Dopingfälle in der Leichtathletik:Tyson Gay und Asafa Powell positiv getestet

Die Nachrichten kamen im Eiltempo, die Folgen sind weitreichend: Zwei der bekanntesten Sprinter der vergangenen Jahre stehen unter massivem Doping-Verdacht - die Fahnder erreichen zunehmend die Leichtathletik-Prominenz. Tyson Gay und Asafa Powell sind nicht die einzigen Überführten.

Von Thomas Hahn

Tyson Gay hat die Nachricht selbst in die Welt gesetzt, deshalb hat man sich nicht lange mit der Frage beschäftigen müssen, ob es sich um ein Gerücht handle. Tyson Gay positiv auf Doping getestet.

Der 30 Jahre alte Weltjahresbeste über 100 Meter, der amerikanische Doppelmeister im Sprint, frühere Dreifach-Weltmeister und große Usain-Bolt-Gegenspieler laut Labor-Befund der Leistungsmanipulation verdächtig - diese Meldung, die am frühen Sonntagabend deutscher Zeit die Welt des Sports erschütterte, war einerseits nicht wirklich überraschend. Andererseits traf sie die internationale Leichtathletik-Szene doch so unvorbereitet wie ein Blitz.

Eine solche Enthüllung keine vier Wochen vor den Weltmeisterschaften in Moskau - konnte das wahr sein? Aber wie gesagt, Gay hat die Nachricht selbst in die Welt gesetzt. In einer Telefonkonferenz mit Reportern von Amsterdam aus sagte er, die amerikanische Anti-Doping-Agentur Usada habe ihn am Freitag davon unterrichtet, dass seine A-Probe von der Trainingskontrolle am 16. Mai eine verbotene Substanz aufgewiesen habe.

Die B-Probe werde in Kürze geöffnet. Gay sagte nicht, um welche Substanz es sich handelte. Aber er sagte, er werde nicht bei der WM starten. Kein Zweifel: Die Leichtathletik hat ihren nächsten großen Doping-Fall.

Es werden mehr und immer mehr solcher Fälle in der Leichtathletik, fast hat man den Eindruck, irgendjemand habe einen Stein ins Rollen gebracht, der gleich eine ganze Lawine ausgelöst hat.

Denn noch am gleichen Abend nach der Gay-Erklärung wurde die nächste Affäre mit prominenter Beteiligung bekannt: Der amerikanische Athleten-Manager Paul Doyle sagte der Nachrichtenagentur AP, dass auch sein Mandant Asafa Powell, der kriselnde frühere 100-Meter-Weltrekordler aus Jamaika, positiv getestet worden sei, sowie dessen jamaikanische Teamkollegin Sherone Simpson, die 100-m-Zweite von Olympia 2008.

Beide seien mit dem Stimulans Oxilofrin aufgefallen. Powell erklärte in einem Statement, dass der Test von den Jamaika-Trials stamme. Simpson war dort Zweite über 100 Meter geworden, Powell dagegen hatte die WM-Qualifikation verpasst.

Die Affären passen zu dieser neuen Endlos-Serie jüngster Leichtathletik-Fälle. Aus Russland kamen früher im Jahr ständig Nachrichten von Fahndungserfolgen. Im März überführten die Anti-Doping-Kämpfer die 1500-Meter-Olympiasiegerin Asli Cakir-Alptekin mittels des biologischen Blutpasses. Im Juni wurde bekannt, dass die dreimalige jamaikanische Olympiasiegerin Veronica Campbell-Brown bei einer Wettkampfkontrolle positiv auf ein Entwässerungsmittel getestet worden war.

Und nun: Powell, der sinkende Stern des jamaikanischen Sprintwunders, und seine Kollegin Simpson. Vor allem aber: Tyson Gay, der amerikanische 100-Meter-Rekordler (9,69), ein früherer Trainingspartner Campbell-Browns, der mit fast 31 so etwas wie seinen zweiten Frühling erlebte.

Alle Affären sind unterschiedlich, und was im ersten Moment klar erscheint, entscheiden die Gremien später oft anders. Die suspendierte Campbell-Brown zum Beispiel wird laut Times wohl nur eine milde Sperre von einem halben Jahr bekommen. Diuretika können dazu dienen, harte Dopingmittel zu verschleiern, aber bei den Verbänden ist man sich offenbar sicher, dass sie das nicht getan hat. Warum, wissen vorerst nur die Eingeweihten. Von Veronica Campbell-Brown selbst war noch gar nichts zu hören.

"Ich bin hängengelassen worden"

So gesehen geht Asafa Powell viel offener mit seinem Fall um. Er akzeptiere die Folgen des Befundes, ließ er wissen. Er kooperiere mit den Behörden im Dienste der Aufklärung, aber sei sich keiner Schuld bewusst: "Ich bin in vielerlei Hinsicht am Boden zerstört." Und Gay? Ist im Grunde noch offener gewesen.

Denn auch wenn er die fragliche Substanz nicht nannte, und wenn er mit seiner tränenerstickten Stimme überhaupt nur das Nötigste sagte - er tischte keine kühne Verschwörungsgeschichte auf. Im Gegenteil. "Ich habe keine Sabotage-Geschichte. Ich habe keine Lügen", sagte er. Er habe nichts zu sagen, das den Anschein erwecke, es sei im Labor ein Fehler passiert. "Im Grunde habe ich jemandem vertraut und bin hängengelassen worden."

Ein großer Redner ist Tyson Gay nie gewesen. Er stand nicht in der Tradition amerikanischer Lautsprecher. Neben seinem Landsmann Justin Gatlin, der nach einer vierjährigen Dopingsperre 2012 in London wieder einen charismatischen Olympia-Medaillengewinner abgab, wirkte Gay immer blass.

Selbst bei seinen größten Erfolgen haute er nicht auf die Pauke: Bei der WM 2007 in Osaka gewann er drei Mal Gold, ohne große Gesten. Vielleicht wusste er warum: In den folgenden Jahren zwickte bei ihm immer irgendwas, und gegen Bolt, der seinen erstaunlichen Siegeszug 2008 startete, hatte er keine Chance.

Im Sommer 2010 besiegte er ihn mal, ansonsten aber rannte Gay hinterher. Teilweise war er dabei ziemlich schnell, bei seinem WM-Silber-Gewinn 2009 in Berlin zum Beispiel (9,71) oder bei seinem vierten Platz bei Olympia 2012 (9,80) - erstaunlich schnell sogar, wenn man seine Klagen über Oberschenkel- und Leisten-Probleme bedachte. Oft aber konnte er sich gar nicht in Szene setzen. Bei Olympia 2008 schied er früh aus. Bei der WM 2011 fehlte er. Die Bolt-Show lief, und Gay konnte nichts tun.

Dieses Jahr aber, nach geglückter Hüft-Operation, hatte Gay endlich wieder Oberwasser. Bei den US-Meisterschaften im Juni gewann er das Sprint-Double mit der immer noch geltenden Weltjahresbestzeit von 9,75 Sekunden über 100 Meter und mit 19,74 über 200. Bolt schwächelte, nur über die 200 Meter konnte er Gay die Weltjahresbestzeit entreißen (19,73).

Aber Gay blieb der höfliche Leisetreter. Er wolle vor allem gesund bleiben, sagte er mit fast nervtötender Beharrlichkeit, ehe er die nächste Superzeit auf die Bahn zauberte. Und jetzt? Tyson Gay weint. Bei ihm hatte man oft den Eindruck, er hat nicht viel mehr als die Leichtathletik.

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