Leichtathletik:Das letzte Hurra

Beim Istaf in Berlin läuft Gesa Krause deutschen Rekord und Caster Semenya die schnellste Zeit der Geschichte über 600 Meter. Für beide Läuferinnen sind es emotionale Erfolge.

Von Johannes Knuth, Berlin

Die Mittelstreckenläuferin Caster Semenya lässt es in ihren Renne gerne mal ruhiger angehen; sie klemmt sich dann als Letzte hinters Feld, überspurtet die Konkurrentinnen auf den letzten Metern - mit langen Schritten, denen man die Müdigkeit kaum ansieht. Doch am Sonntag, beim 76. Istaf in Berlin, war alles etwas anders. Die Südafrikanerin eilte an die Spitze, als hätte sie noch etwas vor in diesem Rennen über 600 Meter. Und das hatte sie. Semenya ließ sich einfach nicht mehr überholen; die Tempomacherin hatte Mühe, ihr zu folgen. Am Ende traf Semenya nach 1:21,77 Sekunden im Ziel ein, knapp eine Sekunde schneller als der bisherige Weltrekord, der offiziell Weltbestmarke heißt, weil die 600 Meter selten gelaufen werden. Aber immerhin.

Das Berliner Istaf ist für die Leichtathleten der Ausstand nach einem langen Sommer, das letzte Hurra - und das prägten ein paar der besten deutschen und internationalen Vertreter ganz auf ihre Weise. Manche hatten auch noch etwas vor. Da war Gesa Krause, die ihren deutschen Rekord über 3000 Meter Hindernis um vier Sekunden verbesserte, auf 9:11,85 Minuten. Später weinte sie Tränen der Freude und des Schmerzes zugleich. "Ich bin trotzdem noch sehr traurig", sagte sie später, bei der WM in London war sie noch gestürzt, als sie schon ihre Rekordform mit sich führte.

Da war Johannes Vetter, der Speerwurf-Weltmeister, der auch die letzten Prozent seiner Form aus seinem Körper quetschte, 89,85 Meter warf. "Auf den Körper hören, das gibt's bei mir nicht", sagte Vetter; er gewann klar vor Olympiasieger Thomas Röhler (86,07). Am Samstag hatte Andreas Hofmann die Saison der deutschen Speerwerfer versüßt, mit 91,07 Metern und Platz zwei bei der Studenten-WM in Taiwan.

Da war Konstanze Klosterhalfen, 20, die eine nicht minder bemerkenswerte Saison hinter sich hat, sich bei der WM allerdings übernahm - und in Berlin ihre beachtliche Bestzeit über 1500 Meter noch mal erneuerte, auf 3:58,92 Minuten. Da waren die Diskus-Brüder Christoph und Robert Harting, die auch am Sonntag nicht in die Gänge kamen: Robert wurde Fünfter (64,59), Christoph beendete seine zähe Saison mit 62,83 Metern. Und da war natürlich Semenya, die zu Berlin eine besondere Beziehung pflegt. "Mein zweites Zuhause", sagte sie, nachdem ihr warmer Applaus von den Rängen im Olympiastadion entgegengeschwappt war. Hier hatte vor acht Jahren ihre Geschichte begonnen, und ob es der Beginn einer Erfolgshistorie war oder der einer Tortur, ist Ansichtssache.

Semenya, jung, burschikos, tiefe Stimme, wurde 2009 Weltmeisterin über 800 Meter. Doch wenige Minuten nach ihrem Erfolg debattierte die Welt längst, ob sie eine Frau sei oder doch ein Mann. Es war ein entwürdigender Vorgang mit wenigen Gewissheiten; gesichert ist nur, dass Semenyas Körper einen Überschuss an Testosteron produziert, den sie offenbar eine Weile mit Medikamenten drosseln musste - ehe der Sportgerichtshof die Regel des Leichtathletik-Weltverbands IAAF kassierte. Seitdem gewinnt Semenya wieder WM-Titel (wie in London), läuft Weltbestzeiten und hat wenig übrig für alle, die ihre Präsenz in Frauen-Rennen verachten. Die IAAF? Arbeitet fieberhaft an einer neuen Regel - was immer das für Semenya bedeuten mag.

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