Sportpolitik:Nur Bestechungsgeld half in der Leichtathletik weiter

World Athletics Final - 3000m Hindernis Frauen

Statt des IAAF World Cups durfte Stuttgart 2007 nur das weniger bedeutendere Weltcup-Finale ausrichten.

(Foto: dpa)
  • Nach Adidas will sich nun auch Nestlé aus dem Welt-Leichtathletikverband IAAF zurückziehen.
  • Der Sohn des ehemaligen IAAF-Präsidenten Lamine Diack soll auch Geld von der Stadt Stuttgart gefordert haben, damit diese den IAAF World Cup austragen dürfen.
  • Dabei steht das ehemalige deutsche IAAF-Council-Mitglied Helmut Digel im Mittelpunkt, der bislang jegliches Mitwissen über Korruption abgestritten hatte.

Von Thomas Kistner und Johannes Knuth

Die Wunschliste des Verhandlungspartners war lang: 16 800 Dollar für ein Trainingszentrum in Jamaika. 84 900 Dollar für ein noch zu bauendes Geschäftsquartier des afrikanischen Leichtathletikverbands. 35 000 Dollar für eine karibische Trainervereinigung. 40 000 Dollar für "VIP-Geschenkpakete", darunter "wertvolle Uhren" der Marken Ebel, Rolex und Mont Blanc. 25 000 Dollar für Stipendien für Athleten an US-Universitäten. Und jeweils 78 000 Dollar an "Unterstützungen" für Wettkämpfe und "Reisehilfen".

Sollten seine Verhandlungspartner das alles zusammentragen, teilte der Mann des Welt-Leichtathletikverbands IAAF im Dezember 2004 schriftlich mit, würden ihre Chancen steigen, den Kontinental-Wettkampf "IAAF World Cup" 2006 zu beherbergen. Der Mann mit der Wunschliste war laut einem Bericht des englischen Senders Sky News der langjährige IAAF-Marketingberater Papa Massata Diack, seine Verhandlungspartner waren Vertreter der Stadt Stuttgart. Und Helmut Digel, damals Vizepräsident der IAAF.

Die IAAF kommt einfach nicht zur Ruhe

Die Erschütterungen, die Berichte über System-Doping in Russland und Korruption in der alten IAAF-Führung ausgelöst haben, klingen langsam ab; zur Ruhe kommt der Weltverband aber nicht. Nach Adidas will sich nun der zweite Groß-Sponsor vorzeitig absetzen, der Lebensmittelkonzern Nestlé; die IAAF gibt sich empört. Dabei geht es immer weiter. In Kenia erheben nun zwei Sprinterinnen, die bei der WM 2015 in Peking des Dopings überführten Joyce Zakary und Francisca Koki, einen Korruptionsvorwurf. Isaac Mwangi, Geschäftsführer des Kenia-Verbands, soll ihnen die Reduzierung der drohenden Sperre offeriert haben, gegen Zahlung von je 21 000 Euro.

Und dann der jüngste Bericht, der auch auf Digel kein gutes Licht wirft, das langjährige IAAF-Council-Mitglied. In den Fokus ist einmal mehr Papa Massata gerückt, der Sohn des langjährigen Präsidenten Lamine Diack. Das Duo soll Athleten erpresst haben, positive Dopingtests gegen Geld verschwinden zu lassen. Diack senior sieht einem Gerichtsprozess entgegen, sein Sohn wird per Interpol gesucht, wegen Geldwäsche, Erpressung und Korruption.

Papa Diack beriet den Weltverband rund ein Jahrzehnt lang mithilfe seiner Firma PMD Consulting, und wie so eine Beratung offenkundig aussah, schildert nun der Bericht des englischen Senders. Papa Diack traf demnach Digel und Vertreter Stuttgarts im Dezember 2004 im Mövenpick-Hotel am Stuttgarter Flughafen. Kurz darauf übermittelte Diack seine Wunschliste: Gaben im Wert von 365 439 Euro. Sollten die Stuttgarter damit ihre Bewerbung anreichern, könnte das die Counci-Mitglieder wohlstimmen, die über den Ausrichter abstimmen würden, so Diack.

Die IAAF will von den Korruptionsvorwürfen nichts gewusst haben

Er schlug auch einen Ort vor, wo die Deutschen vor der Wahl Lobbyarbeit betreiben könnten ("Presence in Doha, Qatar for 12 nights, total budget 25 000 Dollar"). Ach ja, ließ Diack wissen, und sein Honorar belaufe sich auf 600 000 Dollar. Stuttgart verzichtete, verlor die Abstimmung (gegen Athen) - und richtete stattdessen das weniger prestigeträchtige Saisonfinale aus.

Die Stadt Stuttgart bestätigte nun, dass man 2004 mit Diack gesprochen habe. Man habe Diacks "Vertrag" zurückwiesen, das Saisonfinale habe man ohne dessen Dienste erhalten. Die IAAF sagte, sie habe von all dem nichts mitbekommen. Digel, 72, teilte auf SZ-Anfrage schriftlich mit, der Bericht gäbe die Vorgänge "in angemessener Weise" wieder. Er habe bei Papa Diack damals "in aller Entschiedenheit" schriftlich protestiert, er habe den Vorgang auch dem damaligen Generalsekretär Pierre Weiss sowie Diack senior gemeldet. Eine Ethikkommission gab es damals nicht, deshalb habe er den Vorgang erst jetzt an die IAAF-Ethiker weitergeleitet.

Digel hatte bislang immer bestritten, etwas über die Korruptionsvorwürfe zu wissen

Auch wenn es sich bei dem Vorgang bestenfalls um versuchte Korruption handelt, bringt der Bericht viele von Digels bisherigen Aussagen zum Einsturz. Eine Kommission der Welt-Anti-Doping-Agentur hatte den IAAF-Vorständen just attestiert, sie hätten unmöglich nichts mitkriegen können von den Gaunereien ihrer Vorgesetzten. Digel, der oft als Querdenker und kritischer Beobachter der Szene auftrat, räumte stets eine Mitverantwortung ein. Aber dass er konkret etwas wusste? Nein, das seien "haltlose Anschuldigungen".

Auf Nachfrage, wie diese Verteidigungslinie zu den jüngst aufgeflogenen Korruptionsversuchen passe, äußerte sich Digel nicht. Fragen wirft auch ein Vorfall im IAAF-Hotel bei der WM 2009 auf; die ehemalige Hochspringerin Ulrike Nasse-Meyfarth hatte ihn zuletzt der SportBild geschildert. Nasse-Meyfahrt sah damals "einige afrikanische Ehepaare, die "mit großen Tüten von Shopping-Touren zurückkamen". Digel habe ihr erklärt, "dass sie zur Entourage von Diack gehörten und im Hotel wohnten". "Auf Kosten der IAAF?", fragte ihr Mann. "Sicherlich", antwortete Digel. Auf die Bemerkung: ,Machen Sie da nichts?', zuckte Digel mit den Schultern.

Er teilte dazu jüngst lapidar mit: "IAAF-Präsident Diack hat bei allen Weltmeisterschaften ein Einladungsrecht für sich in Anspruch genommen, wie es auch bei anderen internationalen Sportverbänden üblich ist."

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