Leichtathletik:Der andere Harting

Berlin Deutschland 14 02 2015 Leichtathletik Hallenmeeting ISTAF INDOOR 2015 Christoph Harting

Christoph Harting löst sich langsam aus dem Schatten seines bekannten Bruders. Der 25-Jährige ist derzeit sogar die Nummer eins der Welt.

(Foto: Sebastian Wells/imago)

Deutschlands bester Diskuswerfer hat einen Bruder. Robert ist die Nummer eins der Familie - aber Christoph holt auf.

Von Johannes Knuth, Halle

"Ey, kiek mal", sagt Christoph Harting, er muss jetzt doch einmal etwas klarstellen: An der Hierarchie in seiner Familie habe sich nichts geändert. Klar, Robert Harting, seinem Bruder, riss im vergangenen September das Kreuzband, er erholt sich gerade von den Folgen. Und Christoph, wie Robert in Diensten des SSC Berlin, ist gerade richtig gut dabei; vor zwei Wochen landete sein Diskus bei 67,53 Metern, am vergangenen Samstag in Halle sogar bei 67,93 Meter, weiter hat in der aktuellen Saison noch kein Diskuswerfer geworfen, weltweit. "Aber wegen zwei Wettkämpfen wackelt noch keine Hierarchie", sagt Christoph Harting, "ich muss von den Erfolgen her erst mal dahin kommen, was Robert mit einer Leichtigkeit längst geschafft hat." Weeste Bescheid, wa?

"Ich gucke mir viel bei den Großmeistern ab", sagt er - auch bei seinem Bruder natürlich

Ein bisschen was hat sich zuletzt natürlich schon getan im Diskuswurf, dieser traditionsbehafteten Medaillenschmiede des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV). Robert Harting, Jahrgang 1984, war und ist das Werbegesicht, 126 Kilogramm schwer, 2,01 Meter groß, Olympiasieger, dreimaliger Weltmeister, zweimaliger Europameister, bekannt für große Gesten und große Worte. Aber Harting ist jetzt eben verletzt, er weiß nicht , ob er seinen Körper rechtzeitig zur WM im August wieder fit bekommt. Bruder Christoph, Jahrgang 1990, 117 Kilogramm schwer, 2,05 Meter groß, Polizeimeister, vertritt ihn gerade in der Weltspitze, er hat die Norm für Peking locker übertroffen, das ist etwas überraschend. Der jüngere Harting ist schon ein wenig rumgekommen, vor zwei Jahren wirkte er bei der WM in Moskau mit, er verpasste das Finale. Aus dem Schatten seines Bruders löste er sich bislang nicht. In Halle erinnerten sie sich am Wochenende daran, wie Christoph dem Robert vor einer Weile die Sporttasche hinterhertrug.

Jetzt steht Harting am Samstag neben dem Diskusring in Halle, er sagt: "Ich hab 'n bisschen trainiert, oder?"

Die Würfe sind ein schwieriges Gewerbe. Die Athleten müssen ihr System nach jeder Saison in der Winterpause auseinanderbauen, warten, ölen, die Komponenten Kraft, Technik und mentale Stärke wieder zusammenbauen. Robert Harting kann seit langem auf einen stimmigen Bauplan zurückgreifen. Christoph hatte lange Probleme, sein System zusammenzubasteln. Vor eineinhalb Jahren schlossen sich beide Hartings der Trainingsgruppe von Torsten Schmidt an, Schmidt entwarf eine neue Bedienungsanleitung. Seitdem geht es bei Christoph aufwärts. Er verharrt nicht mehr im Stütz, wenn er den Diskus loslässt, er springt um, das kommt seiner reaktiveren Muskulatur entgegen. Er hat herausgefunden, welche Nahrungsergänzungsmittel einen Körper ansprechen, welche nicht. Er verfügt über einen Trainer, der seinen Athleten nicht ein Technik-Leitbild aufdrückt, sondern nach individuellen Lösungen sucht. "Ich gucke mir natürlich auch viel bei den Großmeistern ab", sagt er, bei Kanter, Alekna, Faszekas. Und bei seinem Bruder, klar.

"Man stiehlt mit seinen Augen", sagt Harting. Er hat beobachtet, wann und wie sein Bruder sich aufwärmt, wie er den Druck des Wettkampfs an sich abperlen lässt. "Das ist immer ein Schäkern und Scherzen mit den Konkurrenten", sagt Harting. Er ist jemand, der seinen Beruf als ständige Fortbildung begreift: "Es macht irgendwie Spaß, zu lernen, wie man mit gewissen Situation umgehen sollte."

Wobei sich Harting seinen Weg in die Diskuselite schon auch selbst gebahnt hat. Die Biografien der Brüder verliefen lange versetzt. Als Christoph auf die Grundschule wechselte, zog Robert in die Sportschule, als Christoph in die Sportschule kam, machte Robert sich nach Berlin auf. 2007 wechselte dann auch Christoph nach Berlin, Berufswunsch Diskuswerfer, "da haben wir im Grunde angefangen, uns kennenzulernen", sagt er, "mit 17." Heute trifft man auf zwei entsprechend verschiedene Charaktere. Robert ist temperamentvoll, impulsiv, eine wichtige Fähigkeit in einer Disziplin, in der man binnen eineinhalb Drehungen den Körper maximal beschleunigen muss. Christoph ist im Ring ähnlich impulsiv, ansonsten ruhig, "ich bin ein absolut geduldiger Mensch", sagt er. Robert ist kräftiger, Christoph drahtiger, seine Muskulatur ist explosiver. Robert beklagt öffentlich (und schon mal impulsiv), wenn ihm etwas nicht passt; zuletzt passte ihm vor allem die deutsche Sportförderung nicht, er gründete dann einfach seine eigene Sportlotterie. Christoph sucht sein Glück primär im Privaten. "Ob ich 63 Meter werfe oder 68, ich komme nach Hause, da spielt das keine Rolle. Ihr glaubt gar nicht, wie schön das ist", sagt er.

Einige Beobachter glauben, dass der jüngere Harting langfristig eher 68 Meter und weiter werfen wird, dass sich die Hierarchie im Haus womöglich dauerhaft ändert. Der bekannteste Vertreter dieser These ist übrigens Robert Harting. Sein Bruder müsse nur alle Details zusammenpuzzlen, sagte er vor zwei Jahren. Das hat er scheinbar geschafft. "Ich will da hinkommen, wo kein anderer hinkommt", sagt Christoph Harting mittlerweile. Eine gute Weite sei ihm wichtiger als eine Medaille, "das ist vielleicht ein Nachteil, der DLV ist sehr erfolgsorientiert, aber das ist gar nicht mein Hauptanliegen". Als er am Wochenende in Halle Autogramme gab, schrieb er unter jede Signatur seine Siegerweite. So kann man sich auch einen Namen machen.

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