-Mail berichtet, die Coe im Sommer 2014 zugespielt wurde, vier Monate, bevor die ARD die systemischen Manipulationen in Russland und der IAAF freilegte. Der Agent der russischen Marathonläuferin Lilija Schobuchowa schrieb von Korruption im russischen Verband, auch Papa Massata Diack sei involviert, der von Interpol gesuchte Sohn des ehemaligen IAAF-Präsidenten Lamine Diack (gegen den ebenfalls ermittelt wird).

Er habe dazu einige Dokumente angehängt, schrieb der Manager. In denen stand, dass hochrangige Funktionäre von seiner Läuferin 450 000 Euro forderten, um einen positiven Test verschwinden zu lassen, damit sie bei Olympia 2012 starten könne. Als Coe später im Sportausschuss des britischen Parlaments befragt wurde, sagte er, er habe von den konkreten Vorwürfen erst aus der ARD erfahren. Zuvor habe er "ganz sicher nichts von spezifischen Anschuldigungen rund um Korruption und Anti-Doping-Verfahren in Russland" gewusst.

Weitere Indizien beschäftigen sich mit dem Wahlkampfjahr 2015, als die Gaunereien von Diack junior bekannt waren. Coe, sein enger Mitarbeiter Nick Davies und Papa Diack korrespondierten damals munter per SMS. Als Davies einen Tag vor Coes Wahl nachfragte, wie es um die Stimmen der 30 Delegierten aus Afrika stehe, antwortete Diack: "Unterstützung aus Afrika gesichert (24/30)! Viel Erfolg."

Coe bekräftigte am Freitagabend, er habe die brisante E-Mail des russischen Managers damals an die hauseigene Ethikkommission weitergeleitet, die Anhänge habe er aber nicht gelesen, das habe er nicht für nötig erachtet. Und die Ratschläge von Papa Diack seien gar nicht so wertvoll gewesen.

Die Frage, ob Coe seine eigene Position an der Spitze der IAAF hinterfrage, ließ der Präsident unbeantwortet.

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