Leichtathletik:Der vergessene Geher

Alex Schwazer press conference

Aufmerksam: Der 2012 des Dopings überführte Olympiasieger Alex Schwazer (links) lauscht, was Trainer Sandro Donati zu sagen hat.

(Foto: Ettore Ferrari/dpa)

In Italien läuft ein seltsames Experiment: Ein des Dopings überführter Olympiasieger und ein Anti-Doping-Kämpfer versuchen, Olympia 2016 zu erreichen.

Von Birgit Schönau, Rom

Sie sind ein seltsames Gespann, der reuige Sünder und der Antidoping-Papst. Und doch trainieren der Geher Alex Schwazer, Goldmedaillengewinner über die 50 Kilometer in Peking 2008, und Sandro Donati jeden Morgen gemeinsam. Der lange Schwazer voran, mit seinen Storchenbeinen, der kleine Donati hinterher, auf einem altertümlichen Klapprad, im ausgebeulten Rucksack Müsliriegel und Getränke. So sieht man sie auf dem von Schilfrohr halb zugewucherten Radweg am Tiber in Rom und auf den Feldwegen in Schwazers Heimat Südtirol. Unermüdlich, das Ziel fest im Blick: Rio 2016. Schwazer und Donati, eines der bemerkenswertesten Paare der Leichtathletik, wenn nicht der Sportwelt überhaupt.

Denn eigentlich müssten sie sich verabscheuen. Kurz vor den Sommerspielen von London 2012 war Schwazer positiv auf Epo getestet worden. Der ertappte Athlet nahm bei einer Pressekonferenz alle Schuld auf sich, kündigte das Ende seiner Karriere an. Und vergoss dabei jede Menge Tränen. Schwazers Auftritt war eine Mischung aus Selbstmitleid und Selbstanklage. "Du strengst dich an das ganze Jahr, zehnmal geht's gut, dann patzt du. Und das wollte ich nicht", schluchzte er. "Wenn ich nicht die Medaille geholt hätte, wer denn dann? Der Verband wäre wieder von allen kritisiert worden." Solche Typen hatte Donati zeitlebens gefressen. Als Leiter der Wissenschaftskommission des Nationalen Olympischen Komitees führte er einen einsamen Kampf gegen das Doping italienischer Spitzensportler, bis er 2006 nach 14 Jahren entnervt die Brocken hinwarf.

Sein früherer Chef Mario Pescante, der Donatis Doping-Dossiers geflissentlich ignorierte und die Arbeitsmöglichkeiten seines Experten systematisch einschränkte, stieg unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi zum Staatssekretär auf und ist bis heute Delegierter im Internationalen Olympischen Komitee (IOC). In dieser Funktion gab Pescante soeben seine Stimme für die Winterspiele in Peking 2022. Zuletzt machte er Schlagzeilen mit Kritik an homosexuellen Athleten in der US- Delegation für die Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014. Für Pescante eine Form von "Terrorismus". Mit 77 Jahren ist er immer noch ein mächtiger Mann, Donati aber wird als Don Quijote des Antidoping belächelt.

Im italienischen Sport gibt es keinen größeren Moralapostel als ihn. Von 1977 bis 1987 war Donati Trainer der Leichtathletik-Nationalmannschaft. Dann wurde er Knall auf Fall entlassen - wegen unpatriotischer Ehrlichkeit. Während der WM 1987 in Rom hatten italienische Kampfrichter bei der Leistungsmessung des Weitspringers Giovanni Evangelisti geschummelt. Donati merkte es und zeigte sie an, Evangelisti war seine Bronzemedaille los.

Und jetzt arbeitet Donati für Schwazer. Einen Sportler, der sich einst mit dem berüchtigten Arzt Michele Ferrari konspirativ auf einer Kanareninsel traf. Ferrari, Spitzname "Dottore Epo", betreute unter vielen anderen den früheren Radprofi Lance Armstrong, dessen sieben Siege bei der Tour de France wegen Dopings aberkannt wurden. Natürlich sind "Dottore Epo" und Donati sich seit Jahrzehnten spinnefeind.

"Jeder hat das Recht auf eine zweite Chance", sagt Donati. Bevor er Schwazer dieses Recht gewährte, stellte die Antidoping-Ikone Bedingungen: Bruch mit dem alten Umfeld, auspacken vor den Staatsanwälten von Bozen, die den Geher angeklagt hatten. Dafür, dass Doping in Italien Straftatbestand ist, hatte Donati einst selbst gesorgt, er wirkte federführend am Gesetz.

Seit April ließ sich Schwazer 14 Mal freiwillig kontrollieren

Schwazer kassierte eine dreinhalbjährige Sperre vom Verband, die am 29. April 2016 ausläuft. Mit dem Gericht in Bozen schloss er einen Vergleich. Acht Monate Haft auf Bewährung und 6000 Euro Geldstrafe. Keine kleine Summe für Schwazer, dessen Sponsoren natürlich längst abgesprungen sind. Er arbeitet jetzt als Kellner.

Donati glaubt an ihn, die Verbandsfunktionäre tun es weniger. Sie haben bereits durchblicken lassen, dass sie den Geher nicht im Aufgebot für die Spiele im kommenden Jahr wollen. Schwazer wäre dann 31, in Bestform, sagt sein Trainer.

Man weiß nicht, ob der Verband Schwazer den Betrug nicht verzeihen will - oder die Sache mit Carolina Kostner. Die 28 Jahre alte Südtiroler Eiskunstläuferin, Weltmeisterin von 2012, Bonzemedaillengewinnerin in Sotschi und fünfmalige Europameisterin, war zur Zeit der Dopingaffäre mit Schwazer verlobt. Als die Antidoping-Fahnder vor der Tür ihrer Wohnung in Oberstdorf standen, log Kostner, Schwazer sei nicht zu Hause.

Das NOK ging wegen Irreführung von Antidoping-Ermittlungen streng mit Kostner ins Gericht. Die Anklage forderte zunächst vier Jahre Sperre - also sogar mehr als für den Doper Schwazer. Im Januar wurde die Eiskunstläuferin dann zu 16 Monaten verurteilt. Kostner und die Anklage gingen in Revision. Italiens Medien stehen ganz auf der Seite der Eisprinzessin, stilisieren Kostner zur unschuldigen Märtyrerin aus Liebe und Schwazer zu ihrem eiskalten Karriere-Killer. "Ich habe Schuldgefühle gegenüber Carolina", beteuert Schwazer. Aber vor dem NOK-Gericht hat der Geher bislang nicht daran gedacht, seine Ex-Freundin zu entlasten.

Das Paar Kostner-Schwazer hat sich längst getrennt. Donati und Schwazer wollen zusammen bleiben. Der Antidoping-Papst hat durchgesetzt, dass der reuige Sünder 24 Stunden am Tag für Kontrollen zur Verfügung steht, dabei verlangen die Vorschriften viel weniger. Seit April hat Schwazer sich 14 Mal freiwillig im San-Giovanni-Krankenhaus zu Rom kontrollieren lassen, von unabhängigen Experten.

Doch das könnte alles für die Katz' sein. Seit drei Jahren, so berichtete die Gazzetta dello Sport am Dienstag, habe der Welt-Leichtathletikverband (IAAF) Schwazer nicht mehr kontrollieren lassen, exakt seit der Epo-Probe am 30. Juli 2012. Alex Schwazer wird, so hat es den Anschein, einfach vergessen. Wie sein Trainer Sandro Donati.

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