Leichtathletik:Botschaften in der Wüste

Drei Leichtathleten mit Weiten über 90 Meter in einem Wettkampf: Die deutschen Speerwerfer Thomas Röhler, Johannes Vetter und Andreas Hofmann schaffen beim Saisonauftakt der Diamond League Historisches.

Von Johannes Knuth, Doha/München

Der Speerwerfer Johannes Vetter hat im vergangenen Herbst ein kleines Impulsreferat gehalten, es erzählte einiges über ihn und sein Tun. Vetter hatte zehrende Wochen hinter sich, er war gerade Weltmeister geworden, jetzt stand das Berliner Istaf an, Vetters dritter Wettkampf binnen 70 Stunden. "Wo manche sagen: Hör mal ein bisschen auf deinen Körper, erhol dich - das gab es für mich heute nicht", sagte Vetter nach dem Wettbewerb. "Ich bin da echt rigoros", fügte er an, wenn ihn einmal der Wille gepackt habe, wolle er es allen beweisen, "auch mir selbst". Vetter hatte den Saisonabschluss in Berlin übrigens gewonnen, mit 89,85 Metern.

Die Lust am eigenen Tun entfacht halt oft einen Sog, der einen an unbekannte Orte zieht, und auch beim ersten Diamond-League-Meeting der neuen Saison in Doha waren es wieder die deutschen Speerwerfer, die einiges davon berichteten. Vetters erster Versuch: 91,56 Meter. Thomas Röhlers zweiter Wurf: 91,78, die beste Weite des Abends. Andreas Hofmann, ihr Teamkollege, schaffte als Dritter noch 90,08 Meter. Die Leichtathleten trugen in der warmen Luft des Wüstenemirats viele beachtliche Leistungen in die Wertung, Caster Semenya absolvierte die 1500 Meter in 3:59,92 Minuten - nach Debatten um die neue Geschlechterregel des Weltverbands, die auf die Südafrikanerin zielt. Aber der Bringer des Abends waren wieder die deutschen Speerwerfer, die selbst dann eine historische Dimension finden, wenn sie fast alle anderen abgearbeitet haben. Drei Werfer über 90 Meter in einem Wettkampf, das gab es noch nie. "Wenn wir ins Rollen kommen", sagte Röhler, "sind wir nur ganz schwer zu schlagen."

Wenn Röhler im Gespräch über diesen Aufschwung spricht, wandert er in Gedanken erst mal sechs Jahre zurück. Idriss Gonschinska war damals im Verband zum Cheftrainer aufgestiegen, er ermunterte Trainer und Athleten, mit Wissen zu handeln, anstatt es vor der Konkurrenz zu verstecken. Röhler und sein Trainer Harro Schwuchow reisten zu Tagungen nach Finnland, sie importierten Ideen, die sie mit Werfern aus Amerika, China und Deutschland teilten. "Wir lernen alle voneinander", sagt Röhler; das habe nichts mit Werksspionage zu tun, da sei jeder Werfer zu unterschiedlich. Röhlers Stärke ist die Schnelligkeit, Vetter, ausgestattet mit Muskeln wie Blumenkübeln, schöpft seine Kraft aus Brust und Schulter. Auch das erzählt einiges über den gemeinsamen Erfolgsweg: dass jeder seinen eigenen gehen darf.

Röhlers Pfad führte ihn vor zwei Jahren zum Olympiasieg in Rio; "das eigene Wort ist mittlerweile wesentlich mehr wert, die eigene Person viel mehr gefragt", hat er festgestellt. Nach Olympia stolperte er "erst mal in ein kleines Tief". Andererseits: Olympiasieger, diese Anrede führt man ein Leben lang. "Das gibt einem zu einem gewissen Maß auch eine Ruhe." Als Vetter ihm 2017 mit 94,44 Metern den deutschen Rekord abluchste (93,90), "hat mich das irgendwie nicht aus der Bahn geworfen", erinnert sich Röhler. Er hat gelernt, dass sein Sport meist die Geduldigen belohnt; auch wenn ihn der Ehrgeiz packt, steigert er sich im Zweifel nicht ins Extrem: "Es ist nicht schlimm, wenn du auch mal Zweiter wirst, das gehört zum Leben dazu. Man ist Realist genug, um vorauszublicken."

Die Saison ist noch jung, der Höhepunkt die EM im August in Berlin, aber eine Botschaft hat schon jetzt stählerne Gewissheit erlangt: Die deutschen Speerwerfer sind wieder die, an denen sich alle anderen vorbeischieben müssen. Vetter hatte im März in Portugal bereits 92,70 Meter geworfen. Langfristig, so Röhler, peile man gar die 100 Meter an, knapp zwei Meter mehr als Jan Zeleznys Weltrekord. Solche Wunderweiten wecken in Zeiten von diversen Dopingskandalen nicht überall Wohlwollen, aber Röhler steckt sich lieber zu hohe Ziele als zu niedrige. "Ich habe noch viel Raum, um mich zu verbessern", sagte er in Doha, und das gerät bei allen Erfolgen fast in Vergessenheit: Der wohl erfahrenste deutsche Speerwerfer ist im vergangenen Herbst 26 Jahre alt geworden.

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