Leichtathlet Markus Esser:"Von dieser Medaille habe ich heute nichts mehr"

Markus Esser TSV Bayer 04 Leverkusen Deutsche Leichtathletik Meisterschaften am 26 07 2015 im Gru

Botschaft auf dem T-Shirt: Markus Esser bei seiner verspäteten Ehrenrunde an diesem Sonntag in Nürnberg.

(Foto: imago)
  • Zum Karriereende bekommt Hammerwerfer Markus Esser die Medaille überreicht, um die ihn ein Doper betrog.
  • Der 35-Jährige wartet noch auf eine WM-Medaille und viel Preisgeld.

Von Joachim Mölter, Nürnberg

Diesmal nur Platz zwei für Markus Esser, den besten deutschen Hammerwerfer des vergangenen Jahrzehnts, der seit 2006 achtmal Meister geworden ist. Unterbrochen wurde seine Serie nur 2009 vom Frankfurter Sergej Litvinov; am Sonntag wurde sie von einem anderen Frankfurter beendet, von Alexander Ziegler, 27, der mit seinen 73,91 Meter genau 1,59 Meter weiter warf als Esser. Beide waren damit weit entfernt von der WM-Norm des deutschen Verbandes, den 77,50 Metern, die zur Reise nach Peking berechtigen. Doch der 35 Jahre alte Leverkusener fand das alles nicht schlimm, nicht den entgangenen Titel, die verpasste Reise: "Die Wachablösung hat sich ja letztes Jahr schon angekündigt", sagte er lächelnd; da war Ziegler mit seinen 75,15 schon bis auf drei Zentimeter herangerückt, "jetzt hat sie sich vollzogen. Ich kann damit leben."

Viel wichtiger war Markus Esser eine Ehrung, die er eine Stunde nach dem Wettkampf bekam: Da wurde ihm eine Bronzemedaille umgehängt, die er sich bei den Europameisterschaften 2006 in Göteborg verdient, aber nicht bekommen hatte. Damals war der Weißrusse Iwan Zichan als Sieger aus dem Wettbewerb hervorgegangen, doch der war im Sommer 2012 bei Nachtests von Dopingproben der Olympischen Spiele 2004 in Athen des Gebrauchs unerlaubter Mittel überführt worden. Im Frühjahr 2014 wurden schließlich alle seine Ergebnisse zwischen August 2004 und August 2006 annulliert; dadurch rückte Markus Esser bei zwei Wettkämpfen vom vierten auf den dritten Platz vor, bei besagter EM sowie bei der WM 2005 in Helsinki.

Das entgangene Preisgeld müsste er einklagen

Bekommen hat er vorerst aber nur eine der ihm zustehenden Bronzemedaillen, die von Göteborg. Der europäische Verband EAA arbeitet da offensichtlich schneller als der Weltverband IAAF. Aber zur nachträglichen Ehrung im Rahmen einer EM war auch die EAA nicht bereit. "Das wäre schön gewesen", sagt Esser, "aber es war schwierig genug, diese eine Medaille zu bekommen." Dass er die WM-Plakette von 2005 erhält, "werde ich nicht mehr als Aktiver erleben", sagte er, "und dass ich das Geld bekomme, das mir zusteht, wohl gar nicht".

Die 5000 Dollar - die Differenz der WM-Prämien zwischen Platz drei (20 000 Dollar) und vier (15 000), die der Weltverband auslobt - müsste er privatrechtlich von Zichan einklagen, hat er mitgeteilt bekommen: "Und da müsste ich mich mit einem Weißrussen auseinandersetzen, der jetzt Politiker ist." Dazu hat er verständlicherweise keine Lust. Immerhin hat ihm die Deutsche Sporthilfe eine Prämiennachzahlung gewährt, die Differenz zum ursprünglich gezahlten Bonus, 900 Euro.

"Meine ganze Athleten-Karriere wäre wohl anders verlaufen"

"Was man mir damals gestohlen hat, kann man nicht annähernd ersetzen", sagte er am Sonntag. Den Applaus des Publikums in einem vollen Stadion, die Einladungen ins Fernsehen danach, die besseren Sponsorenverträge, vor allem aber das Glücksgefühl, etwas gewonnen zu haben. Stattdessen hatte er den Frust, eine Medaille knapp verpasst zu haben, als undankbarer Vierter, der bitterste Platz, den man als Sportler belegen kann. Einen inneren Frieden beschert ihm die späte Anerkennung nicht, gab Esser zu. "Meine ganze Athleten-Karriere wäre wohl anders verlaufen", mutmaßt er, "ich habe von dieser Medaille heute nichts mehr."

Er habe ja in der Vergangenheit wenig Ansprüche gestellt, erzählte Esser am Sonntag, aber einen Anspruch hatte er immerhin: die Medaille in einem würdigen Rahmen nachgereicht zu bekommen. "Lieber hier und heute vor 25 000 Zuschauern in einer tollen Atmosphäre als dass irgendwann mal ein nassgeregneter Postbote vor meiner Tür steht und sagt: ,Ich hab' hier ein Paket für Sie'."

Späte Ehrenrunde vor 25 000 Zuschauern

Den Gefallen hat ihm der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) getan, er organisierte eine Medaillenzeremonie vor der Haupttribüne, über die Videoleinwände flimmerten ein paar Bilder von 2006, Esser durfte sogar auf die oberste Stufe des Siegertreppchens klettern.

Und nachdem er die Medaille am Hals hatte, durfte er sogar eine Ehrenrunde drehen, das Publikum beklatschte ihn, er verbeugte sich immer wieder, vielleicht auch deshalb, damit man nicht sah, wie er, der starke Mann, mit den Tränen kämpfte. "Dieser Moment ist mir vor zehn Jahren nicht vergönnt gewesen", sagte er. Dann verkündete er, dass er seine Karriere beendet. "Das war's. Dankeschön." Einen besseren Augenblick hätte er dafür wohl nicht mehr finden können.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: