Leichtathletik:Den Turm wieder aufbauen

Leichtathletik Hallen-Weltmeisterschaft

Wieder zu alter Stärke zurückgefunden: David Storl in Birmingham.

(Foto: Matt Dunham/dpa)

Kugelstoßer David Storl gewinnt bei den Hallen-Weltmeisterschaften Silber und stößt so weit wie seit vier Jahren nicht mehr. Nach schwierigen Jahren samt Trainerwechsel ist die Medaille für ihn "der Ausgangspunkt für eine gute Saison".

Von Max Ferstl, Birmingham/München

David Storl hat in den vergangenen Tagen ein Wechselbad der Gefühle durchlitten. Am Dienstag war er noch auf Teneriffa, angenehme 20 Grad, Sonnenschein. Rein ins Flugzeug, Zwischenlandung Berlin, "fast erfroren" bei minus acht Grad. In Birmingham, England, wo die Hallen-Weltmeisterschaft der Leichtathleten stattfindet, ist es zwar etwas wärmer, aber immer noch zu kalt für einen Kugelstoßer, der Wärme in der Muskulatur braucht, um sich schnell abzudrücken. "Es ist ein komisches Gefühl, wenn du in die Halle kommst und erst mal zehn Minuten brauchst, um aufzutauen", sagte er am Freitag in der ARD.

Frisch aufgetaut jedoch hatte Storl am Samstagmittag ein ziemlich gutes Gefühl. Im vierten Versuch landete seine Kugel bei 21,44 Metern, weiter hatte er seit vier Jahren in der Halle nicht mehr gestoßen. Weil nur der Neuseeländer Tomas Walsh besser war (22,31 Meter), gewann Storl am Ende Silber. Endlich wieder ein Medaille, endlich wieder mit den Besten der Welt mitgehalten und vor allem: endlich wieder eine starke Leistung im entscheidenden Moment. "Das hat die letzten Jahre nicht so geklappt", sagte Storl.

Stattdessen unterschieden sich seine Leistungen wie die Temperatur auf Teneriffa und in Berlin. Manchmal sogar innerhalb eines Wettkampfes. Bei der WM in London im vergangenen Jahr kratzte er beim Aufwärmen die 22-Meter-Marke, war Zweiter nach der Qualifikation. Doch im Finale ging nichts mehr. Storl war stocksauer. Schon bei den Olympischen Spielen in Rio war er nur Siebter geworden. Das war Storl nicht gewohnt.

Er war gewohnt, bei den wichtigsten Wettkämpfen das Beste zu zeigen. 2011 gewann er als erster Deutscher Gold bei einer WM, zwei Jahre später verteidigte er seinen Titel. Dazwischen errang er Silber bei Olympia. So jemand freundet sich nur schwer damit an, sich "hilflos" im Ring zu fühlen. "Man macht sich Gedanken", gab der 27-Jährige in diesen Tagen zu. Er grübelte, hinterfragte sich und sein Umfeld. Nach der verkorksten WM war er überzeugt, etwas ändern zu müssen.

Im August trennte er sich von seinem langjährigen Trainer Sven Lang. Dieser hatte Storl zu einem Weltklasse-Athleten geformt wie es ihn im Kugelstoßen nicht oft gibt. Storl ist keiner dieser muskulösen Bullen. Seine Konkurrenten würden beim Bankdrücken 60 Kilo mehr stemmen, sagte er einmal. Storl hingegen ist ein beinahe schlanker Turm, 1,98 Meter hoch, sehr dynamisch, sehr schnell. Aber auch sehr fragil. In den vergangenen Jahren plagten ihn heftige Schmerzen im Knie. Sie stellten die Technik um, verzichteten auf einen dynamischen Umsprung am Ende des Stoßes - doch die Erfolge vergangener Tage blieben aus. Also der Schnitt, begleitet von ein paar unschönen Worten des Verlassenen.

Der neue Trainer sagt, es geht um "Speed, Speed, Speed"

Storl äußerte Verständnis, er wolle sich aber hinterher nicht vorwerfen, nicht alles versucht zu haben. Er entschied sich für den Sportwissenschaftler Wilko Schaa, der als Mitarbeiter am Leipziger Sportinstitut IAT die Kugelstoßer betreut. "Ich möchte ihn auf ein Niveau bringen, auf dem er noch nie war", sagte Schaa im Januar der Leipziger Volkszeitung. Er hat eine klare Vorstellung, wie das gehen soll. "Geschwindigkeit ist für mich alles. Es geht um Speed, Speed, Speed. Er muss wieder der Schnellste sein im Ring - und umspringen." Doch zuerst musste Schaa den Turm neu aufbauen, an der Statik arbeiten. Zunächst legten sie ein stabiles Fundament. Sie fuhren Rad, schwammen, versuchten sich in Ballspielen. Beim Squash war Schaa besser, beim Tischtennis Storl. Kugelstoßen, das kam erst später. Bis Januar "haben wir die Kugel noch nicht einmal fliegen lassen", sagte Schaa.

Sie dosierten die Belastung, das Knie dankte es ihnen. Inzwischen ist Storl zu seiner ursprünglichen Technik zurückgekehrt. Er springt wieder um. Kein Nachteil ist sicherlich, dass er nicht mehr als Favorit an den Start geht. "Die Atmosphäre war entspannter, weil die Vorleistung nicht hat erahnen lassen, dass ich Silber gewinne", sagte er am Samstag. Während die Konkurrenten in Birmingham verkrampften, drückte Storl die Kugel stabil über die 21-Meter-Marke und wartete darauf, "dass einer darüber hinausfliegt". Das geschah im vierten Versuch. Die Medaille, sagt Storl, sei "der Ausgangspunkt für eine gute Sommersaison". Birmingham war wichtig, das schon. Aber auch "ein Testlauf".

Seine beste Leistung will Storl im August zeigen. Dann finden in Berlin die Europameisterschaften statt. Dort soll es mit einer Medaille klappen, sagt Storl. Jetzt wird er erst mal weiter reisen. Nächster Stopp: die Ostsee, "ein bisschen Fahrrad fahren und Fitness machen", zur Regeneration.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: