Leichtathletik:Müde im Kopf

Die deutschen Leichtathleten haben in Rio mit Problemen zu kämpfen, die Art und Weise des Scheiterns ist unterschiedlich. Nur manche zerrten das Glück auf ihre Seite.

Von Johannes Knuth

Gregor Traber stand jetzt in der Mixed Zone, im Bauch des Olympiastadions. Aber er war in Gedanken noch in einer anderen Welt gefangen.

Er ließ sein Halbfinale über 110 Meter Hürden noch einmal an sich vorbeiziehen. Den Start. "Was hab' ich denn am Start gemacht?", rief er, "ich war so weit hinten, da schäme ich mich fast dafür." Den Mittelteil fand er "exzellent". Und die letzten Meter? Tja. "Wie war's?", fragte er in die Leere hinein, die sich gerade vor ihm ausbreitete. Knapp war's gewesen, er war zwei Hundertstelsekunden hinter dem Kanadier Jonathan Cabral (13,41) eingetroffen, der später als achter und letzter Starter ins Finale versetzt wurde. "Gibt's da 'ne Chance, dass man einen Protest einlegt, weil die da vorne irgendwas falsch gemacht haben?", fragte Traber. "Wahrscheinlich nicht, oder?"

Nein, dieses Halbfinale von Rio hatte sich ereignet, wie es sich ereignet hatte. Und deshalb stürzte auf Traber jetzt die Gewissheit ein, wie sehr sich die jahrelange Schufterei auf Winzigkeiten verdichten kann. Er wurde am Ende Neunter. Hätten sie ihm eine derart gute Platzierung vor den Spielen vertraglich angeboten, Traber hätte sofort unterschrieben. Nur Tobias Unger war im Sprint-Ressort des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) bei Olympia zuletzt besser gewesen, als Siebter im 200-Meter-Finale vor zwölf Jahren in Athen. Im Vorjahr hatte sich Trabers Hüftbeuger entzündet, er hätte seine Karriere beinahe beendet. Aber wie dieser Wettbewerb Traber jetzt in letzter Sekunde die Tür vor der Nase zugeknallt hatte, das machte ihm doch zu schaffen. "Ich muss erst mal herausfinden, ob ich jetzt traurig sein soll", sagte er.

So langsam gehen ihnen im DLV die Medaillenchancen aus

Das passte wohl ganz gut zur Zwischenbilanz des DLV. Sie würden gerne den einen oder anderen Moment zurückholen, aber man kann in Leistungen halt nicht herumradieren und etwas neu ausmalen. So stand der DLV zur Halbzeit mit zwei Medaillen im Diskuswurf der Männer da, dem Olympiasieg von Christoph Harting und Daniel Jasinskis drittem Platz. "Ich denke, man hat heute gesehen, warum es wenig Sinn ergibt, unser Abschneiden nach dem Medaillenspiegel zu beurteilen", sagte Cheftrainer Idriss Gonschinska nach Hartings Olympiasieg. Robert Harting, die größere deutsche Hoffnung, war in der Qualifikation gestrandet, Hexenschuss. Beim Lichtausschalten am Vorabend.

Die acht Olympiamedaillen von London werden sie diesmal wohl nicht schaffen. Ein Muster lässt sich aber noch nicht wirklich ausmachen, dafür scheiterte in Rio jeder zu unterschiedlich. Die zuletzt starken deutschen Sprinter blieben sowohl über 100 und 200 Meter recht weit von ihren Saisonbestleistungen entfernt, sie scheiterten geschlossen in Runde eins. Julian Reus reichte über 200 Meter immerhin eine Saisonbestleistung ein (20,39 Sekunden). Die hochgehandelten Diskuswerferinnen wurden Sechste (Nadine Müller), Neunte (Julia Fischer) und Elfte (Shanice Craft). "Es soll jetzt keine Ausrede sein", sagte Müller, aber der Zeitplan, der die Qualifikation für den Montagabend und das Finale prompt für den Dienstagmittag vorgesehen hatte, habe alle viel Schlaf und Kraft gekostet. Vielleicht habe da jemand Vormittag und Nachmittag verwechselt, scherzte Müller. Die Kroatin Sandra Perkovic, Olympiasiegerin mit 69,21 Metern, hatte beim Internationalen Olympischen Komitee beantragt, den Zeitplan zu entzerren, ohne Erfolg. Müller fand: "Im Sinne der Athleten ist das jedenfalls nicht."

So langsam gehen ihnen im DLV die Medaillenchancen aus. Für diesen Donnerstag sind Kugelstoßer David Storl, die deutschen Zehnkämpfer sowie die Speerwerferinnen Linda Stahl, Christina Obergföll und Christin Hussong vorgesehen; alle drei rückten ins Finale der besten Zwölf vor. Auch wenn sich Obergföll, Weltmeisterin von 2013 und seit eineinhalb Jahren Mutter, bei ihrem letzten Olympiaauftritt zunächst schwer tat. "Es ist seit der Schwangerschaft nicht mehr so easy", sagte sie, "physisch bin ich eigentlich fit, aber irgendwie will mein Kopf manchmal nicht mehr so richtig dran glauben, dass ich das auch noch kann." Sie schummelte sich als Zehntbeste der Qualifikation (62,18 Meter) durch. "Ich hoffe mal, dass am Donnerstag noch ein paar Zuschauer mehr kommen", sagte sie, am Dienstag war das Stadion mal wieder nur zu einem Drittel gefüllt gewesen, wenn überhaupt. "Aber derzeit bin ich erst mal noch mit mir selbst beschäftigt", sagte Obergföll: "Da habe ich schon genug zu tun."

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