Leichtathletik:Wellen von Schmerzen

Kenenisa Bekele

Verletzungsgeplagt: Kenenisa Bekele, 33.

(Foto: Peter Cziborra/Reuters)

Kenenisa Bekele und der Marathon, das ist eine schmerzhafte Beziehung. In London wagt der Äthiopier den nächsten Anlauf.

Von Johannes Knuth

Beim Gruppenfoto vor der Tower Bridge steht er ganz außen, neben den Favoriten, er lächelt schüchtern. Tatsächlich, er ist es, Kenenisa Bekele, knallrote Turnschuhe, pechschwarzer Trainingsoverall, bester Ausdauerkönner der Nullerjahre. Am Sonntag wird er laufen; Bekele im Wettkampf, das war in den vergangenen Jahren ja ein seltenes Naturschauspiel. Der Mann, den lange eine Aura des Unverwundbaren umwehte, wirkt etwas verunsichert. Schafft er es, sich noch einmal fitzukriegen, für das letzte große Ziel?

Der Marathon in London an diesem Sonntag dürfte der höchstklassige des Frühjahrs werden, fast alle Edelläufer haben sich angekündigt. Eliud Kipchoge (Kenia), der Sieger von Berlin 2015, seine Landsmänner Wilson Kipsang und Dennis Kimetto, der Weltrekordhalter. Auch Arne Gabius mischt mit, der deutsche Rekordinhaber, mit etwas Sicherheitsabstand. Und dann ist da Kenenisa Bekele, 33, aus Bekoji/Äthiopien. Der sich auf der Bahn längst alle Titel beschafft hat, seine Weltrekorde über 5000 und 10 000 Meter stehen bis heute in der Landschaft, unverrückt. Der vor sechs Jahren loszog, um im Marathon zu reüssieren, der dort aber bis heute nicht heimisch geworden ist. London ist der nächste Versuch, Olympia im August das Ziel, vermutlich das letzte.

Seit Jahren watet Bekele durch Wellen von Schmerzen. Nach den Spielen 2012 verließ er die Bahn, er wollte auf der Straße laufen, aber die Schmerzen ebbten nicht ab; mal war es die Wade, mal die Achillessehne. Vor zwei Jahren dachte Bekele, er habe die Schmerzen abgeschüttelt, sein Marathon-Debüt in Paris brachte er in 2:05:04 Stunden hinter sich, eine gute Zeit, aber er spürte während des Laufs, dass etwas nicht stimmte. Er brach die Saison ab. "Es sind viele Kleinigkeiten", sagt Jos Hermens, sein Manager, "er hat im Training oft überdreht, zu viel selbständig gemacht." Warum eigentlich?

"Haile", sagt Hermens nur, er meint Bekeles Landsmann Haile Gebrselassie, Weltrekordler, Olympiasieger, Idol, über Äthiopien hinaus. Bekele hat die meisten von Gebrselassies Rekorden ausradiert, aber wer ans Laufen denkt, denkt an Haile und sein Lächeln, nicht an Kenenisa. Ein Olympiasieg im Marathon würde das ändern, Gebrselassie hat das nie geschafft, Äthiopien und der Marathon, das ist ja eine spezielle Sache. Jeder in Äthiopien kennt die Geschichte von Abebe Bikila, der 1960 in Rom Gold gewann, barfuß. "Ein Geschenk", sagt Bekele über diese Geschichte, "sie gibt dir Motivation in Zeiten, wenn du zu dir selbst finden musst."

Er ringt noch immer mit den Tücken des Marathons. "Alles ist anders", sagt er, Training (länger), Rennen (viel länger), Laufstil (schonender). "Auf der Bahn war mir nie bange. Beim Marathon schon", gesteht er. Bekele habe "Riesen-Fortschritte" gemacht, sagt Hermens, "aber London kommt eigentlich einen Monat zu früh. Wichtig ist, dass er gesund ins Ziel kommt." Am Tatendrang werde es nicht scheitern. "Er hat den Willen, die Jungen noch einmal zu schlagen", sagt Hermens.

Vermutlich ist es Bekele sogar ganz recht, dass er in diesen Tagen nicht ständig in den Fokus rückt. Der wuchernde Dopingverdacht ist gerade das große Thema in London, vor allem wegen Kenia, dessen Läufer nach Dutzenden Positivtests von Olympia ausgeschlossen werden könnten. Auch Äthiopien fing sich zuletzt eine Rüge des Weltverbands ein. Immerhin, das Gerede um den Marathon-Weltrekord ist abgeebbt; die Rekordlust von Medien und Zuschauern kann Athleten ja auch in die Dopingfalle treiben. Vielleicht kramen sie in London sogar einen verschütteten Leitgedanken hervor: Dass Duelle im Vordergrund stehen, nicht die Zeit. Und mittendrin steckt Bekele, mit dem heißen Wunsch, die Jungen noch einmal zu schlagen.

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