Leichtathletik:Klingelt's?

Am Donnerstag beginnen in Oregon die US-Leichtathletik-Meisterschaften. Die Szene bewegt vor allem eine Frage: Wie schmutzig arbeitete Erfolgscoach Salazar jahrelang einige Kilometer entfernt?

Von Johannes Knuth

Der Langstreckenläufer Mo Farah wohnt derzeit in London, im Vorort Teddington. Farah unterhält dort ein dreistöckiges Haus. Dieses Haus verfügt, glaubt man Recherchen der Daily Mail, über eine mondäne Küchenzeile im Erdgeschoss, über ein Zimmer, in dem Farah, 32, seine Trophäen aufbewahrt, über mehrere Schlafzimmer. In der Nähe der Eingangstür ist zudem eine Klingel montiert. Diese Klingel, und das ist leider ein kleiner Baumangel, kann man nicht so recht hören, zumindest nicht in allen Ecken des Hauses. Und scheinbar auch nicht, wenn Dopingkontrolleure vor der Tür stehen, eine Stunde lang. Weshalb halb Großbritannien gerade über Farahs Türklingel debattiert. Aber der Reihe nach.

An diesem Donnerstag beginnen in Eugene im US-Bundesstaat Oregon die amerikanischen Leichtathletik-Meisterschaften, die Trials. Mit den Trials produziert die Region derzeit allerdings weniger Schlagzeilen, vielmehr mit dem Mief des Nike Oregon Projekts (NOP), der vom Nachbarort Portland herüberzieht. Dort sind diverse amerikanische Langstreckenläufer engagiert, unter der Leitung von Alberto Salazar. Vor drei Wochen veröffentlichten Journalisten der Rechercheplattform ProPublica sowie der BBC diverse Berichte, sie boten ehemalige Mitarbeiter des Projekts als Kronzeugen auf. Salazar, so der Tenor, habe jahrelang die Grenzen des Erlaubten ausgedehnt, er habe seinem Musterschüler Galen Rupp zudem Testosteron verabreicht, im Alter von 16 Jahren. Salazar dementierte scharf. Er unterstellte den Zeugen, "wissentlich die Unwahrheit zu sagen", er werde Geständnisse einholen, alles und jeden widerlegen.

IAAF - Day in the Life - USA

Gymnastik neben Traktor-Reifen: Eine Szene aus dem Camp der Gruppe von Alberto Salazar (rechts) und Mo Farah (links) 2013 in Oregon.

(Foto: Getty Images Sport/Getty Images)

Am Mittwochabend äußerte sich Salazar in einem Offenen Brief auf der Internetseite des NOP. "Ich glaube an einen sauberen Sport und an harte Arbeit und das tun auch meine Athleten", schrieb Salazar. "Ich werde Doping niemals unterstützen." Man habe sich "strikt" an die Anti-Doping-Regeln gehalten. "Wir haben sehr, sehr hart gearbeitet, um Erfolg zu haben und wir sind stolz auf unsere Leistungen", erklärte Salazar. Das hatten andere aber anders gesehen. Trainer in Deutschland zum Beispiel, die berichten, dass die Kunde über Salazars Methoden seit langem durch die Szene schwirrt. "Es wurde Zeit, dass das ans Tageslicht kommt", sagt einer. Andere reden offen, Lauren Fleshman zum Beispiel, eine amerikanische Läuferin, die eine Weile in Oregon trainierte und unter Asthmabeschwerden litt.

Salazar habe ihr einen Doktor empfohlen, der Arzt verschrieb ein Asthmamittel, empfahl ihr, es hoch in der Pollensaison zu dosieren, ansonsten niedrig bis gar nicht. Salazar, so Fleshman, "ermutigte mich, das ganze Jahr über die höchste Dosis zu nehmen", weil das Medikament ein Glucocorticosteroid enthalte, das ihre Leistung verbessere. Sie beschlich das Gefühl, es gehöre zur Praxis des NOP, "Krankheiten als Vorteil zu nutzen".

Allan Kupczak, ein ehemaliger Masseur des NOP, berichtete dem Guardian von einer Kultur, in der Asthma-Inhalierer "völlig gängig" waren. Andere Athleten hatten der BBC erzählt, Salazar besorge gesunden Athleten die dafür nötigen medizinischen Ausnahmegenehmigungen, Therapeutic Use Exemptions (TuE). Man könne aber den spezifischen Fall leider nicht kommentieren, richtet die Wada auf Anfrage aus, nur so viel sei klar: "Wir sind sehr wachsam, ob des möglichen Missbrauchs von TuEs."

