Leichtathletik:1500 Stöße zu wenig

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"Technisch war das heute eine Katastrophe": Kugelstoßer David Storl enttäuscht sich in Halle selbst. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Bei den Werfertagen in Halle versucht die Prominenz des leistungsfähigsten Ressorts im Deutschen Leichtathletik-Verband in den Olympia-Rhythmus zu finden - das glückt nicht allen.

Von Johannes Knuth, Halle

Das Kugelstoßen wird, auch wenn die Gardemaße der Darsteller manchmal Gegenteiliges nahelegen, durch eine stimmige Technik entschieden, und deshalb hat der Kugelstoßer David Storl jetzt ein kleines Problem: "Technisch", sagt er, "war das heute eine Katastrophe." Storl schiebt sich durch die Mittagswärme in Halle, er versucht, die Enttäuschung zu verhüllen über das, was er gerade bei seinem ersten Auftritt nach achtmonatiger Pause aufgeführt hat: 20,25 Meter, Platz zwei hinter Konrad Bukowiecki aus Polen (20,62). Dass Storl nicht gleich wieder in die gewohnten Bereiche vorstoßen würde, Richtung 21 oder 22 Meter, das hatte er geahnt. Die Olympia-Norm (20,50) hätte es aber schon sein dürfen. "Wenn du die Wettkampf- Situation noch nicht wieder gewohnt bist, machst du es so, wie du es für richtig hältst", sagt Storl, er lacht gequält. "Und das war heute leider falsch."

Die Leichtathleten versuchen in diesen Tagen, in den Wettkampf-Rhythmus zu finden, die Schienen zu legen, die sie bei den Sommerspielen in Rio zu einem besonderen Moment tragen sollen. Die deutschen Werfer suchen sich dafür oft die Werfertage in Halle aus, am Wochenende war dann auch fast die gesamte Prominenz des leistungsfähigsten Ressorts im Deutschen Leichtathletik-Verband anwesend; Robert Harting fehlte verletzt. Halle bietet auch deshalb ein anregendes Biotop, weil man aus dem Umfeld viel Kraft ziehen kann, die Zuschauer rücken nah an die Athleten heran, man hört, wie die Athleten stöhnen, ächzen, knurren. Oder, wie Storl am Wochenende, wütend gegen die Plastik- absperrung schlagen.

Storl hat für seine 25 Jahre viele Preise eingesammelt, darunter zwei WM-Titel. Nur den Olympiasieg, den größten Schatz, hat er noch nicht gehoben, und dieses Jahr wird das Unterfangen wohl noch beschwerlicher. Storl stieß zuletzt mit chronisch gereizter Patellasehne im linken Knie, nach der WM im August, die er als Zweiter beschloss, legte er die Arbeit nieder.

Die Schmerzen hat er nun weitgehend aus dem Körper getrieben. Dafür fehlen ihm Eindrücke aus dem Training, 1500 Stöße, schätzt Trainer Sven Lang. Storls wichtigstes Werkzeug sind die Beine, mit ihnen beschleunigt er binnen Bruchteilen, diese Kraft überträgt er auf Schulter, Arme, die Kugel. Nur: In Halle war die Energiezufuhr zwischen Beinen und dem Oberkörper gekappt, das technische Bewegungsmuster verblasst.

Diskuswerferin Julia Fischer entreißt der Weltmeisterin im letzten Versuch den Sieg

"Kugelstoßen trainiert man durch Kugelstoßen", sagte Lang, er steht jetzt vor dem Balanceakt, seinen just genesenen Athleten zu fordern, ohne ihn zu überfordern. "Es fühlt sich so an, als sei alles noch nicht ganz fertig", findet Storl. Immerhin kann er wieder seiner Arbeit nachgehen. Bei Christina Schwanitz, der aktuellen Weltmeisterin, ist das anders, die Schulter schmerzt, in Halle fehlte sie. "Wir trainieren wirklich auf Sparflamme. Da läuft uns die Zeit richtig weg", sagt Lang.

Die Würfe sind ein verflixtes Gewerbe, selbst wenn alle Knochen gesund sind. Die Athleten bauen ihr System im Winter auseinander, weil sich Ungenauigkeiten eingeschlichen haben, sie warten, ölen die Teile, setzen sie neu zusammen, es dauert, bis alles fehlerlos arbeitet. Christoph Harting, der im Vorjahr noch eine Weltbestleistung in die Bestenliste getragen hatte, gewann diesmal mit 65,61 Metern. Bei Diskuswerferin Julia Fischer sind die Umbauarbeiten weit fortgeschritten, sie entriss in Halle im letzten Versuch Weltmeisterin Denia Caballero (Kuba) den Sieg, mit famosen 68,49 Metern, persönliche Bestleistung. "Wir haben im Winter viel an der Technik gemacht", sagt Fischer: "Das ist doch schwerer, etwas Bestehendes zu ändern als etwas Neues zu lernen." Sie hat sich mittlerweile auch ein wetterfestes Gemüt antrainiert, gerade für knifflige Wettkämpfe - eine wertvolle Kompetenz für den Sommer, neben Fischer bewerben sich auch Nadine Müller, Shanice Craft und Anna Rüh für Rio, vier Hochbegabte für drei Olympia-Fahrscheine.

Auch Speerwerferin Christina Obergföll fand in Halle mit 64,96 Metern langsam wieder zur Stabilität aus der Zeit vor ihrer Mutterpause, im ersten Jahr danach fehlte ihr doch die Wettkampf-Praxis. "Manchmal fällt mir der Wechsel schon etwas schwer, von der Mama-Alles-Ist-Gut-Welt zum Bösesein, das man im Speerwurf braucht", sagt sie. Nach Rio wird sie ihre Karriere wohl beenden: "Ich habe mittlerweile auch ein paar körperliche Baustellen", sagt sie, "ich möchte den Absprung schaffen, wenn Frau Obergföll noch Leistung bringt."

Noch verfügen sie auch im Speerwurf über zu viele Hochqualifizierte für drei Olympia-Plätze, Obergföll, Katharina Molitor, Weltmeisterin von Peking, Linda Stahl (60,60 Meter in Halle) und die junge Christin Hussong. Wobei sich langsam ein Umbruch ankündigt, auch Stahl wird nach Rio aufhören. Die 30-Jährige arbeitete im vergangenen Jahr als Urologin, den Sommer hat sie sich noch mal freigeräumt. Stahl, Europameisterin von 2010 und langjährige Medizin-Studentin, kann einiges erzählen über Doppelbelastung in ihrem Sport, mittlerweile ist sie aber "ganz dankbar, dass mir im Studium nichts geschenkt wurde". Nicht zuletzt, weil sie früh in ihren künftigen Beruf hineinfand. "Das erdet, wenn man im Krankenhaus sieht, was wirklich wichtig ist", sagt sie, "da ist der Sport doch eher ein schönes, zeitintensives Hobby." Das richtige Leben, sagt Stahl, "kommt ja erst danach".

© SZ vom 23.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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