Leichtathletik:Sticheln, siegen, heulen

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Premiere: Kristin Gierisch gewinnt den ersten internationalen Titel einer deutschen Dreispringerin. (Foto: Marko Djurica/Reuters)

Kristin Gierisch schafft bei der Hallen-EM in Belgrad Historisches: Erstmals gewinnt eine deutsche Dreispringerin einen internationalen Titel. Auch sonst sind die Deutschen stark.

Beim ersten Takt der deutschen Nationalhymne atmete Dreispringerin Kristin Gierisch tief durch, schüttelte ungläubig mit dem Kopf, drückte dann einige Tränen aus ihren feuchten Augen. Richtig fassen konnte die 26-Jährigen ihren historischen Erfolg bei der Hallen-EM in Belgrad noch nicht. Trotz der Goldmedaille um ihren Hals, die auch für eine schwierige Zeit entschädigte, durch die Gierisch vor ihrem Triumph gegangen war.

"Es ist ein Traum. Das ist ein unglaubliches Gefühl", sagte die 26-Jährige, Zweite der Hallen-WM vor einem Jahr, deren Triumph in Belgrad der erste internationale Titel für eine deutsche Dreispringerin überhaupt war, egal, ob bei Olympia, Welt- oder Europameisterschaften: "Ich wollte vor vier Tagen noch sagen, ich lass' das hier", erzählte Gierisch: "Ich war schon drauf und dran, den Start abzusagen. Die Hallensaison war so verkorkst. Ich glaube, das war hier der einzige ordentliche Wettkampf, den ich abgeliefert habe."

Körperliche Probleme hatten Gierisch zuvor aus der Spur geworfen, eine Knochenhautentzündung, Rückenprobleme, Knieschmerzen. Zunächst war keine Ursache zu finden, später dann die Diagnose: Belastungsreaktion der Muskulatur. An normales Training war aber nicht zu denken. Bei den deutschen Meisterschaften erreichte sie vor zwei Wochen 13,69 Meter, fast 70 Zentimeter weniger als ihre Siegweite von 14,37 Metern in Belgrad.

Hinzu kam eine schwierige Situation im persönlichen Umfeld. Ihr Bruder Kay verschwand vor wenigen Wochen plötzlich, wurde zum Glück aber nach zwei Tagen gefunden. "Das hat sie schon extrem belastet. Dazu kamen noch die gesundheitliche Sorgen", sagte Gierischs Trainer Harry Marusch, der die Chemnitzerin seit 14 Jahren betreut: "Deshalb trägt das, was sie hier abgeliefert hat, für mich den Charakter von sensationell."

Wie schon bei ihrem Erfolg bei der Hallen-WM zeigte Gierisch auch in Belgrad ihre größte Stärke: ihren Wettkampfcharakter. "Sie ist extrem ehrgeizig und im ganzen Leben ein Vollprofi geworden", sagte Marusch: "Wenn sie an sich glaubt, kann sie so was auch abliefern." Seine Athletin gab das Lob zurück: "Ich verdanke dem Mann einfach alles. Er hat mich nie im Stich gelassen, immer an mich geglaubt." Motivation bezieht Gierisch auch aus dem Training mit Dreispringer Max Heß, der in Belgrad mit 17,12 Metern Bronze gewann. "Max und ich sind eine Einheit geworden. Wir pushen uns, es gibt auch mal ein paar Sticheleien. Wir merken aber, wann es dem anderen gut oder schlecht geht", beschrieb Gierisch das Verhältnis zum Freiluft-Europameister. Der 20-Jährige hatte in Belgrad bereits in der Qualifikation mit 17,52 Metern einen deutschen Hallenrekord erschaffen, ein Ziel, das auch Gierisch verfolgt. Bei der EM vor zwei Jahren verpasste sie die nationale Bestmarke von 14,47 Meter um einen Zentimeter. Mit neun Medaillen, davon zwei aus Gold, nahm Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) am Ende viel Schwung aus Belgrad für die Freiluft-Saison mit. Konstanze Klosterhalfen, 20, gewann Silber über 1500 Meter (4:04,45 Minuten), es war der bisher größte Erfolg ihrer jungen Karriere. Stabhochspringerin Lisa Ryzih musste sich mit persönlicher Bestleistung (4,75 Meter) nur Olympiasiegerin Ekaterini Stefanidi (Griechenland/4,85) geschlagen geben. Kugelstoßer David Storl gewann mit 21,30 Metern Bronze, wie auch Richard Ringer über 3000 Meter, in 8:01,01 Minuten. Am Sonntagabend steuerte Siebenkämpferin Claudia Salman-Rath noch überraschend eine Bronzemedaille im Weitsprung bei, mit beeindruckenden 6,94 Metern. Und Cindy Roleder und Pamela Dutkiewicz hatten am Freitag gleich zwei Plätze auf dem Podest reserviert - mit Gold und Bronze über 60 Meter Hürden.

© SZ vom 06.03.2017 / sid - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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