Leichtathletik:Weltrekordwitterung

Wilson Kipsang of Kenya poses during the victory ceremony after winning the 40th Berlin marathon

2013 lief Wilson Kipsang den Berlin-Marathon in Weltrekordzeit. 2014 war er diesen Rekord wieder los.

(Foto: Tobias Schwarz/Reuters)

Kipsang gegen Bekele - beim Berlin-Marathon versuchen zwei Großmeister, die Enttäuschungen der vergangenen Monate und Jahre abzuschütteln. Sie geben sich ziemlich selbstbewusst.

Von Johannes Knuth, Berlin

Der Marathonläufer Wilson Kipsang trägt in diesen Tagen wieder dieses Gefühl in sich. Das Gefühl, aus dem Gewöhnlichen auszubrechen zu wollen, getrieben von der Neugier, ob er noch einmal schneller laufen kann als alle anderen jemals zuvor. Vor drei Jahren hat Kipsang das schon einmal geschafft, er traf damals nach 2:03:23 Stunden vor dem Brandenburger Tor in Berlin ein. Weltrekord. Später haben nur die Kenianer Eliud Kipchoge (2016), Emmanuel Mutai und Dennis Kimetto (2014) bessere Zeiten ins Ziel getragen. Kimettos 2:02:57 Stunden sind bis heute die amtliche Weltbestmarke. Und jetzt? "Es ist wirklich ein Privileg, wieder in Berlin zu sein", sagt Kipsang. Für ihn ist der jüngste Ausflug in die deutsche Hauptstadt auch eine Art Wellness-Kur. "Die Erinnerungen an meinen Weltrekord vor drei Jahren halten mich frisch", findet er. "Sie motivieren mich, das noch einmal schaffen zu wollen."

Die Allerbesten des Jahres sind nicht nach Berlin gekommen, wo am Sonntag (9 Uhr, ARD) der Laufherbst eröffnet wird, beim 43. Marathon durch die Hauptstadt. Olympiasieger Kipchoge etwa, der im Vorjahr in Berlin gewann, obwohl ihm nach wenigen Metern die Innensohlen seiner Schuhe herausgerutscht waren. Aber die Piste in Berlin ist schnell, seit 2003 wurden hier sechs Weltrekorde erschaffen, vor zwei Jahren Kimettos bis heute gültige Referenzzeit. Und im Elitefeld sind in diesem Jahr noch genug Könner unterwegs, die flotte Zeiten mitbringen. Der Kenianer Emmanuel Mutai etwa, oder der junge Tsegaye Mekonnen aus Äthiopien. Und natürlich Wilson Kipsang, Kenia, und Kenenisa Bekele, Äthiopien. Zwei Großmeister, die in Berlin die Enttäuschungen der vergangenen Monate und Jahre abschütteln wollen.

Kipsang redet vom Weltredkord wie andere übers Wetter

Kipsang galt bis vor zwei Jahren als bester Mann im Marathongewerbe. Dann kam Kipchoge. Kipsang wiederum hat seit 2014 keinen bedeutenden Sieg mehr erworben. Die WM vor einem Jahr in Peking endete im Fiasko, er war ermattet von der Hitze. Nach Rio nahmen ihn die Kenianer gar nicht erst mit, wegen Formschwäche. Seinen vorerst letzten Auftritt hatte er im vergangenen April, beim prestigeträchtigen Marathon in London, er stürzte und schob sich als Fünfter ins Ziel (2:07:52), weit hinter Sieger Kipchoge. Was geht noch in Kipsangs Läuferleben, mit 34 Jahren?

So einiges, glaubt er. "Ich habe viel später als andere damit angefangen, professionell zu laufen", sagt er, "ich fühle mich wieder gut." Er redet in diesen Tagen so selbstverständlich vom Weltrekord wie andere über das Wetter, auch wenn die jüngsten Berichte über Korruption und Dutzende Positivtests der stolzen Läufernation Kenia schwer zugesetzt haben. Die meisten Betrüger seien aufstrebende Athleten, die der Armut in der Heimat entfliehen wollen und dabei eine Abkürzung nehmen, beteuert Kipsang in Berlin. Die Besten seien sauber. Also, der Weltrekord soll es noch einmal sein, er fühle sich schließlich ähnlich prächtig wie vor seinem Rekord vor drei Jahren. Kipsang sagt: "Ich glaube, dass noch einige gute Jahre in mir stecken."

Ähnliche Wortmeldungen vernimmt man derzeit auch aus der Ecke von Kenenisa Bekele. Der 34-Jährige hat seinen Ruhm in den Nullerjahren gemehrt, mit drei olympischen Goldmedaillen und fünf WM-Titeln auf der Bahn; seine Weltrekorde über 5000 und 10 000 Meter stehen bis heute unverrückt in der Szene. Aber der Transfer zu den lukrativen und mittlerweile besser besetzten Straßenrennen ist Bekele noch immer nicht gelungen. Es ist die wohl kniffligste Aufgabe für einen Läufer, seinen Körper für einen Marathon zu rüsten, wie das schwerste Level eines Videospiels. Es ist ja eher Ausnahme denn Regel, wenn ein Plan auf 42,195 Kilometern aufgeht.

Bekele verpasste die Olympischen Spiele. Sauer? Ach was

Bekele überdrehte oft, als er sich vor sechs Jahren dem Marathon verschrieb. Ein Olympiasieg war das Ziel, wie Abele Bikila, der 1960 in Rom gewann, damals noch barfuß. Er fiel von einer Verletzung in die nächste. 2014 lief er in Paris einen Streckenrekord (2:05:04), dann kamen die Achillessehnenprobleme zurück. 2015 war ein verlorenes Jahr, 2016 begann vielversprechend, mit 2:06:36 Stunden in London. Aber dem äthiopischen Verband reichte das nicht, um Bekele in die Reisegruppe nach Rio aufzunehmen. Obwohl es seine wohl letzte Chance war, die Karriere mit olympischen Weihen zu vergolden.

Sauer? Ach was, beteuert Bekele vor seinem Auftritt in Berlin. "Das Feuer brennt noch", sagt er. Jos Hermens, sein Manager, sagt, Bekele habe endlich die Balance gefunden für das zehrende Trainingsprogramm. Und, noch wichtiger: Er sei gesund. "Ich kann endlich schmerzfrei trainieren", bestätigt Bekele, "ich bin bei ungefähr 80 Prozent". Das ist viel für einen, der seinen Körper auf der Bahn rund ein Jahrzehnt lang an Grenzen geführt und geschunden hat, Jahr für Jahr. Die Aura des Unverwundbaren ist gewichen, Bekele will in Berlin zunächst einmal seinen Hausrekord verbessern, für mehr wird es noch nicht reichen. Aber was macht das schon einem 34-Jährigen aus, der gerade gewissermaßen in seine dritte Karriere eintaucht?

"Meine Zeit wird noch kommen, das treibt mich an", sagt Bekele. Und so wird auch er sich in den Marathon am Sonntag werfen, getrieben vom Verlangen, in diesem ungewöhnlichen Wettstreit endlich aus dem Gewöhnlichen auszubrechen.

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