Olympics Day 8 - Athletics

Mo Farah und Trainer Alberto Salazar bei Olympia 2012.

(Foto: Getty Images)

Unterdessen hat der Sog aus Anschuldigungen Salazars zweiten Musterschüler erfasst: Mo Farah, zweimaliger Olympia- sieger, dreimaliger Weltmeister. Farah wurde in den Berichten mit keinerlei unlauteren Methoden in Verbindung gebracht. Kurz nach den Enthüllungen flog er überhastet in die USA, um Antworten von Salazar einzuholen. Britische Journalisten nutzten die Funkstille, um kompromittierendes Material zu heben.

Die Daily Mail veröffentlichte einen E-Mail-Verkehr zwischen der UKAD, der britischen Anti-Doping-Agentur, und Farahs Agenten Ricky Simms. Farah, stand dort, habe vor den Spielen in London zwei Dopingtests verpasst, einen im Jahr 2010, einen 2011; bei einem dritten kurz darauf hätte ihm eine Sperre gedroht. Beim zweiten Test warteten die Tester erfolglos vor Farahs Haus in Teddington. Das Protokoll sieht vor, dass die Tester dann eine Stunde lang ausharren, alle zehn bis 15 Minuten klingeln und klopfen. Farah befand sich derweil angeblich im zweiten Stock. Simms überspielte UKADA später ein nachträglich gedrehtes Video aus Farahs Haus; laut Mail, die das Video angeblich einsah, ist die Klingel im zweiten Stock "leise und schwer zu hören". UKAD wertete den Vorfall als "Nachlässigkeit", nicht als Absicht, das hätte wohl prompt eine Sperre nach sich gezogen. Farah gewann dann in London Gold über 10 000 und 5000 Meter.

Seitdem diskutieren die Briten über Farahs Hausklingel, über die Glaubwürdigkeit ihres Nationalhelden. Diejenigen, die es gut mit ihm meinen, reden von einem Strudel an Gerüchten, in den Farah unschuldig hineingezogen werde. Die zwei verpassten Tests? "Eine Nicht-Nachricht", befand der britische Sprinter Craig Pickering. Dem widersprach UKAD-Chefin Nicole Sapstead indirekt, sie sagte: "Es ist nicht gewöhnlich, dass Athleten zwei verpasste Tests haben." Was sich zweifelsfrei festhalten lässt: Der Fall illustriert, wie wenig Vertrauen das Publikum den Leichtathleten längst entgegenbringt. Im Zweifel? Fällt das öffentliche Urteil erst einmal gegen den Athleten aus.

Das Nike-Projekt

Vor 14 Jahren gründete der Sportartikel-Konzern Nike zusammen mit dem einstigen New-York-Marathon-Gewinner Alberto Salazar das Nike Oregon Project (NOP). Die Idee: Hochbegabte Talente in Portland nahe dem Firmensitz zusammenführen, optimale Trainingsbedingungen schaffen, unterstützt von einem Millionen-Budget und High-Tech-Methoden wie künstlichen Höhenkammern zur Verbesserung des Sauerstofftransports. Auf diese Weise wollte das NOP die natürlichen Vorteile der im Langstreckengewerbe dominierenden Läufer aus Ostafrika ausgleichen. Als Sternstunde des Projekts, das Salazar als Trainer anführte, gelten die Olympischen Spiele 2012. Die NOP-Schützlinge Mo Farah und Galen Rupp gewannen damals über die 10 000 Meter Gold und Silber vor den Äthiopiern und Kenianern. Johannes Knuth

Farah teilte am Freitag mit: Er habe nie leistungssteigernde Medikamente genommen, die zwei verpassten Tests, die einzigen seiner Karriere, waren "simple Fehler". Und Salazar habe ihm versichert, sämtliche Anschuldigungen demnächst zu entkräften. Die IAAF scheint den Fall, den nächsten nach der Dopingwelle aus Russland, aussitzen zu wollen. Überliefert ist ein phrasenhafter Satz von Wada-Chef David Howman: Alle Organisationen, auch die IAAF, hätten ihm versichert, "dass sie Informationen teilen und die Anschuldigungen vollumfänglich untersuchen".

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